Die fahnenflüchtige Konservative Natalie Elphicke ist ein Beispiel für Doppelmoral in Westminster.
Der parlamentarische Betrieb in Westminster wirkt mit seinen jahrhundertealten Traditionen immer etwas theatralisch. In den vergangenen Tagen aber stand die Unterhausabgeordnete Natalie Elphicke im Zentrum eines besonders eigentümlichen Dramas, das in rasantem Tempo zur politischen Posse verkam.
Ihren Anfang nahm die Geschichte mit einem Paukenschlag. Zu Beginn der Fragestunde des Premierministers Rishi Sunak Mitte letzter Woche durchquerte Elphicke das Unterhaus und lief von den Bänken der Konservativen zu jenen von Labour über. Solche Parteiwechsel sind relativ selten und lösen grossen medialen Wirbel aus.
Affäre um verurteilten Ex-Mann
Der Labour-Chef Keir Starmer bezeichnete Elphickes Fahnenflucht als Zeichen für den Zerfall der Konservativen Partei. Zudem inszenierte er sich wenige Tage später an der Seite der neuen Parteikollegin in deren Wahlkreis in Dover an der englischen Südküste, um Premierminister Sunaks Versagen im Kampf gegen die Bootsmigration über den Ärmelkanal anzuprangern.
Allerdings ist Elphicke, die bei der anstehenden Unterhauswahl nicht zur Wiederwahl antritt, kein unbeschriebenes Blatt. Nicht nur ihre harten migrationspolitischen Positionen bereiteten etlichen Labour-Abgeordneten Bauchschmerzen. Für Irritationen sorgten gerade bei Labour-Frauen auch problematische Aussagen der Politikerin über ihren ehemaligen Gatten Charlie Elphicke, dessen Unterhaussitz sie 2019 nach einem intransparenten Verfahren geerbt hatte.
2020 verurteilte ein Gericht Charlie Elphicke wegen zweier sexueller Übergriffe, wobei er von einem dritten Vergewaltigungsvorwurf freigesprochen wurde. Natalie Elphicke erklärte, ihr Ex-Mann habe keinen fairen Prozess erhalten und sei als attraktiver Mann ein «leichtes Ziel» gewesen. Er werde bestraft, weil er charmant, vermögend, charismatisch und erfolgreich sei.
Zwei Tage nach ihrem Parteiwechsel entschuldigte sich Elphicke für ihre damaligen Aussagen. Und doch weitete sich ihre Geschichte endgültig zur Affäre aus: So enthüllte die «Sunday Times», dass Elphicke 2020 mehrmals in der Angelegenheit ihres früheren Gatten beim damaligen Justizminister Robert Buckland interveniert hatte.
Zuerst verlangte sie, dass der Prozess vom Southwark Crown Court in London an ein weniger prominentes Gericht verlegt werde, um das Verfahren aus dem öffentlichen Scheinwerferlicht zu rücken. Nach dem Urteilsspruch wurde die ehemalige Tory-Abgeordnete erneut bei Buckland vorstellig mit dem Wunsch, die Haftbedingungen ihres früheren Gatten zu verbessern.
Doppelmoral hüben wie drüben
Elphicke hat zwar die Darstellung Bucklands bestritten, aber die Treffen nicht dementiert. Dass eine Parlamentsabgeordnete in einer privaten Rechtsangelegenheit beim Oberaufseher über den Justizapparat interveniert, riecht nach Vetternwirtschaft und Missachtung der Gewaltenteilung.
Keir Starmer hat in den letzten Jahren immer wieder Affären, Sexskandale und Filz in den Reihen der Tory-Partei angeprangert und sich als Garant höchster Standards im öffentlichen Dienst inszeniert. Umso heuchlerischer wirkt es nun, wie sich die Labour-Partei ziert, eine Untersuchung gegen ihr neues Parteimitglied einzuleiten.
Auch die Konservative Partei macht keine gute Falle. So hatte sich Justizminister Buckland aus heiterem Himmel an das problematische Gespräch mit Elphicke erinnert – wenige Tage nach ihrer Fahnenflucht. Süffisant erklärte Aussenminister David Cameron, Elphickes Verhalten als Tory-Abgeordnete sei nun nicht mehr das Problem der Konservativen, sondern von Labour.
Noch scheint der letzte Akt im Drama um den Parteiwechsel nicht geschrieben zu sein. Dennoch kann man es dem britischen Publikum kaum verübeln, wenn es angesichts der parteipolitisch motivierten Doppelmoral bereits jetzt die Nase rümpft und sich vom Spektakel abwendet.