Dienstag, November 26

Im ARD-Format «Die 100» machten hundert Menschen klar, was sie von der AfD halten. Der Sender beteuert, nichts daran sei inszeniert gewesen, doch die Teilnahme eines Laienschauspielers wirft Fragen auf.

Schon die Ausgangsfrage der ARD-Sendung «Die 100» mag in manchen Ohren tendenziös klingen. Sie lautete: «Ist die AfD eigentlich ein Problem für die Demokratie?» Die eingeladenen hundert Gäste sollten sich zu dieser Frage «verhalten», sagte der Moderator Ingo Zamperoni zum Einstieg. Das Format, das bereits mehrfach im Norddeutschen Rundfunk zu sehen war, wurde am Montagabend erstmals in der ARD ausgestrahlt.

Laut Konzept müssen die Teilnehmer «mit den Füssen» über die Ausgangsfrage abstimmen – einmal zu Beginn, einmal zum Schluss. Dafür bewegen sie sich auf der Bühne entlang einer vorgegebenen Skala. Es kommen Menschen aus verschiedenen Regionen und Berufsgruppen zu Wort. So folgte die Sendung einer vorgezeichneten Dramaturgie. Sie gipfelte darin, dass schliesslich fünf Menschen mehr die AfD für ein «Problem» hielten: Zu Beginn waren es 63, zum Schluss 68 von hundert.

Der Moderator Zamperoni sprach am Ende der Sendung mit drei von ihnen. Ein Verwaltungsbeamter aus Göttingen erklärte: Er sei «komplett gewechselt», weil ihm im Laufe der Sendung klar geworden sei, «dass man diese Meinungen doch nicht akzeptieren kann».

Den Schlussakkord der Sendung setzte Michael Schleiermacher, 54 Jahre, Bürokaufmann aus Kaiserslautern. Er erklärte seinen Sinneswandel so: «Die AfD ist ein Wolf im Schafspelz. Man weiss nicht, was sie vorhat», sagte er. «Durch die Sendung, wenn man alles nachverfolgt, kommt man dann auf andere Gedanken.»

Schnell kamen Zweifel daran auf. Zuschauer fanden heraus, dass Schleiermacher nebenbei als Laienschauspieler arbeitet. Die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel kommentierte auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter), der öffentlichrechtliche Rundfunk strahle «kurz vor der Wahl in Brandenburg eine Anti-AfD-Sendung aus – inklusive eines Laienschauspielers als angeblicher Ex-AfD-Wähler». Dieser «Skandal» müsse «umgehend aufgeklärt werden».

«Es gab kein Skript, kein Drehbuch

Tatsächlich verfügt Schleiermacher über ein Profil bei der Komparsen-Agentur «Stagepool». Dort nennt er einige Formate, in denen er in verschiedenen Rollen zu sehen war, zum Beispiel den «Tatort» in der ARD. Spielte er auch in der ARD-Sendung «Die 100» eine vorgegebene Rolle?

Schleiermacher bestreitet das im Gespräch mit der NZZ. «Es gab keine Vorgabe, was wir wann oder wie tun müssen. Es gab kein Skript, kein Drehbuch», sagt er. Er habe sich als «stinknormaler Privatmann» beworben. Es sei das Konzept der Sendung, «dass man sich umentscheiden kann».

NDR weist Vorwürfe zurück

Der 54-Jährige spricht von Drohungen, die bei ihm im Sekundentakt einträfen. Dass eine «Staatsaffäre» aufgrund seines Auftritts losgetreten werde, das sei für ihn eine «wahre Pracht». So habe er schon das Gerücht gehört, er hätte sich von der Gage einen Ferrari kaufen können. Schleiermacher beteuert: «Wenn die Altparteien das Thema gewesen wären», dann hätte er «genauso über die Altparteien» herzogen. Und er klagt: «Keine Partei in Berlin ist für den kleinen Mann da.»

Der NDR weist die Vorwürfe im Zusammenhang mit Schleiermacher zurück. «Es werden keine Darstellerinnen oder Darsteller eingesetzt», so eine Sprecherin. «Jede und jeder kann sich für die Teilnahme an der Sendung bewerben. Die Teilnehmenden erfahren erst kurz vor der Aufzeichnung der Sendung, welches Thema behandelt wird.» Der NDR schliesse keine Menschen aus, die als Privatperson teilnähmen – «auch nicht aufgrund von Nebentätigkeiten im darstellenden Bereich».

Das mag alles stimmen. Trotzdem dürften vielen Zuschauern vor allem die letzten fünf Minuten der Sendung in Erinnerung geblieben sein. Sie gipfelten in einer Art Läuterung des Teilnehmers Schleiermacher, der die AfD auf einmal doch für eine gefährliche Partei hielt – und eben auch als Laienschauspieler tätig ist. Ein Geschenk von ARD und NDR an alle Kritiker des öffentlichrechtlichen Rundfunks.

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