Samstag, September 28

Neue Medikamente machen Hoffnung, das Fortschreiten von Demenz zu verlangsamen. Dazu ist eine frühzeitige Diagnose zentral. Ob der neue Test zuverlässig funktioniert, muss erst noch gezeigt werden.

Die Gesichter der eigenen Familie nicht mehr erkennen, den Weg nach Hause vergessen und den gerade gehörten Gesprächsfetzen auch – für viele Menschen ist Demenz der grösste Schrecken, der im Alter lauert. Insbesondere wenn in der Familie bereits Fälle aufgetreten sind. Viele fragen sich: Bekomme ich es auch? Und wenn ja, kann ich etwas tun, um den Verlauf aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen?

Die neue Studie von Forschern der Queen Mary Universität in London klingt da vielversprechend. Die Autoren geben an, mithilfe von Aufnahmen der Hirnaktivität vorhersagen zu können, ob jemand eine Demenz entwickeln wird. Bis zu neun Jahre vor der ärztlichen Diagnose konnte das Modell der Forscher bereits Veränderungen im Austausch von Signalen zwischen gewissen Hirnarealen erkennen.

Eine frühe Diagnose könnte für Betroffene entscheidend sein. Denn zumindest gegen den häufigsten Auslöser von Demenz, die Alzheimer-Erkrankung, existieren seit kurzem erstmals Medikamente. Diese sollen das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamen können. Man geht davon aus, dass sie besser wirken, umso früher mit der Behandlung begonnen wird. Denn bei Alzheimer sterben Nerven ab. Und einmal verlorenes Nervengewebe kann nie wieder zurückgewonnen werden.

Die Alzheimer-Erkrankung verändert die Struktur des Gehirns

Vergleich eines gesunden Gehirns mit einem Gehirn, das an Alzheimer erkrankt ist

Die neuen Medikamente wirken allerdings nur bei Alzheimer, nicht bei anderen Formen von Demenz. In der Studie der Londoner Forscher wurde aber nicht zwischen verschiedenen Formen von Demenz unterschieden. Zeigt jemand auffällige Veränderungen der Hirnaktivität, müssten also spezifischere Tests auf Alzheimer folgen. Erst dann kommt der Patient für eine Behandlung infrage.

Ein Signalnetzwerk im Hirn ist gestört

Die Londoner Wissenschafter haben in ihrer neuen Studie die Signale untersucht, die im Hirn im sogenannten «Default Mode Network» (deutsch: «Ruhezustandsnetz») ausgetauscht werden. Das ist eine Gruppe von zehn Hirnarealen, die über das ganze Gehirn verteilt sind. Sie sind dann besonders aktiv, wenn wir ohne besonderen Fokus tagträumen, aber auch wenn wir über uns und andere nachdenken, über Vergangenheit und Zukunft.

Dieses Netzwerk scheint von Alzheimer besonders früh betroffen. Frühere Studien haben gezeigt, dass es schon vor dem Auftreten von Alzheimer-Symptomen erste Aussetzer zeigt.

Die neue Studie liefert jetzt Hinweise, dass die Aktivität in diesem Hirnnetzwerk als Frühwarnsignal für Demenz genutzt werden könnte. Doch um die Signale überhaupt sichtbar zu machen, braucht es ein komplexes und teures bildgebendes Verfahren: das funktionelle MRI.

Mithilfe eines funktionellen MRI kann man sehr genau sehen, wo im Hirn gerade die Durchblutung steigt und wo sie sinkt. Das ist ein Anzeichnen für Aktivität in dieser Region.

Doch um die Bilder des funktionellen MRI für die Vorhersage von Demenz nutzen zu können, müssen die Aufnahmen eine hohe Qualität haben. Bewegt der Patient im MRI nur ganz leicht den Kopf, sind die Bilder zu schlecht, um eine Aussage zu treffen. Im klinischen Alltag ist es schwer, stabile und reproduzierbare Ergebnisse bei funktionellen MRI-Aufnahmen zu erhalten. Zusammen mit dem hohen Preis der Untersuchung könnte das einer breiten Anwendung der Methode im Weg stehen.

