Donnerstag, Oktober 3

Die starke US-Konjunktur bringt höhere Inflation und damit steigende Zinsen. Der seit Oktober währende Aufwärtstrend an den Aktienmärkten ist gebrochen. Vieles spricht dafür, dass die Kurse in den kommenden Wochen fallen werden.

Zwei Entwicklungen haben das Bild der internationalen Finanzmärkte in den vergangenen Wochen deutlich verändert: In den USA sind die Zinsen auf Staatsanleihen deutlich gestiegen, auf fast 4,7% für zehnjährige Treasuries. Ausserdem haben die Börsen mit Verspätung auf den ersten kriegerischen Angriff des Irans gegen Israel reagiert.

Die Konsequenz: Der Aufwärtstrend an den Aktienmärkten seit Ende Oktober wurde scharf gebrochen. Offensichtlich beginnt international eine mehrwöchige Abwärtsphase.

Am negativsten für die Aktienmärkte ist der Anstieg der Inflation in den USA, der entsprechend auch zum Anstieg der Anleiherenditen beigetragen hat. In Europa haben die Inflationsraten zwar eine Abwärtstendenz aufgewiesen in den vergangenen Monaten (im Gegensatz zu den USA), aber die Währungsentwicklung könnte die Teuerung antreiben: Ein anhaltend schwacher Euro relativ zum Dollar verteuert die ohnehin im Preis steigenden Rohstoffe (von Öl bis Kupfer) zusätzlich.

Es könnte sich rächen, dass Europa immer mehr auf das Modell Italien zusteuert. Das heisst Abwertung und hohe Neuverschuldung, in Italien zuletzt mit einem Staatsdefizit von 7,2% gemessen am BIP. Damit könnten in Zukunft auch in Europa die Inflationsraten steigen, mit Belastungen für die Anleihenmärkte. Die Europäische Zentralbank (EZB) hätte dann ein Problem dabei, die Zinsen ab Juni (wie von mehreren EZB-Mitgliedern mehr oder minder fest zugesagt) zu senken. Damit wären nicht nur in den USA, sondern vielleicht auch in Europa baldige Zinssenkungen in Frage gestellt.

In den USA gehen einige Marktbeobachter sogar von notwendigen Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung aus. JPMorgan-Chef Jamie Dimon hält sogar Zinserhöhungen bis 8% für möglich.

Fundamental ist die Konjunkturentwicklung international unübersichtlich, in Europa sogar eher schwach. Die Aktienmärkte haben bisher nicht abwärts reagiert, sondern die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (nicht die Gewinne) sind sogar deutlich gestiegen, was fundamental die Aussichten für die Aktienmärkte keineswegs begünstigt.

Der monetäre Faktor ist die grösste Hoffnung der internationalen Aktienmärkte. Man setzt auf baldige Zinssenkungen, die dann den Konjunkturaufschwung bringen sollen. Wenn sich jetzt aber international die erwarteten Zinssenkungen verzögern, ist auch dieser Einflussfaktor auf die Börsen vorläufig nicht mehr positiv.

Der dritte Kursbestimmungsfaktor neben der fundamentalen und der monetären Entwicklung ist nach unserer FMM-Theorie die Markttechnik. Hier haben die jüngsten Kursverluste an den Aktienmärkten zwar den vorher exzessiven Optimismus auf neutrale Stimmungsniveaus gesenkt (Fear & Greed-Index bei 38), aber die Stimmungsindikatoren sind von Kaufsignalen (hoher Pessimismus) weit entfernt.

Aktienanleger können Zinsausblick nicht länger ignorieren

Der monetäre Faktor dürfte in nächster Zeit am wichtigsten für die Aktienmärkte bleiben. Solange die US-Konjunktur sich gut entwickelt (Einzelhandelsumsätze zuletzt sehr positiv), dürfte die erhoffte Zinssenkung noch auf sich warten lassen, während sich die Aktienmärkte an die neue Zinsrealität anpassen, welche sie schon das ganze Jahr bisher nicht wahrhaben wollten.

Das Zinsniveau in den USA bzw. die Kurse der Staatsanleihen werden hauptsächlich durch die Notenbankpolitik bestimmt. Wenn hier wie im Moment kein neuer Trend einsetzt, könnten Angebot und Nachfrage am Bondmarkt wichtig sein. Durch die hohe US-Neuverschuldung kamen im ersten Quartal 7 Bio. $ an neuen Anleihen an den Markt. Das ist mehr als im zweiten Quartal 2020, als sich die USA wegen der Covid-Pandemie extrem verschuldeten. Im ersten Quartal wurde über eine halbe Billion an neuen Unternehmensanleihen emittiert, was ein Rekordangebot an solchen Wertschriften darstellt. Auch die Prognosen für die US-Staatsverschuldung mit einem Anstieg von heute 28 auf 48 Bio. $ in zehn Jahren gegenüber 13 Bio. $ vor zehn Jahren könnten psychologisch die Anleihemärkte in den USA belasten (ähnlich wie im vorigen Jahr in Grossbritannien, als man sich stark neu verschulden wollte).

