Unter den Spitzenrestaurants Deutschlands ragt das «Bareiss» im gleichnamigen Hotel aus mehreren Gründen heraus. Kaum jemand hat ähnlich viel Erfahrung in der deutschen Topgastronomie wie der Langzeit-Küchenchef Claus-Peter Lumpp.
Vielleicht sollte sich der Gast, bevor er an die Geschichte des Hauses, des Restaurants und des Küchenchefs geht, mit der Weinkarte befassen. Die ist nämlich nicht nur umfangreich und klug komponiert, sondern auch noch für ein Drei-Sterne-Restaurant fair kalkuliert. Einen 22 Jahre alten Clos Sainte-Hune, den wohl legendärsten Riesling des gesamten Elsass, sah ich für kaum mehr, als ein neuer Jahrgang ab Weingut kostet.
Am Nebentisch wiederum wurde einem Paar, das einfach nur um einen Rotwein zum Essen bat, keineswegs etwas Teures aufgedrängt. Der Maître Thomas Brandt empfahl einen der Hausweine und kredenzte selbigen nicht weniger aufmerksam, als er dies wohl mit einem Grand Cru getan hätte. Das Wine-Pairing wiederum, vom Sommelier Teoman Mezda zusammengestellt, umfasst keine Show- und Prestigeweine, sondern perfekt Passendes wie einen Cornas, einen Rhone-Syrah von Matthieu Barret zum Reh aus eigener Jagd.
Eine Küche, die Klassik auf persönliche Weise zelebriert
Selbiges gehört zu den Klassikern des Hauses, weil das «Bareiss» im Schwarzwald steht und es dort nur so wimmelt von Wild. Legendär ist das Restaurant aber vor allem deshalb, weil es zum vielleicht bestgeführten deutschen Ferienhotel gehört und weil Claus-Peter Lumpp seit 1992 (!) als Küchenchef amtiert. Niemand unter den deutschen Topköchen nach Version des Michelin ist ähnlich dauerhaft im Amt, und auch die drei Sterne hält Lumpp schon sehr lange – seit 2008.
Seinen Küchenstil hat der 60-Jährige seitdem zwar weiterentwickelt, aber nie umgekrempelt. Klassik dominiert, regional-rustikale Akzente wie beim weissen Heilbutt mit Champagnersauerkraut und Apfelgel als Amuse-Bouche gehören dazu. Vielfalt ist nicht weniger wichtig. Ein Restaurant dieser Art ohne ein Angebot à la carte wäre für ihn undenkbar, sagt Lumpp, weshalb es neben Herbst- und Degustationsmenu sowie Mittagsangebot auch allerlei Speisen à la carte gibt, die gänzlich anders konzipiert wurden. Der hohe Preis von 92 Euro für ein Kalbsbries mit Vanille und Balsamico oder 146 Euro für einen Wolfsbarsch täuscht, denn in diesem Falle genügen drei Gänge pro Person, um komplett satt und glücklich zu werden.
Variationen, die nicht beliebig wirken
Während sich andere Köche dem Purismus hingeben, setzt Lumpp auch auf dem Teller gern auf Breite, ohne dass diese beliebig wirkte. Am deutlichsten wurde das in meinem Falle beim ersten Gang des grossen Menus. Die Variation von der Gänsestopfleber wurde mit Können zelebriert – etwa als Terrine, als Mousse oder als gebratene Leber – und mit Mandelcrème, Sellerie, Traubensorbet und einem leicht parfümiert wirkenden gelierten Sud aus Fragolino-Trauben salzig-fruchtig akzentuiert, ohne den Lebergeschmack zu überdecken.
Beim Hummer aus der Bretagne (ebenfalls durchdekliniert als Stück vom Schwanz, Tatar und Bisque) beeindruckte auch die Purple-Curry-Note, beim confierten Kabeljau war es das Spiel aus Linsen, Feigen und Senfkörnersauce. Dem Zwischengang namens «unser Zwiebelkuchen» kann ich allenfalls vorwerfen, dass er eine Spur zu mächtig ausfiel. Dramaturgisch klug komponiert war das Reh – erst der Rücken mit Kürbis, Rosenkohl und Verveine, dann, absichtlich mit wenigen Minuten Verzögerung nachgeschoben, Nüsschen mit – diesmal gebratenem – Rosenkohl und Preiselbeeren.
Käse und Friandises vom Wagen – wie in der guten alten Zeit
Natürlich entspricht hier auch der Abschluss des Essens jenen Sitten, die früher üblich waren. Der Käse wird vom Wagen serviert (ich liess ihn nur aus Sättigungsgründen aus), die Friandises danach lagen ebenfalls auf einem Gefährt und fielen zu umfangreich aus, um alle zu probieren, und zu gut, um etwas auszulassen. Ein echtes Dilemma. Dazwischen stellte der Chefpatissier Stefan Leitner noch Zartbitterschokolade mit Mango, Passionsfrucht und einem erstaunlich komplexen Ananas-Tamarinden-Sorbet zu einem phänomenalen Dessert zusammen.
Das Ergebnis begeisterte auf vielen Ebenen all diejenigen, welche Klassik mögen, sowie jene, welche einmal erleben wollten, wie früher gegessen und getrunken wurde in der deutschen und europäischen Spitzengastronomie. Na ja, zumindest im besten Falle. Wer Zeit hat, bleibt in einer der neuen Suiten und testet am nächsten und übernächsten Tag die nahe Konkurrenz: die «Schwarzwaldstube» und das «Sackmann».
Auf einen Blick
Adresse
Restaurant Bareiss, Hermine-Bareiss-Weg, D-72270 Baiersbronn-Mitteltal
Preise
Das Degustationsmenu kostet 330 Euro, das Mittagsmenu 178 Euro, Hauptgerichte sind ab 125 Euro zu haben.
Bewertung durch den Gastrokritiker*
Küche: 10/10, Gastkultur: 10/10
Anmerkung: Die Bewertungen orientieren sich an der denkbaren Höchstnote von 10 Punkten. Die Note für die Küche betrifft ausschliesslich die Qualität der Speisen, jene für Gastkultur umfasst sämtliche übrigen Aspekte eines Restaurantbesuchs.
Der Besuch erfolgte auf Einladung.