Montag, Oktober 7

Auf dem Balkan war die Abhängigkeit von russischem Gas lange Zeit besonders gross. Als alternative Versorgungsroute spielt die nordostgriechische Hafenstadt Alexandroupolis eine zentrale Rolle.

Die längste Zeit strömte Gas in Südosteuropa von Norden nach Süden. Über die sogenannte Trans-Balkan-Pipeline gelangte der flüchtige Energieträger aus der Ukraine nach Rumänien und von dort weiter nach Bulgarien, Griechenland, in die Staaten des ehemaligen Jugoslawien und bis in die Türkei.

Seit einigen Jahren besteht mit Turkstream eine Alternative. Eine Unterwasserleitung bringt das Gas durch das Schwarze Meer in den europäischen Teil der Türkei, wo es teils ins türkische Netz eingespeist und teils weiter nach Bulgarien, Serbien und Rumänien gepumpt wird.

Gemeinsam ist beiden Leitungen, dass sie grossmehrheitlich Gas aus Russland transportieren. Entsprechend hoch ist traditionell die Abhängigkeit von russischem Gas in der Region. Bulgarien etwa deckte bis 2022 drei Viertel seines Bedarfs aus Russland. In Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina oder der Moldau lag der Wert sogar bei 100 Prozent.

Flüssiggas aus den USA, Erdgas aus Aserbaidschan

Im Bemühen, diese Abhängigkeit zu reduzieren, ist nun ein weiterer wichtiger Meilenstein erreicht worden. Anfang Monat hat das schwimmende Terminal für verflüssigtes Erdgas (LNG) vor der nordgriechischen Hafenstadt Alexandroupolis den kommerziellen Betrieb aufgenommen. Die auf einem umgebauten LNG-Tanker installierte Anlage kann pro Jahr 5,5 Milliarden Kubikmeter Gas verarbeiten, das auf dem Seeweg über das Mittelmeer angeliefert wird, etwa aus den USA, Katar oder Ägypten.

Die Kapazität entspricht ungefähr dem Jahresverbrauch Griechenlands. Doch ein Grossteil davon, etwa 70 Prozent, sind für den Reexport bestimmt, vor allem über Bulgarien. Neben vier griechischen und zypriotischen Firmen ist deshalb auch der bulgarische Gasnetzbetreiber Bulgartransgaz am Joint Venture für das neue Terminal beteiligt.

Seit Oktober 2022 sind die beiden Nachbarstaaten durch eine 160 Kilometer lange Pipeline verbunden. Dadurch wurde Bulgarien auch an jene Leitung angeschlossen, die Gas aus Aserbaidschan über die Türkei und Griechenland bis nach Italien liefert. Seither bezieht auch Bulgarien aserbaidschanisches Gas. Mit dem LNG-Terminal kommt nun eine weitere Bezugsquelle für Gas hinzu, das nicht aus Russland stammt.

Sowohl die Verbindung zwischen Griechenland und Bulgarien als auch das Terminal waren mehr als ein Jahrzehnt in Planung und seit Jahren im Bau. Der Überfall auf die Ukraine hat dem Ziel einer diversifizierten Energieversorgung aber die notwendige Dringlichkeit verliehen, so dass die Projekte auch zu Ende geführt wurden.

Transit durch die Ukraine endet bald

Diese Dringlichkeit ist auch in andern Ländern der Region zu spüren. Am Vertikalen Gaskorridor, einer transnationalen Initiative zum Ausbau der Gasinfrastruktur in Südost- und Mittelosteuropa, sind mittlerweile Gesellschaften aus Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, der Slowakei, der Moldau und der Ukraine beteiligt. Mit Ausnahme Rumäniens, das über beträchtliche eigene Vorkommen verfügt, ist der Gastransport von Süden nach Norden für die Versorgungssicherheit all dieser Länder zunehmend von zentraler Bedeutung.

Das gilt auch für jene Staaten, die bis jetzt noch stark von russischem Gas abhängig sind, etwa Ungarn. Ende dieses Jahres läuft der Transitvertrag zwischen Gazprom und der Ukraine aus. Trotz dem Krieg lieferte Russland im vergangenen Jahr immer noch 15 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Ukraine nach Europa. Eine Erneuerung des Abkommens ist unwahrscheinlich.

Neben Brüssel ist Washington ein wichtiger Fürsprecher und Unterstützer des Vertikalen Gaskorridors. Am Kapazitätsausbau des bulgarischen Pipelinenetzwerks etwa, der im Juni in Angriff genommen wurde, ist auch eine amerikanische Firma beteiligt. Das hat nicht nur geostrategische Gründe. Durch die drastisch gestiegene Nachfrage nach nichtrussischem Gas in Europa sind die USA zum grössten Exporteur von verflüssigtem Erdgas geworden.

Boom in der Provinzstadt

Der Krieg in der Ukraine hat Alexandroupolis einen Boom beschert. Der strategisch günstig gelegene Hafen im nordöstlichsten Zipfel Griechenlands ist zu einem zentralen logistischen Drehkreuz der amerikanischen Armee für Südosteuropa und die militärische Unterstützung der Ukraine geworden. Im März dieses Jahres wurde erstmals eine gesamte Brigade über den Hafen verlegt.

Doch auch für die regionale Energieversorgung wird die kleine Stadt immer wichtiger, nicht nur wegen des LNG-Terminals. In der Nähe von Alexandroupolis ist ein Gaskraftwerk im Bau. Die Anlage soll Ende nächsten Jahres ans Netz gehen und auch Nachbarländer mit Energie versorgen. Unter anderem ist die staatliche Stromgesellschaft aus Nordmazedonien am Projekt beteiligt.

Ebenfalls im Gespräch ist der Bau einer Ölpipeline von Alexandroupolis nach Burgas an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Pläne dafür existieren seit den neunziger Jahren. Damals handelte es sich um ein von Moskau unterstütztes Vorhaben, das russisches Öl ans Mittelmeer transportieren sollte.

Nun soll das Öl in die umgekehrte Richtung fliessen und so Alternativen zu Russland bieten. Sofia hatte sich eine Ausnahmebewilligung vom gegen russisches Öl gerichteten europäischen Sanktionsregime ausgehandelt, die grundsätzlich noch bis Ende des Jahres gilt. Allerdings importiert das Land bereits seit März kein russisches Öl mehr.

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