Die Zeitschrift hatte sich in der Weimarer Republik gegen den aufkommenden Nationalsozialismus gewandt und wurde von den Nazis später verboten. Nun hat ein Berliner Verleger angeblich die Rechte am Titel gekauft.

Bücher soll man nicht nach ihrem Cover beurteilen, wie aber ist es bei Zeitschriften? Knallrot wie das Original in den 1920er Jahren ist der Umschlag der «Weltbühne» des Jahres 2025. Das Logo ist das gleiche wie ehedem. Auf dem Heftchen, das der Berliner Verleger Holger Friedrich neu auf den Markt bringt, steht: «Gegründet von Siegfried Jacobsohn». Beworben wird das Produkt mit den Sätzen: «Die Weltbühne ist zurück – die Hauptstadt-Revue der gebildeten Stände. Das legendäre Blättchen der Kaiserzeit und der Weimarer Jahre.»

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Der Journalist und Theaterkritiker Siegfried Jacobsohn, der 1905 «Die Schaubühne» gegründet hatte, um sie 1918 in «Die Weltbühne» umzubenennen, starb schon 1926. Er kann sich nicht mehr dagegen wehren, wenn ein geschäftstüchtiger Medienunternehmer so tut, als würde er an alte Traditionen anschliessen. Sein in Amerika lebender Enkel Nicholas tut das umso heftiger. In einer Presseerklärung sagt er: «Die neue Weltbühne von Holger Friedrich gleicht einer Enteignung.» Es geht hier um ein ethisches und ein juristisches Problem.

Vor hundert Jahren war die «Weltbühne» das Organ einer Intelligenz, die sich durch die Zeitläufe nicht nervös machen lassen wollte und dennoch deren Fieberkurven aufzeichnete. Jacobsohn war theaterbesessen und ein grandioser Journalist. Als solcher machte er sich zum «Regisseur einer gedruckten Bühne». Auf dieser Bühne hatten Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky ihre Auftritte als verantwortliche Redaktoren.

Später haben Lion Feuchtwanger, Alfred Polgar, Carl Zuckmayer, Thomas Mann, Erich Kästner und Else Lasker-Schüler Beiträge für das Blatt geliefert. Die Richtung war klar: für Pazifismus, gegen den dräuenden Nationalsozialismus. In der Weimarer Republik warf sich die «Weltbühne» mutig zwischen die Fronten. Das hat ihren Einfluss nicht geschmälert, der weniger aus den Leserzahlen kam als vom Gewicht der hier schreibenden Autoren.

Die antimilitaristische Haltung war Grundlage für die journalistische Aufklärungsarbeit. Unter höchster persönlicher Gefahr berichtete man über die Fememorde der paramilitärischen rechtsradikalen «Schwarzen Reichswehr». Nach dem sogenannten «Weltbühne-Prozess», der 1931 gegen kritische Journalisten und Zeitschriften geführt wurde, musste Carl von Ossietzky ins Gefängnis. 1933 wurde das rote Blatt in Deutschland verboten. Es wurde vom Exil aus weitergeführt. Erst in Wien, dann in Prag. Später in Paris.

Zeitschrift der Putin-Versteher

Die Verleger-Figur Holger Friedrich schillernd zu nennen, ist fast eine Untertreibung. 1966 in Ostberlin geboren, brachte er es in den frühen Zweitausender-Jahren mit einer Softwarefirma zu einigem Wohlstand. 2019 kaufte Friedrich gemeinsam mit seiner Frau das alte DDR-Schlachtross «Berliner Zeitung» vom Dumont-Verlag. Kurz danach wurde öffentlich, dass er in den späten achtziger Jahren als «IM Peter Bernstein» für die Stasi gearbeitet hatte.

Der Nostalgiker Friedrich hat die heruntergekommene publizistische Preziose, die früher als Verlautbarungsorgan der SED diente, modernisiert. Alten Gedanken scheint er aber treu geblieben zu sein. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk nennt das Blatt «Berlinskaja Prawda». Wenn man Putin-Versteher ist und den Westen für den eigentlichen Verursacher des Ukraine-Krieges hält, kann man sich hier mit Meinungen versorgen.

Was Holger Friedrich mit der «Weltbühne» will, scheint schon nach einem kurzen Blick in die Nummer 1 der Neuauflage klar. Mit dem Tucholsky-Satz «Soldaten sind Mörder» eröffnen die beiden Herausgeber Thomas Fasbender und Behzad Karim Khani ihr Editorial. Rhetorisch wird gefragt, was dieser Satz heute bedeutet, und dann kommt es ziemlich dick: «In einer Gegenwart, die Pazifisten wieder verlacht, Rüstung zur Investition umdeklariert und Diplomatie als Appeasement schmäht, behaupten die neuen Kriegstreiber mit ihrem Handwerk für die Freiheit zu kämpfen. Die Weltbühne, die neue wie die alte, hält dagegen. Sie kämpft mit der Freiheit gegen den Krieg.»