Die jüngsten amerikanischen Teuerungsraten haben den Trend der zurückliegenden drei Monate zu höherer Inflation bestätigt. Annualisiert auf drei und sechs Monate sind die Teuerungsraten wieder auf deutlich höherem Niveau angelangt und sind mit fast 4% weit von der 2%-Zielrate der US-Notenbank entfernt. Die Kern-Teuerungsrate liegt bei 3,8%, die Kern-Teuerungsrate im Dienstleistungssektor ohne Wohnungs- und Mietkosten sogar bei 4,8%.

Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit für eine Zinssenkung im Juni auf 27% gesunken, und die meisten Beobachter gehen jetzt von einer ersten Zinssenkung bei den Federal Funds um 25 Basispunkte im September aus. Die Notenbank-Mitglieder werden in ihrer Neueinschätzung der Lage (Aufschub bzw. Wegfall der Zinssenkung) unterstützt durch die zumindest auf den ersten Blick guten amerikanischen Arbeitsmarktzahlen.

Während die Anleihemärkte zwei Drittel des Kursanstiegs seit Oktober letzten Jahres seit Anfang Januar wieder verloren und damit auf die veränderten Zinserwartungen reagiert haben, haben die Aktienmärkte bisher die höheren Renditen (für zehnjährige Anleihen von 3,8% auf über 4,6%) ignoriert, ebenso die verminderte Anzahl von FED-Zinssenkungen (vgl. Grafik unten). Eine solche Korrektur auch der Aktienmärkte könnte jetzt stattfinden.

Markttechnik spricht für Kurskorrektur

Auch aus markttechnischen Gründen ist eine Korrektur der Aktienkurse an Wallstreet (aber auch weltweit) realistisch. Die Optimismuszahlen liegen teilweise über vergleichbaren Werten aus dem Sommer 2023 und dem Herbst 2021, worauf dann deutliche zweistellige Marktkorrekturen folgten. Die Fondsmanager Barreserven zum Beispiel fielen auf nur noch 4,2%. Andere frühere Index-Hochpunkte wie im Januar 2018 können mit der heutigen Situation verglichen werden. Auch damals folgten deutliche Marktkorrekturen.

Am meisten drängt sich der Vergleich der heutigen Situation aber mit dem Jahr 2000 auf. Eine vergleichbare Konzentration der Anlegergelder in nur ganz wenigen grossen Modeaktien gab es nur zuletzt und 2000 sowie 1929. Einschränkend kann man sagen, dass unter Herausrechnung der grossen Modeaktien die Aktienmärkte in den USA, aber auch international zwar nicht unterbewertet, aber auch nicht überbewertet erscheinen, sondern ein dem Zinsniveau angemessenes Bewertungsniveau haben. Dies könnte zu einem in Zukunft relativ besseren Abschneiden von kleineren und mittleren Aktien sowie preiswerten substanz- und dividendenstarken Value-Aktien (z.B. Öl-Titel, Versorger) führen.

Die Anleger reagieren auf die schwierige politische und wirtschaftliche Entwicklung Europas im Vergleich zu den USA mit Dollar-Käufen. Auch die deutlich höheren Zinsen in den USA unterstützen die Dollar-Aufwärtsbewegung (Zinsschere zwischen US-Staatsanleihen und Bundesanleihen auf Fünfjahreshoch).

Goldpreis von 2550 $ mittelfristig realistisch

Die unsichere Entwicklung in Politik und Wirtschaft hat auch dazu geführt, dass der Goldpreis ein neues historisches Hoch erreichte: In Euro gerechnet hat der Goldpreis (inkl. des um 6% gestiegenen Dollars) um 37% seit Anfang 2022 zugelegt. Eigentlich sollte man erwarten, dass bei einem steigenden Dollar und wieder höheren Zinsen in den USA der Goldpreis fällt. Aber das Einfrieren der russischen Devisenreserven (und der geplante Transfer der Zinsen aus diesen Devisen an die Ukraine) haben dazu geführt, dass die Regierungen der Mehrheit der Weltbevölkerung für ihre Devisenreserven eher Gold als amerikanische Staatsanleihen (wie in der Vergangenheit üblich) gekauft haben.

Besonders Chinas Zentralbank kauft seit siebzehn Monaten ununterbrochen Gold. Auch die chinesische Bevölkerung, die ihre Ersparnisse früher zu 70% in Immobilien investierte, schwenkt zunehmend auf die Goldanlage um, da chinesische Staatsanleihen mit weniger als 2,3% abgesehen von japanischen Staatsanleihen weltweit am wenigsten Zins einbringen und der Aktienmarkt am schwächsten tendierte.