Der Test muss sich erst noch beweisen

Bevor die neue Diagnosetechnik breit bei Patienten angewendet werden kann, muss sie sich erst beweisen. Denn bisher haben die Wissenschafter mit einer kleinen Stichprobe von Probanden gearbeitet. Nur gerade 81 Patienten in der untersuchten Kohorte hatten zum Zeitpunkt der MRI-Untersuchung noch keine Demenzdiagnose, haben aber im Verlauf der folgenden neun Jahre eine erhalten.

Vor allem müssen die vielversprechenden Ergebnisse der Forscher erst noch in einer unabhängigen Kohorte repliziert werden. Der Psychiater Robert Perneczky vom Gedächtniszentrum der Universität München sieht darin den grössten Schwachpunkt der Studie. Da die Ergebnisse von funktionellen MRI-Untersuchungen notorisch instabil seien, sei er nicht überzeugt, dass sich die Ergebnisse ohne weiteres replizieren liessen, schreibt er auf Anfrage.

Auch die Behauptung, bereits neun Jahre vor Diagnosestellung eine Demenz voraussagen zu können, hält Perneczky für problematisch. Es sei auf Grundlage der vorliegenden Ergebnisse zu optimistisch. Lediglich vier Patienten in der Studie haben ihre Demenzdiagnose tatsächlich erst neun Jahre nach dem Test erhalten. Im Median lagen nur 3,7 Jahre Abstand zwischen Test und Diagnosestellung.

Ausserdem ist noch unsicher, ob die Messungen der Forscher als Frühwarnsignal bei Menschen ohne Symptome von Demenz genutzt werden können. Denn in der Studie wurde nur der Zeitpunkt der Diagnose erfasst. Erste Symptome haben Patienten aber oft schon Monate oder gar Jahre, bevor die Diagnose gestellt wird.

Die Diagnose von Demenz muss verbessert werden

Denn Demenz wird typischerweise erst sehr spät diagnostiziert. Die Diagnosen werden meist in Spezialkliniken gestellt. Dorthin gehen die Menschen erst, wenn sie oder ihre Angehörigen bereits deutliche Probleme mit dem Gedächtnis, der Orientierung oder der Wortfindung bemerken.

An frühzeitigeren, sicheren Tests wird daher gerade viel geforscht. Eine vielversprechende Entwicklung sind Bluttests, die eine Alzheimer-Erkrankung aufdecken können. Mit ihnen kann man Moleküle nachweisen, die bei Alzheimerpatienten vermehrt im Hirn gebildet werden. Von dort gelangen sie ins Rückenmark und ins Blut, wo sie die Erkrankung früh anzeigen.

Das beim Alzheimerpatienten vermehrt gebildete Molekül gelangt vom Hirn in die Rückenmarksflüssigkeit und ins Blut

Eine erhöhte Menge des Moleküls pTau217 zeigt eine Alzheimer-Erkrankung an

Das beim Alzheimerpatienten vermehrt gebildete Molekül gelangt vom Hirn in die Rückenmarksflüssigkeit und ins Blut - Eine erhöhte Menge des Moleküls pTau217 zeigt eine Alzheimer-Erkrankung an

In der Zukunft könnte womöglich eine Kombination aus Bluttests, funktionellem MRI und anderen Untersuchungen eine frühzeitige und differenzierte Diagnose von Demenz ermöglichen. Damit wären die Voraussetzungen erfüllt, um zielgerichtet zu therapieren.

Für Menschen mit Alzheimer könnte das dank den neuen Medikamenten ein Segen sein. Zwar lässt sich auch bei einer frühen Diagnose und Behandlung der Verlauf nur verlangsamen und nicht stoppen. Doch für die Betroffenen und ihre Familien dürfte jedes zusätzliche Jahr, jeder zusätzliche Monat oder Tag, an dem sie ihre Liebsten noch wiedererkennen, wertvoll sein.

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