Dass der Herausgeber Thomas Fasbender die Kriegstreiber im Westen sieht und nicht etwa in Russland, könnte seine privathistorischen Gründe haben. Bis zum Überfall Putins auf die Ukraine hat er für den russischen Propagandasender «Russia Today» gearbeitet. Er hat auch eine Putin-Biografie verfasst. Ein paar Seiten weiter in der «Weltbühne» schreibt die Schriftstellerin und Journalistin Daniela Dahn über die im Westen um sich greifende «geistige Mobilmachung und den daraus folgenden Massenwahn». Ihr Text macht sich über jene lustig, die meinen, es könnte «der russische Bär, wie seit Jahrhunderten vorhergesagt, in Kürze nun tatsächlich zähnefletschend vor der westlichen Tür stehen». Dahn: «Und das, obwohl es keine diesbezüglichen Drohungen gibt.»

Bedrohungspotenzial sieht Holger Friedrichs Blatt offenbar woanders. In einem denunziatorischen Artikel wirft die deutsch-amerikanische Schriftstellerin Deborah Feldman die Frage auf, ob der Chefredaktor der «Jüdischen Allgemeinen», Philipp Peymann Engel, überhaupt Jude sei. In der Öffentlichkeit ist dieser journalistische Rufmord, der auf keiner realen Grundlage basiert, breit kritisiert worden. Sind solche Dolchstösse wirklich der «Stachel im Fleisch eines verspiesserten Zeitgeists», von dem auf der «Weltbühnen»-Website die Rede ist? Ein schlechter Start für das Magazin und imagemässig vielleicht schon der Anfang von ihrem Ende.

Besondere Rechtslage

Andreas Lubberger, in der Causa «Weltbühne» Anwalt von Nicholas Jacobsohn und schon von dessen Vater Peter, sieht im Gespräch mit der NZZ hier einen Hauptpunkt. «Was Holger Friedrich macht, ist nicht nur ein Verrat an der Idee der ‹Weltbühne›, sondern auch an der jüdischen Familiengeschichte der Jacobsohns.» Man musste vor dem Nationalsozialismus und dem deutschen Antisemitismus fliehen.

Wenn Nicholas Jacobsohn von «Diebstahl» und neuerlicher «Enteignung» des Werks seines Grossvaters spricht, dann sind damit auch jene juristischen Linien vorgegeben, mit denen man die angeblichen neuen Eigentümer des ehemals ehrwürdigen Blattes verklagt. Holger Friedrich beruft sich darauf, dass die Marke «Weltbühne» frei geworden sei, weil sie von den ursprünglichen Eigentümern nicht genutzt worden sei.

Andreas Lubberger allerdings verweist auf die in diesem Fall besondere Rechtslage. Weil das Blatt 1933 in Deutschland verboten wurde, gelten besondere, verschärfte Regeln. Die Marke sei nicht frei. Die Familie Jacobsohn suche schon länger nach möglichen Partnern für eine Wiederbelebung. Man werde das auch weiterhin tun. Im äussersten Fall würden zwei «Weltbühnen» nebeneinander erscheinen. Bis zu den nächsten gerichtlichen Entscheidungen könne ein Dreivierteljahr verstreichen, schätzt Lubberger. Einen Antrag auf einstweilige Verfügung, also auf ein Verbot von Friedrichs Produkt, hält er nicht für sinnvoll.

Zwischen 1905 und 1933 haben die «Die Weltbühne» und ihr Vorgängerblatt «Die Schaubühne» turbulente Zeiten erlebt. Später waren es eher verworrene. «Die alte Weltbühne war nie ein Parteiblatt», heisst es im Editorial der jetzt ganz neuen. Wie man «alt» hier definiert, wird nicht ganz klar, denn nach der Enteignung durch die Nationalsozialisten hat der Titel eine seltsame Karriere durchlaufen. Von Parteiferne kann später keine Rede mehr sein. 1934 übernahmen im Exil die Kommunisten die Macht über das Heft. Man war Stalin gewogen und moskautreu.

1946 wurde die «Weltbühne» in Ost-Berlin neu gegründet und entwickelte sich zum SED-Organ. So, wie es auch die «Berliner Zeitung» war, der andere Teil von Holger Friedrichs heutigen publizistischen Kronjuwelen. 1992 kaufte der westdeutsche Immobilieninvestor Bernd F. Lunkewitz der Treuhandanstalt den Verlag der «Weltbühnen GmbH» ab. Peter Jacobsohn, der Nachfahre des Gründers, prozessierte daraufhin mit Lunkewitz, der es auf ein Ende des Verfahrens nicht ankommen lassen wollte. Er liess den Titel ruhen.

Aus dieser Pattstellung ging eines Tages das «antimilitaristische, pazifistische» Heftchen «Ossietzky» hervor. Vom Verein «Die Weltbühne e. V.», der «Ossietzky» herausgibt, will Holger Friedrich «für viel Geld» die Rechte an der Marke «Weltbühne» erworben haben. Er nennt das einen Coup. Ob es einer war, wird sich erst zeigen. Nicholas Jacobsohn und sein Anwalt sind zuversichtlich.

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