Dienstag, November 11

Der Parteipräsident sprach sich für ein Bündnis mit der extremen Rechten aus. Darauf folgte sein Rauswurf aus der Partei. Ist das der letzte Akt im Niedergang der Partei?

Es gibt Leute bei den französischen Républicains, bei denen sich am Mittwochmorgen das Gewissen meldete und sie zum Handeln bewog. Ob das am Ende eine gute Sache ist, wird sich zeigen. Vielleicht wäre ein gewisser Pragmatismus so kurz vor den Neuwahlen in Frankreich besser gewesen – auch wenn das, was Éric Ciotti am Dienstagabend verkündet hat, weder diplomatisch noch schmeichelhaft war für seine Partei.

Ciotti, bis Mittwochmittag Präsident der Républicains (LR) und danach abgesetzt, hatte verlauten lassen, dass er mit dem Rassemblement national (RN), Frankreichs extremer Rechten, ein Wahlbündnis eingehen wolle. So könnten in 70 bis 80 Wahlkreisen spätestens im zweiten Wahlgang am 7. Juli Sitze für die rechte Parlamentsseite gesichert werden. Es ging noch nicht darum, ein Programm für eine gemeinsame Koalition zu erarbeiten, das wäre dann ein hartes Stück Arbeit. Denn ausser in Migrationsfragen sind sich die beiden Parteien in wenigem einig. Es ging Ciotti darum, Sitze zu verteidigen und den Abstieg aufzuhalten.

Das Fass zum Überlaufen brachte die Tatsache, dass Ciotti sich zuvor nicht mit der Parteileitung abgesprochen hatte. Stattdessen traf er sich mit dem RN-Präsidenten Jordan Bardella zum Mittagessen. Und dieser machte die Zusammenarbeit triumphierend bekannt. Auch ein weiteres Treffen fand statt, wie die Zeitung «Le Monde» schreibt: Ciotti traf sich mit dem schwerreichen rechtskonservativen Industriellen, Investor und Medienmogul Vincent Bolloré. Dieser träumt schon lange von einer Zusammenarbeit am rechten Rand, einer «union des droites». Er soll angeblich die Redakteure, die für die Medien in seinem Besitz arbeiten, immer wieder angehalten haben, dieses Bündnis zwischen der Rechten und der extremen Rechten herbeizuschreiben.

Ein Verstoss gegen die Tradition der Partei

Mit dem überragenden Sieg des Rassemblement national bei den Europawahlen am Sonntag schien der Zeitpunkt reif für eine Absprache für die Neuwahlen. 30,4 Prozent der Stimmen hat das RN in Frankreich gemacht und damit gezeigt, dass die Partei für weite Kreise in Frankreich wählbar ist. Präsident Macron, dessen Partei nicht einmal die Hälfte der Stimmen holte, löste noch am Sonntag das Parlament auf.

Mit Ciotti hätte le Pen einen Verbündeten gehabt, der weniger das Konservative und Wirtschaftsliberale betont, sondern wie Le Pen das Identitäre. Aber Ciotti ist eben nicht die Partei, sondern repräsentiert höchstens einen halben Flügel davon. LR ist eine Ansammlung von Marktliberalen, Zentristen und Gaullisten. Die Kräfte ziehen seit Jahren in verschiedene Richtungen. Nicht umsonst gelang es Präsident Macron 2017 mit seiner Bewegung, viele Républicains in sein Lager zu ziehen.

Mit der Wahl von Éric Ciotti zum Präsidenten schien der rechte Flügel den Richtungskampf für sich entschieden zu haben. Bis am Mittwoch. Zentristische Kräfte und vor allem jene Republikaner, die sich auf Charles de Gaulle berufen, akzeptieren nicht, dass sich die Partei so weit an den rechten Rand bewegt. De Gaulle hatte aus dem Exil konsequent den deutschen Nationalsozialismus und die französischen Faschisten bekämpft. Der Front national, wie das RN früher hiess, hatte einen Gründer, der bei der Waffen-SS diente, und auch sonst Faschisten in seinen Reihen.

Doch von der Geschichte allein lebt keine Partei. Und wie im Fall des RN muss sie nicht für immer darin gefangen sein. Fakt ist, die Republikaner, einst Gewinner von absoluten Mehrheiten, sind mit 61 von 577 Sitzen in der Nationalversammlung längst nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Es droht jetzt die Bedeutungslosigkeit

Die Absetzung von Ciotti spielte sich als ein regelrechtes Psychodrama ab. Ciotti liess nicht mit sich reden und schloss sich in der Pariser Parteizentrale ein. Die Parteileitung traf sich dann ohne ihren Präsidenten an einem anderen Ort und beschloss einstimmig seinen Ausschluss.

Ciotti will nun gerichtlich gegen den Entscheid vorgehen. Die Parteileitung habe mit dem Ausschluss gegen die Statuten verstossen, meint er. Doch auch wenn Ciotti recht bekommt und sein Amt zurückgewinnt – wäre er dann mehr als ein König ohne Königreich?

Bei den Wählern kommt dieses Manöver sicherlich nicht gut an. Mit der Profilierung durch eigenständige Positionen werden sich LR auch künftig schwertun. Dennoch ging die Partei bisher nie eine strategische Zusammenarbeit mit Präsident Macron ein. Gemeinsame Werte und Positionen wären zumindest vorhanden gewesen. Aber der Stolz war zu gross.

Nun könnte die Partei Les Républicains nach dem vereitelten Schulterschluss mit den extremen Rechten ganz in der Bedeutungslosigkeit versinken. Dann würde Ciotti als ihr Totengräber in die Geschichte eingehen.

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