Joe Biden fordert beachtliche Neuerungen am höchsten amerikanischen Gericht: Diese sollen das Urteil zur Immunität von Präsidenten annullieren und die Amtszeit der Richter beschränken. Die Republikaner dürften dies verhindern, aber vielen Wählern könnten die Vorschläge gefallen.
Während vieler Jahre sträubte sich Joe Biden gegen eine Reform des Supreme Court. Der linke Flügel seiner Demokratischen Partei drängte schon lange darauf. Doch nun ist auch der amerikanische Präsident zur Überzeugung gekommen, dass das Oberste Gericht nicht mehr richtig funktioniert. In einem Gastbeitrag für die «Washington Post» skizzierte er am Montag einen Drei-Punkte-Plan. Später am Nachmittag führte er diesen bei einem Auftritt in der Bibliothek des ehemaligen Präsidenten Lyndon Johnson in Austin weiter aus.
Biden arbeitete bereits vor dem Verzicht auf seine Wiederwahl an diesem Reformplan. Der berüchtigte Tropfen, der das Fass für ihn zum Überlaufen brachte, war womöglich das Urteil des Supreme Court zur Immunität von amerikanischen Präsidenten vom 1. Juli. Die konservative Richtermehrheit gewährte dem Oberbefehlshaber darin weitgehenden Schutz vor Strafverfolgung für offizielle Amtshandlungen. Das Urteil setze einem Präsidenten praktisch keine gesetzlichen Grenzen mehr, schrieb Biden am Montag. «Wenn ein künftiger Präsident einen gewalttätigen Mob dazu anstiftet, das Capitol zu stürmen, um einen friedlichen Machtwechsel zu verhindern – wie wir es am 6. Januar 2021 gesehen haben –, könnte es keine rechtlichen Konsequenzen geben. Und das ist nur der Anfang.»
Das Oberste Gericht werde instrumentalisiert, um eine «extreme Agenda» voranzutreiben, warnte Biden am Nachmittag in Austin bei einer Gedenkfeier zur Unterzeichnung des Bürgerrechtsgesetzes von 1964 durch Präsident Johnson. Die Republikaner planten einen neuen Angriff auf die Bürgerrechte, wobei der Supreme Court oft als letzte Instanz über diese entscheiden werde. Deshalb brauche es Reformen, erklärte der Präsident.
Zwei Richter pro Amtszeit
Als Erstes schlägt Biden deshalb einen neuen Verfassungszusatz mit dem Titel «Niemand steht über dem Gesetz» vor. Dieser soll klarstellen, dass es für Präsidenten keinerlei Immunität für im Amt begangene Verbrechen gibt. Damit würde das Urteil des Supreme Court praktisch annulliert. Er teile die Überzeugung der amerikanischen Gründerväter, meinte Biden: «Wir sind ein Land der Gesetze – nicht der Könige oder Diktatoren.»
Als Zweites verlangt der Präsident eine Amtszeitbeschränkung für Oberste Richter auf 18 Jahre. Da der Supreme Court insgesamt 9 Richter umfasst, könnte so künftig jeder amerikanische Präsident in einer Amtszeit 2 neue Richter ernennen. Dies würde die Politisierung und den Machtmissbrauch verhindern, der zur heutigen Situation geführt hat. Vor acht Jahren blockierten die Republikaner im Senat die Nomination eines Obersten Richters in Barack Obamas letztem Amtsjahr. So kurz vor einer Wahl sei es nicht angebracht, eine Vakanz zu füllen, argumentierten die Konservativen. Nach Trumps Wahlsieg konnten sie den freien Sitz mit einem Richter besetzen. Im Wahljahr 2020 wollten sie von ihrem früheren Argument zudem nichts mehr wissen. Nach dem Tod von Ruth Bader Ginsburg berief Trump kurz vor dem Wahltermin die konservative Richterin Amy Coney Barrett.
