Rafael Sanchez und Pinar Karabulut übernehmen 2025 die Leitung des wichtigsten Zürcher Theaters. Im Moment zeigen sie mehrere Inszenierungen auf deutschen Bühnen. Er jongliert mit Klischees, sie scheitert mit Josef K.

Noch sind sie keine Stars der deutschsprachigen Theaterszene, aber sie profilieren sich durch solide Arbeiten mit durchaus eigenen Handschriften: die Regisseure Pinar Karabulut und Rafael Sanchez, die 2025 gemeinsam die Intendanz des Zürcher Schauspielhauses übernehmen.

Es ist eine überraschende Wahl. Denn auf den ersten Blick sind die beiden grundverschieden: Karabulut ist bekannt für ihren radikal feministischen Zugriff, Sanchez fiel in der Vergangenheit mit einem heiteren Hang zur komischen Leichtigkeit auf. Die eine pocht auf den gesellschaftspolitischen Anspruch, der andere nimmt das Theater gerne auf die leichte Schulter. Aber vielleicht ergänzen sie sich ja wie gegensätzliche Pole, die sich anziehen?

Manifest wütender Weiblichkeit

An der Berliner Volksbühne war vor einiger Zeit ein Stück der Schweizer Autorin Katja Brunner zu sehen: «Die Hand ist ein einsamer Jäger», ein Manifest der wütenden Weiblichkeit, wohl von der Seele geschrieben, in Massen originell, gesamt gelesen drehte es sich wieder einmal um das Geschlecht in der Mitte des Körpers. Dieses machte die Regisseurin Pinar Karabulut denn auch gleich als rot blinkende Lust- und Frustgrotte deutlich sichtbar. Überhaupt hatte sie sich entschlossen, dem Text mit knalliger Bühnen-Beliebigkeit jeglichen Ernst auszutreiben.

Statt solch einem überdrehten weiblichen Weihespiel musste sich Karabulut jetzt am Kölner Schauspiel den Nöten eines einzelnen Herrn widmen, der in die Mühlen der Justiz geraten ist. Franz Kafkas «Prozess» wird in Pinar Karabuluts Version zu einem bilderreichen, bunten und modernen Ritt durch den Justizmühlen-Park, mit schwebenden Händen, die den Delinquenten wider Willen schon mal am Schlafittchen in die Höhe hieven. Sonst geistert Josef K. bisweilen in mehrfacher Ausführung durch schwebende Kulissen, wechselt aus dem langen Anfangsvideo ins echte Bühnenleben, wo ihm mit allerlei Szenenwechsel der Weg schwergemacht wird.

Karabulut illustriert die einzelnen Szenen und Fragmente nach Gusto und schafft so keine durchgängige Erzählung. Sie hält sich zwar peinlich genau an den Wortlaut der literarischen Vorlage, aber bei ihr gerät der Spiessrutenlauf des Josef K. zum Hindernisparcours, zu einer Art Puzzlespiel gar, bei dem alle Einzelteile vorhanden sind, sich ein vollständiges Bild trotzdem nicht zeigen will.

Da ist viel in Bewegung, Wände und jüdische Grabsteine, Bildfetzen und eine grüne Leere, die zu Amokläufen lockt. Da wuseln die identisch rot gekleideten K.s kreuz und quer und suchen den Anschluss an die anderen, meist grotesk überzeichneten Figuren der Geschichte und straucheln und scheitern einsam oder gemeinsam.

Karabulut lässt K. sterben, natürlich wie einen Hund, um ihn dann nochmals zurückkommen zu lassen in den Dom, wo von der Kanzel herab die berühmte Rede vom Tor gehalten wird. Warum diese Umkehr des Endes, versteht man nun nicht recht, wie man überhaupt den Eindruck gewinnt, dass der Stoff der Regisseurin womöglich zu streng, zu eindeutig, zu klar ist. Also versucht sie es wie alle anderen, die auch mit Kafka auf der Bühne ihre liebe Not haben: Sie krallt sich an das dumme Zauberwort «kafkaesk» – und auf einmal ist alles erlaubt, was nur ein bisschen rätselhaft, mystisch und phantastisch wirkt.

