Sie tragen gefälschte Markenkleider und Goldketten und treten meist in Gruppen in Innenstädten auf: Die Talahons sind gerade überall, fast hätte es zum deutschen Jugendwort 2024 gereicht. Zu denken gibt vor allem das Frauenbild.
Er nennt sich Pumping Mnky, heisst eigentlich Fatih Geyik und produziert für seinen Youtube-Kanal die Sendung «Frankfurt Tinder». An öffentlichen Orten wie dem Frankfurter Hauptbahnhof führt der muskulöse, glatzköpfige Türke junge Männer und Frauen zusammen, die einander «abchecken», um dann zu sagen, ob sie miteinander auf ein Date gehen würden. Und wie ihre Traumfrau oder ihr Traummann aussehen muss.
«Es gibt nur vier Frauen», sagt einer der Kandidaten, der sich in eine Türkei-Fahne hüllt, «eine zum Putzen, eine zum Kochen, eine zum Scheppern» – er zeigt auf seinen Schritt – «und eine, mit der du machen kannst, was du willst.» Ein anderer, der sich als Afghane vorstellt, bemängelt den kleinen Busen einer Frau: «Sie hat keine Wassermelonen.» An sie gewandt: «Bist du ein Mann oder ein Mädchen?» Der dritte, ein 19-jähriger Afghane, wünscht sich eine Frau «mit Hijab und so».
Der Youtuber Geyik gibt einen Einblick in die Welt der sogenannten Talahons. «Talahon» ist das arabische Wort für «Komm her». Ein Talahon ist ein junger Mann, meistens aus migrantischem Milieu, der durch seinen Kleidungsstil und sein Verhalten auffällt. Talahons tragen gefälschte Marken wie Gucci-Cap oder -Bauchtasche, Jogginghosen, Goldkette und Airpods, auch wenn sie sich miteinander unterhalten.
Die Talahons nennen sich selber so und definieren sich über diese Merkmale. Genauso ist das Wort aber eine Fremdbezeichnung. Talahons ziehen an Vape-Zigaretten und fahren E-Scooter, auch Schattenboxen ist bei den Talahons beliebt oder auf den Boden Spucken. Sie nennen einander «Bruder» und verweisen auf ihre Cousins, den Clan. Sie treten in Gruppen in den Fussgängerzonen deutscher Grossstädte auf. Beliebte Versammlungsorte sind auch Einkaufszentren.
Die Kandidaten von «Frankfurt Tinder» sind keine zufälligen Passanten. Sie geben ihr Einverständnis, gefilmt zu werden. Der Youtube-Kanal hat 395 000 Abonnenten, pro Sendung gibt es über 400 000 Aufrufe.
Sexismus und patriarchales Denken
Vor allem auch Tiktok feiert den Talahon-Trend mit Videos, die den Typus ironisieren und die stereotypen Attribute karikieren. Oftmals werden zu den Beiträgen die Song-Zeilen des Rappers Hassan aus dem Lied «Ta3al Lahon» gespielt: «Talahon, ich geb dir ein Stich, ich bin der Patron», lautet der Refrain. Es geht darin um Messergewalt, das Leben auf der Strasse und um Clan-Kriminalität, die verherrlicht wird.
Zu denken gibt vor allem das Frauenbild der jungen Machos, ob das nun Satire ist oder nicht. Eine Frau habe dem Mann zu gehorchen, sagen sie frei heraus. Man würde ihr verbieten, ins Schwimmbad zu gehen, weil Frauen dort andere Männer anschauten. Sie gehöre ins Haus, notfalls lasse der Mann die Fäuste sprechen.
Es ist cool, ein Talahon zu sein, wird von den meist arabischen Jugendlichen vermittelt. Man feiert selbstbewusst die eigene Kultur, spielt mit Gangsta-Rap-Klischees. Das Phänomen ist so populär geworden, dass «Talahon» bei der Wahl zum Jugendwort 2024 soeben auf Platz zwei kam, knapp hinter «Aura». An der Abstimmung des Langenscheidt-Verlags nehmen Jugendliche zwischen elf und zwanzig Jahren teil.
Besorgte Digital- und Antirassismusexperten werden froh sein, dass es nicht zum Sieg gereicht hat. Der Begriff sei rassistisch, hiess es in einem Bericht des NDR im Vorfeld der Wahl, weil das Spiel mit Klischees Vorurteile über «migrantisch gelesene Jugendliche» schüre. Jemanden als Talahon zu bezeichnen, sei abwertend.
Und was ist mit den Selbstinszenierungen und Selbstbezeichnungen? Damit reagierten die jungen Männer auf diskriminierende Erfahrungen und Stigmatisierung in der deutschen Gesellschaft, erklärten Mediensoziologen im NDR-Artikel. Der frauenverachtende Macho also als armes Diskriminierungsopfer.
Den Sexismus und das patriarchalische Denken, die die Talahon-Videos feiern, sieht die Organisation Neue Deutsche Medienmacher*innen hingegen nicht als problematisch an. Die Medien würden solche einzelnen Beiträge aufbauschen, «anstatt Sexismus als gesamtgesellschaftliches Problem zu thematisieren».
Der Langenscheidt-Verlag ging auf Forderungen, «Talahon» aus der Abstimmung zu streichen, dennoch nicht ein. Das Wort sei nicht eindeutig negativ besetzt, so die Begründung.
Auftritt im Deutschen Bundestag
Der Begriff hat inzwischen ein Eigenleben entwickelt und ist nicht mehr auf die sozialen Netzwerke beschränkt. Die Autorin Mirna Funk schrieb in der «Welt» über einen Anschlag in der Nähe ihrer Wohnung in Tel Aviv. Die Attentäter hätten «wie Talahons aus Offenbach» ausgesehen.
Auch in ideologisch geführten Debatten taucht der Talahon auf. Der fraktionslose AfD-Politiker Matthias Helferich erschien neulich als Talahon verkleidet im Deutschen Bundestag. Gucci-Trainingsanzug, Bauchtasche, Goldkette. Zuerst zitierte er aus einem Video, in dem ein Mann mit Migrationshintergrund sich darüber freut, endlich die deutsche Staatsbürgerschaft erworben zu haben.
«Alles gehört mir, es liegt mir alles unter den Füssen», soll der Mann gesagt haben. Seine vielen Kinder würden dennoch Ausländer bleiben. Weil solche «Talahons» das Land eroberten, wie sich Helferich ausdrückte, fordert der Politiker eine millionenfache Remigration.
Der Bundestagsabgeordnete Muhanad Al-Halak von der FDP outete sich als Fast-Talahon. Ohne Anzug und Krawatte wäre wohl auch er, dessen Eltern aus dem Irak kommen, ein Talahon, sagte er in einem Interview. Deshalb möchte er das Wort wieder positiv besetzen: um zu zeigen, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiteten und ihren Beitrag für die Gesellschaft leisteten.
Währenddessen scheinen die prahlenden und pöbelnden Talahons stolz darauf zu sein, sich nicht richtig integrieren zu lassen. Die Frauen bei «Frankfurt Tinder» schiessen zwar zurück und beschimpfen die Männer für ihre frauenverachtenden Sprüche. Ob diese jungen Männer und ihre Sprüche vor allem eine mediale Inszenierung sind oder eine neue deutsche Realität, wird sich zeigen. Sicher ist, dass ihre Frauenfeindlichkeit schon jetzt unter dem Schutz von Antirassismusexperten steht.