Durch diese umstrittenen Winkelzüge konnte Trump in nur einer Amtszeit drei Richterposten am Supreme Court besetzen. Dies hatte einschneidende Folgen. Unter anderem kippte das Oberste Gericht 2022 nach einem halben Jahrhundert das landesweite Recht auf Abtreibung.
Als Drittes fordert Biden einen bindenden Ethikkodex für die Obersten Richter, wie er sonst auch für alle anderen Bundesrichter gelte. Vor allem das öffentliche Vertrauen in die beiden konservativen Richter Clarence Thomas und Samuel Alito hat gelitten. Thomas soll in der Vergangenheit teure Geschenke für 2,4 Millionen Dollar von republikanischen Geldgebern angenommen haben. Seine Frau ist zudem eine konservative Aktivistin und glühende Trump-Anhängerin. Alitos Frau ihrerseits liess nach Trumps Wahlniederlage 2020 vor ihrem Haus eine auf den Kopf gestellte amerikanische Flagge wehen, wie sie auch beim Sturm auf das Capitol zu sehen war. Trotzdem traten beide Richter etwa beim für Trump wichtigen Immunitäts-Urteil nicht in den Ausstand. Der von Biden vorgeschlagene Ethikkodex soll dies künftig auch bei möglichen Interessenkonflikten der Ehefrauen einfordern.
Unrealistisch, aber populär
Bidens Reformplan hat indes kaum Chancen auf eine Umsetzung. Eine Verfassungsänderung ist in den USA enorm schwierig. Sie braucht in beiden Parlamentskammern eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen und muss dann auch von drei Vierteln der gliedstaatlichen Legislativen ratifiziert werden. Es ist zudem umstritten, ob für Amtszeitbeschränkungen der Obersten Richter ein neues Gesetz ausreicht oder ob es ebenfalls eine Verfassungsänderung braucht. Aber auch für ein Gesetz brauchen die Demokraten eine qualifizierte Mehrheit von 60 der 100 Stimmen. Sie müssten daher einige Republikaner von der Reform überzeugen können. Das dürfte kaum möglich sein.
Im Hinblick auf die Wahl im November könnte Bidens Initiative den Demokraten jedoch helfen. Eine Mehrheit von 56 Prozent der Bürger ist unzufrieden mit dem Obersten Gericht, nur 36 Prozent sind mit seiner Arbeit zufrieden. Deshalb betonte Biden am Montag: «Alle drei Reformen werden von einer Mehrheit der Amerikaner unterstützt.»
Tatsächlich lässt der Präsident mit seinen Vorschlägen auch eine gewisse Vorsicht walten. Er verzichtet bewusst auf eine oft diskutierte personelle Aufstockung des Supreme Court auf 13 Richter. Damit hätte Biden in seiner Amtszeit theoretisch vier neue Sitze besetzen und die konservative Mehrheit neutralisieren können. Eine solche Reaktion auf die Politisierung durch die Republikaner würde indes eine weitere Politisierung durch die Demokraten bedeuten, wie die «Washington Post» kommentierte. Biden hingegen scheint mit seinem Reformplan die Parteipolitik bei der Nomination von Obersten Richtern entschärfen zu wollen. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur AP sprach sich selbst eine Mehrheit der republikanischen Wähler (57 Prozent) für Amtszeitbeschränkungen für Richter des Supreme Court aus.
Vizepräsidentin Kamala Harris stellte sich am Montag hinter Bidens Reformplan. «Der Supreme Court steckt eindeutig in einer Vertrauenskrise», erklärte die voraussichtliche Präsidentschaftskandidatin der Demokraten. Der republikanische Speaker des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, bezeichnete die Vorschläge jedoch als «gefährliches Manöver». In seiner Parlamentskammer habe die Reform keinerlei Überlebenschancen. Sie werde bereits bei ihrer Ankunft tot sein – «dead on arrival».