Im vergangenen Jahr hat Pinar Karabulut übrigens auch ihre erste Opernarbeit an einer grossen Bühne abgeliefert. An der Deutschen Oper in Berlin inszenierte sie mit viel Sinn für schrille Pop-Art Puccinis Dreiteiler «Il Trittico». Und die Kritik lobte das perfekte Zusammenspiel von Farben, Stimmen, Licht und Emotionen.

Shakespeare am Strand

Vor zwei Jahren inszenierte Rafael Sanchez, der Zweite des neuen Zürich-Duos, am Nürnberger Schauspielhaus «Was ihr wollt» und nahm den Shakespeare da von seiner bunten Seite. Das ging damals fetzig los mit dem verwirrenden Geschlechterkampf und ermüdete dann in der dritten Stunde als endloses Gag-Sammelsurium zwischen Liegestühlen und Polonaise am Strand. Aber die Fröhlichkeit ist nun einmal das Plaisierchen von Sanchez, der zum Beispiel in Dresden bei einem Goldoni kühn mit Klischees jonglierte und grell die Schwimmnudeln kreisen liess.

So gesehen passt auch ein Format da hinein, das Sanchez selber erfunden hat und das locker fortgesetzt wird. Am Neumarkt in Zürich erprobte er es 2011 erstmals selbst: Ein Künstler erzählt seine Lebensgeschichte und verwebt die mit einem Film seiner Wahl. So erzählte der Regisseur quer durch «Spiel mir das Lied vom Tod», liess später etwa Jutta Wachowiak ihr Leben mit «Jurassic Park» kurzschliessen, und derzeit darf der Schauspieler Stefko Hanushevsky sich ganz individuell Chaplins «Der grosse Diktator» auf der Bühne des Kölner Schauspiels widmen.

Das hat durchaus einen doppelbödigen Charme, weil es der Österreicher Hanushevsky schafft, das Komische, das sein eigenes Leben massig hergibt, mit der bitteren Satire des Films zu verquicken. Er spielt einen Reiseleiter, der amerikanische Touristen zu den Nazi-Denkmälern in Deutschland und Österreich führt, sie gruseln lässt bei der Erwähnung von Göring und Goebbels. Den Höhepunkt aber behält er sich lange vor: Vom Bus herab gibt er schliesslich den Hitler, als Parodie der Parodie Hinkel aus dem Film, mit grausamer Emphase und todesdrohender Phantasiesprache.

Ein bitter-süsser Theaterabend

Natürlich ist das vor allem ein grosses Solo des wie entfesselt agierenden Schauspielers. Aber Sanchez macht aus diesem Ein-Personen-Stück einen grossen, bitter-süssen Theaterabend, der Cineasten ebenso verblüfft und beglückt wie Bühnenfans.

Am Zürcher Schauspielhaus folgt als Nächstes die einjährige Interimsintendanz von Ulrich Khuon. Danach müssen Pinar Karabulut und Rafael Sanchez zeigen, ob sie mit ihrer so unterschiedlichen Lust und Art, Theater zu machen, in Zürich reüssieren können. Sanchez sagte einmal in einem Interview mit der «Kölnischen Rundschau», dass im Theater eine Welt entstehen solle, die «einigermassen in sich stimmt, die eine Klarheit hat und klärt, was sonst so auf der Welt unklar ist». Man verstehe dann vielleicht ein paar Dinge, die man «im sonstigen Chaos nicht versteht». Pinar Karabulut brachte es an anderer Stelle für sich auf den Punkt: «Wir müssen diesen Kanon mit der ganzen Kraft unserer Vulva aufbrechen und neu definieren.» Hoffentlich geht das zusammen.

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