Freitag, Januar 10

Seit Anfang Jahr müssen in den Führungsgremien der Sportverbände 40 Prozent Frauen sein. Die Umsetzung erfolgt schrittweise – doch die Geschlechterfrage nervt selbst engagierte Frauen zunehmend.

Der Schweizer Sport ist seit dem Jahreswechsel fest in Frauenhand, zumindest an der Spitze. Am 1. Januar löste Ruth Metzler offiziell Jürg Stahl als Präsidenten des Schweizer Sportdachverbandes Swiss Olympic ab. Bereits im September hatte Sandra Felix die Leitung des Bundesamts für Sport (Baspo) von Matthias Remund übernommen. Der Exekutivrat von Swiss Olympic setzt sich aus sieben Frauen und fünf Männern zusammen. Sportministerin ist mit Viola Amherd eine Frau.

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Seit Anfang Jahr gibt es eine Geschlechterquote für Führungspositionen. Der Bundesrat hatte in der Revision des Sportförderungsgesetzes 2023 festgelegt: Wer öffentliche Gelder erhalten will, muss im obersten Leitungsorgan beide Geschlechter zu mindestens 40 Prozent haben. Diese Geschlechterquote gilt für die Vorstände und Verwaltungsräte der Verbände, nicht aber für die operative Geschäftsleitung. Ab dem 1. Januar 2026 hat diese Regel auch für Vereine Gültigkeit, die öffentliche Gelder wie etwa Jugend-und-Sport-Beiträge erhalten. Andernfalls drohen Leistungskürzungen.

Eine Geschlechter-, keine Frauenquote

Als das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) die neue Linie vor zwei Jahren kommunizierte, waren Verwirrung und Verunsicherung innerhalb der Sportszene gross. Was genau bedeutet die neue Regelung? Wird nun jedem Schweizer Sportverband oder -verein, dessen Führung die Frauenquote nicht erreicht, der Geldhahn zugedreht? Und wie, bitte sehr, sollen das Sportarten umsetzen, die immer noch stark von Männern geprägt sind, wie etwa das Schwingen?

Vieles, was in den vergangenen Wochen und Monaten zur sogenannten «Frauenquote» gesagt und geschrieben wurde, war schlicht falsch. Es handelt sich um eine Geschlechter-, nicht um eine Frauenquote. Und finanzielle Konsequenzen drohen nicht unmittelbar, sondern erst nach einer Übergangszeit.

Roger Schnegg ist der Direktor von Swiss Olympic und damit grundsätzlich zuständig für die Überprüfung, dass das bundesrätliche Dekret umgesetzt wird. Er sagt: «Erreicht ein nationaler Sportverband die Geschlechterquote noch nicht, muss er gegenüber Swiss Olympic und dem Bundesamt für Sport aufzeigen, mit welchen Massnahmen und bis wann die 40 Prozent erreicht werden können. Er muss also nicht unmittelbar mit der Kürzung der Subventionen rechnen.»

Schnegg sagt, man sehe den Erlass als Impuls, der bereits erste Wirkung zeige, auch wenn längst nicht alle Mitgliedverbände schon heute die Quote von 40 Prozent Frauen in Führungspositionen erfüllten.

Zurzeit fehlt ein schlüssiger und verlässlicher Überblick darüber, wer die Auflagen des Bundesrats bereits umgesetzt hat. Bekannt ist etwa, dass Sportarten wie Volleyball, der Turn- oder der Tennisverband keinerlei Schwierigkeiten damit haben. Im Fussball und im Eishockey, die bis vor kurzem noch als typisch männliche Domänen galten, ist das anders.

Kathrin Lehmann profitierte von der Quote

Kathrin Lehmann war Nationalspielerin im Fussball und im Eishockey. Nach der Karriere studierte sie Wirtschaft, baute ein eigenes Unternehmen auf, mit dem sie Events und Sportcamps durchführt und die Veranstalter berät. Zusätzlich arbeitet sie als Co-Kommentatorin bei der SRG, für die sie am Radio Fussball-Länderspiele live kommentiert.