Gold erreichte mit über 2400 $ pro Unze (über 2200 €) ein neues historisches Hoch. Markttechnisch (Schwankungsindikatoren, Optimismuswerte bis 76%) erscheint Gold damit konsolidierungsbedürftig. Mittelfristig dürfte das charttechnische Kursziel von 2550 $ aber nach wie vor realistisch sein.

Der Hauptpluspunkt für Gold ist die Tatsache, dass die (überwiegend aus US-Geldern bestehenden) Gold-ETF volumenmässig noch fast auf dem Tiefstand der letzten drei Jahre stehen. 2023 fielen die Gold-ETF-Bestände um 254 Tonnen und 2024 nochmals um 120 Tonnen auf ca. 2500 Tonnen. An den US-Anlegern ist der Anstieg des Goldpreises offensichtlich vorbeigegangen. Man hat sich lieber auf die «Magnificient 7» und andere Technologie-Aktien konzentriert.

Wie sehr nicht nur amerikanische Grossanleger (via Gold-ETF), sondern auch amerikanische Kleinanleger die Goldhausse verpasst haben, zeigt der geringe Absatz bei US-Goldmünzen. Wird Gold von US-Anlegern favorisiert, gibt es hier immer sehr hohe Absatzsteigerungen. Im März wurden 12’000 Unzen American Eagle Münzen verkauft gegenüber 200’000 Unzen pro Monat bei Höchstständen des Goldpreises und 73’000 Unzen pro Monat im Durchschnitt seit fünfzehn Jahren. Die US-Kleinanleger sind also noch nicht auf den Gold-Zug aufgesprungen. Dafür spricht auch das verhältnismässig (im Vergleich zum Goldpreis) schlechte Abschneiden nordamerikanischer Gold-Aktien. Obwohl Gold kurzfristig überkauft erscheint, ist damit eine Tendenzwende nach unten beim Goldpreis eher unrealistisch.

Die Kosten für Gewinnung einer Unze dürften in der 13-Jahresspanne seit dem letzten Goldpreishoch von 2011 (1900 $ pro Unze) weit mehr gestiegen sein als der Goldpreis. Berücksichtigt man dann noch die Explosion der weltweiten Geldmengen durch das Gelddrucken der Notenbanken in diesem Zeitraum, erscheint der Goldpreisanstieg sogar unerheblich in Prozentgrössen. Geht man davon aus, dass die Notenbanken weltweit im zweiten Halbjahr die Zinsen senken werden und auch andere Anti-Inflationsmassnahmen wie Quantitative Tightening (Geldmengenverminderung durch Anleihe-Verkäufe der Notenbanken) gestoppt werden, könnten wir vor einer längerfristigen monetären Stimulusperiode stehen, die dann günstig für Sachwerte (Edelmetalle, Aktien) und ungünstig für Geldwerte (Anleihen) wäre.

Staatsanleihen bleiben als Zwischenanlage attraktiv

Man fragt sich, ob vor einem solchen Hintergrund die hier empfohlenen Anleihen (Schutz vor doch noch einsetzender Aktienbaisse) die richtige Anlage sind. Trotz der derzeit allgemein guten Prognosen für die US-Konjunktur in den nächsten Monaten und den erwarteten relativ hoch bleibenden US-Inflationsraten, ist es denkbar, dass die US-Konjunktur doch enttäuschen wird und die monetären Bremsmassnahmen sich doch noch auswirken.

Das Gleiche gilt für die Auswirkungen der inversen Zinsstruktur in den USA, die ebenfalls in der Vergangenheit immer einer Rezession voranging. Die Zinskosten für den US-Konsumenten (und den amerikanischen Staat) waren zwar bisher historisch gesehen sehr niedrig. Dies ändert sich aber von Monat zu Monat sprunghaft und auch die US-Hypothekarzinsen für Eigenheime steigen schon wieder (ca. 7%).

Auf der jetzigen Zinshöhe erscheinen somit amerikanische (und europäische) Anleihen mit nicht zu langer Laufzeit nach wie vor eine gute Zwischenanlage. Sollte die amerikanische Notenbank in Richtung Stimulierung und Zinssenkung umschalten, was vor den Präsidentschaftswahlen durchaus realistisch erscheint, könnte eine neue Anlagestrategie beziehungsweise Reduzierung der Anleihe-Bestände nötig sein.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der «Finanzwoche», dem seit 1974 erscheinenden Investmentbulletin von Jens Ehrhardt.

Jens Ehrhardt

Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender von DJE Kapital. Nach fünfjähriger Partnerschaft in der seinerzeit grössten deutschen Wertpapier-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft promovierte er 1974 über «Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt». Im selben Jahr legte er den Grundstein für den Aufbau seiner Firmengruppe, die er von Beginn an leitet. Ehrhardt verantwortet neben seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender noch die Bereiche Risikomanagement und Unternehmens-/Anlagestrategie.

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