Lehmann sitzt zudem im Verwaltungsrat von Swiss Ice Hockey und im Exekutivkomitee von Swiss Olympic. Sie profitiert indirekt von der Geschlechterquote. Die in München lebende Zürcherin sagt, Amherds Initiative habe einiges angestossen. Doch klar sei auch: «Wir Frauen müssen weiterhin mit grossen Schritten aufholen.» Sie widerspricht dem Klischee, nach dem sie sich als Frau stärker habe beweisen müssen als ein Mann. «Ich habe meinen Rucksack. Viele mögen nicht auf dem Schirm haben, dass ich über zwölf Jahre lang mein eigenes Unternehmen aufgebaut habe. Wer immer in die Position kommt, ein solches Amt zu übernehmen, ist meist bereits in der Privatwirtschaft tätig gewesen.»

Das grundlegende Problem sieht Lehmann nicht in einer unterschwelligen Skepsis gegenüber Frauen. Sondern im System. Einen Posten in einem Verband zu übernehmen, sei nicht lukrativ. Und die besten Frauen, die sich für entsprechende Aufgaben interessierten, würden heute bereits von der Wirtschaft abgegriffen, die meist lukrativere Angebote mache. «Auch in dieser Hinsicht hat der Sport grossen Nachholbedarf. Wenn man jüngere Menschen für solche Aufgaben begeistern will, egal ob Frauen oder Männer, dann muss sich der Sport schon überlegen, wie attraktiv er ein solches Mandat honorieren will.»

Lehmann findet eine Quote zwar gut, aber nur für eine Übergangszeit, bis der Prozess zur Gleichstellung der Frauen auch in der Sportadministration angestossen sei. «Wichtiger sind der Glaube an sich selbst und die Fähigkeit, sich und seine Stärken richtig einzuschätzen. Man muss sich die Frage stellen: Was kann ich bieten, und was können andere besser, um jene Stellen zu umkurven, an denen das Eis dünn wird?»

Das ist ein wunderbares Bild für eine ehemalige Eishockeyspielerin – und wahrscheinlich auch ein Schlüssel für Lehmanns Erfolg. Sie weiss ihre Fähigkeiten einzuschätzen und umgeht jene Bereiche, in denen sie weniger sattelfest ist. Rhetorisch ist Lehmann ausgesprochen begabt. Auch deshalb zählt sie auf dem sportpolitischen Parkett zu den Aufsteigerinnen der vergangenen zwei Jahre. Einzig der Schweizerische Fussballverband (SFV) wollte sie nicht in den Verwaltungsrat berufen – trotz Frauenmangel.

Der SFV reagierte auf den bundesrätlichen Erlass mit der Aufstockung des Verwaltungsrats um zwei Personen und wählte die Nationalrätin Aline Trede (40, Grüne) sowie die Waadtländer Staatsratspräsidentin Christelle Luisier Brodard (49, FDP). Dass beide selbst nie Fussball auf höherem Niveau gespielt haben, spielte keine Rolle. Ihre Vernetzung in der Politik war entscheidender. So war das bereits bei der Wahl von Ruth Metzler an die Spitze von Swiss Olympic im vergangenen November, als sich die frühere Bundesrätin gegen Markus Wolf durchsetzte.

Das Beispiel des Schweizerischen Fussballverbands dürfte Schule machen. Die Sportverbände müssen bei der Besetzung ihrer Führungspositionen umdenken: Bisher war der Einsitz in einen Verwaltungsrat oder einen Vorstand eine Art Belohnung für vergangene Dienste; heute sind Fachkompetenz in der Vermarktung oder der Rechtsprechung wichtiger als persönliche Erfahrungen in der Ausübung der Sportart, die sie vertreten sollen. Auch Swiss Ice Hockey denkt mittlerweile in diese Richtung und will seinen Verwaltungsrat aufstocken und umbesetzen.

Das Interesse der Frauen ist durchaus vorhanden

Doch wo findet man kompetente Frauen, die bereit sind, einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit in den Dienst des Sports zu stellen? Sportif ist ein Netzwerk für Sportlerinnen und Frauen, die sich beruflich oder privat im Sport engagieren möchten. Ab nächstem Frühjahr bietet die Organisation zusammen mit SheSkillz Global und Swiss Olympic ein Mentoring-Programm an, das den Namen «Leadership has no gender» trägt. Es richtet sich an Frauen, die in die Führung einer Sportorganisation einsteigen wollen. Für das erste Modul sind alle 25 angebotenen Plätze bereits ausgebucht. Das zeigt: Es gibt – allen Vorurteilen zum Trotz – durchaus Frauen, die sich im Sport engagieren möchten. Das oft vorgebrachte Argument, zu wenige Frauen könnten oder wollten sich für den Sport engagieren, erweist sich als nicht stichhaltig.

Claudia Lämmli ist Mitglied in der Direktion von Swiss Ski. Der Verband erfüllt die Vorgabe aus Bundesbern auf der obersten Führungsebene noch nicht. Lämmli sagt, ihr Verband sensibilisiere die Frauen bei Vakanzen. «Positiv werten wir, dass der Frauenanteil in den Vorständen unserer Klubs mittlerweile bei rund 36 Prozent liegt. Bei Swiss Ski verfolgen wir das strategische Ziel, die Ausgewogenheit der Geschlechter auf allen Stufen zu fördern. Mir persönlich liegt dieser Ansatz näher, als auf Biegen und Brechen eine bestimmte Quote erreichen zu müssen.»

Frau oder Mann? Thomas Peter, der Geschäftsführer von Swiss Cycling, fasst die Thematik gar noch weiter. Für ihn greift das Geschlechterstereotyp generell zu kurz. «Wenn man Diversity will, dann sind andere Kriterien wie jung oder alt oder die Sprachenvielfalt ebenso entscheidend. Nur von Frauen und Männern zu sprechen, ist mir zu plakativ. Wenn wir modern sein wollen, müssen wir davon wegkommen.»

Noch bleiben den säumigen Verbänden zwölf Monate Zeit, um das nötige weibliche Personal zu rekrutieren. Erst dann drohen Kürzungen der finanziellen Unterstützung, sollten die Geschlechter in ihren Vorständen und Verwaltungsräten nicht angemessen repräsentiert sein.

Manch einer schielt verstohlen Richtung Bundeshaus, wo mittlerweile offen über den Rücktritt der Sportministerin Viola Amherd spekuliert wird. Vielleicht, so mag der eine oder die andere hoffen, wird sich das Problem dann von selbst lösen.

Doch wer so denkt, irrt. Die Geschlechterquote ist nicht allein eine Idee der Bundesrätin Viola Amherd, sondern eine Verordnung des Gesamtbundesrats, die nicht einfach wieder umgestossen werden kann. Die neue Baspo-Direktorin Sandra Felix kontrolliert die Umsetzung der Leistungsvereinbarung, an die die Vergabe der Bundesgelder geknüpft ist. Sie sagt, es gehe nicht darum, irgendjemandem den Stecker zu ziehen und Unterstützungsgelder zu kürzen. «Wenn ein Verband schlüssig erklären kann, weshalb er die Auflagen noch nicht umsetzt, und geeignete Massnahmen aufzeigt, dann wird er bestimmt nicht mit Sanktionen belegt.»

Felix verteidigt den Erlass der Geschlechterquote, obwohl sie selbst keine Anhängerin solcher Massnahmen ist – sie widersprechen ihrer liberalen Haltung. «Im Prinzip wäre es schön, wenn es ohne eine Quote funktionieren würde. Doch die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass eine solche Quote wohl nötig war.»

Auch die Bündnerin nimmt eine positive Dynamik wahr. Doch teilweise hafte Frauen in Schlüsselpositionen noch das Image der Quotenfrau an. Von solchen Zuschreibungen gelte es sich zu lösen, sagt Felix. «Das Thema ‹Mann oder Frau?› nervt mich zunehmend. Es geht nicht um das Geschlecht, sondern um die Qualifikationen und die Persönlichkeit, die Qualität der Person, die eine Funktion ausfüllen soll. Stimmen diese, ist es für mich zweitrangig, ob es sich bei der betreffenden Person um eine Frau oder einen Mann handelt.»

Mit dieser Haltung ist Sandra Felix der Zeit wohl noch einen Schritt voraus.

Mitarbeit: Eva Breitenstein

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