Montag, November 25

Zuoberst auf dem Hügel ein Haus, ein Ranch-Haus. Ringsum nichts als Sand, Steine, Kreosotbüsche, fahlgelbe Grasbüschel. Doch wo sind die Rinder?

Das gelbe Band weit draussen am Horizont, das muss die Piste sein. Allzu lange kann die Fahrt nicht mehr dauern. Vom Westernstädtchen Marfa aus 60 Kilometer, hatte die Ranch-Besitzerin Marjo Skiles gesagt, zuerst auf Asphalt immer südwärts, Richtung mexikanische Grenze. Dann kurz vor der schmalen Brücke rechts abbiegen auf das Ranch-Gelände und die letzten zehn Kilometer auf Sand bis zum Haus. Ringsum Hügelzüge, weiter Himmel, karges Land und mittendrin als Orientierungshilfe der Vulkankegel des Cerro Boludo.

Ich bin ganz im Südwesten von Texas, am nördlichen Ausläufer der Chihuahua-Wüste. Das Land ist eingezäunt, privat, wie übrigens zu 95 Prozent in Texas. Auf der Fahrt zu Marjo reiht sich eine Ranch an die nächste.

Sie tragen Namen wie Mofn Ranch, Singleton Ranch oder La Ventana und wirken surreal: Der Blick schweift umher und sieht nichts als Sand, Steine, Kreosotbüsche, fahlgelbe Grasbüschel.

Wieso sollte jemand in dieser Mondlandschaft Rinder züchten? Und: Tut er es überhaupt? Oder hat er einfach gekauft? Schliesslich ist Land eine gefragte Geldanlage.

Das Land zu Geld machen

Und nicht nur das. Mit Land lässt sich auch sonst einiges anstellen: Man kann zum Beispiel darauf warten, dass Exxon anruft und erfolgreich nach Gas und Öl probebohrt. Wer weiss? Ein paar Kilometer nördlich hat es geklappt. Wenn nicht, kann man sein Land in ein Wildwest-Resort für gehobene Ansprüche umwandeln und Jagdlizenzen ausgeben: Ein Wapitihirsch spült bis zu 10 000 Dollar in die Kasse, ein Aoudad, ein Trophäenschaf, immerhin 2500, ein Weisswedelhirsch zwischen 3000 und 16 000, je nach Anzahl Geweihenden.

Eine weitere Möglichkeit: das Land scheibchenweise veräussern. Wie wär’s zum Beispiel mit einem bisschen Ranch fürs Barbecue am Wochenende, einer sogenannten Ranchette? In der Lokalzeitung «Big Bend Sentinel» ist eine ausgeschrieben: Die Paisano Pass Ranch ist für 1,2 Millionen Dollar zu haben. Dafür bekommt man 106 Acres, also 43 Hektaren Land, samt Haus, Stall und «scenic rock outcroppings», was sich etwas gar buchstabengetreu mit «malerischen Felszungen» übersetzen lässt.

Marjo, lebhafte 75 Jahre alt, verkauft nicht, auch nicht scheibchenweise. Im Gegenteil: Sie schaut zum Rechten. «Im Jahr fallen durchschnittlich 25 Zentimeter Regen», sagt sie, kaum haben wir in den ausladenden Ledersesseln im Wohnzimmer Platz genommen. «Wenn’s mal regnet, ist alles grün. Bei uns wächst sogenanntes Grama-Gras, drei verschiedene Sorten, das ist besonders proteinhaltig. Zudem haben wir genügend Grundwasser.»

Sie zeigt mir eine alte Landkarte, fährt mit dem Finger den Linien entlang. Hier, das Rock House, da sind wir jetzt, da wohnt sie mit ihrem Mann Larry seit 2005. Hier die Wassertröge, hundert an der Zahl, die Leitungen, 320 Kilometer insgesamt, die Zäune, die das Land in verschiedene Weideflächen einteilen. Alles vorhanden, alles im Schuss.

32 000 Acres, umgerechnet 129 Quadratkilometer Land, vererbte der Vater seinen beiden Töchtern, das macht gut einen Drittel mehr als die Fläche der Stadt Zürich. Die Hälfte davon, 65 Quadratkilometer, gehört Marjo. «Eine mittelgrosse Ranch», wie sie fast ein wenig entschuldigend sagt. Sie wird sie behalten und an ihr einziges Kind, eine Tochter, vererben. «I love it here.» Und woraus besteht diese Liebe? Marjo denkt nach, lacht: «Hier bin ich mein eigener Boss. Und ich liebe dieses weite, offene Land.»

17 Tiere für den Steuerabzug

Nein, Marjo lebt nicht von der Ranch: «Im Gegenteil, ich zahle drauf.» Sie hält gerade einmal 17 Kühe, keine Longhorns, die sind zwar robust, liefern aber zu wenig Fleisch, sondern Angus, und zwar in einer sogenannten «cow-calf operation». 17 Tiere, das reicht für den Beweis landwirtschaftlicher Nutzung und somit für den Steuerabzug. Sie weiss, welche Windmühle kaputt ist, aber für die Reparatur und alles Weitere zuständig sind der Pächter Mitchell Aufdengarten, «ein ganz toller Typ», so Marjo, und seine zwei Cowboys.

Mitch, 35, konnte heute leider nicht mit dabei sein, eine Kuh ist krank. Er wird ein andermal vorbeischauen und mir die Ranch zeigen. Dann, so hat Marjo versprochen, werde ich mein erstes Rind sehen.

Eine «cow-calf operation», das ist Rindfleischproduktion auf Amerikanisch: Eine Herde Kühe «produziert» Kälber. Zuerst bleibt das Kalb bei der Mutterkuh, sechs bis zehn Monate lang. Dann wird es entwöhnt und anschliessend verkauft, zum Beispiel an einer Auktion. Es kommt zu einem Viehmäster, einem «stocker feeder», der es für ein paar weitere Monate auffüttert, bevor es in einem «feedlot», einem Mastbetrieb unter freiem Himmel, mit 1000 bis 32 000 Tieren während sechs bis acht Monaten auf ein Lebendgewicht von ungefähr 600 Kilo gepusht wird.

Im Alter von knapp zwei Jahren wird aus dem Rind Rindfleisch. Den Kilopreis diktieren die vier grossen Player der fleischverarbeitenden Industrie, eigentliche Monopolisten, schliesslich soll das Steak für jedermann erschwinglich sein. 1,67 Dollar pro amerikanisches Pfund, also pro 0,453 Kilogramm, hat Marjo an der Auktion bekommen. Ein guter Preis, findet sie.

Ranching gehört zu Texas wie, sagen wir mal, das Matterhorn zu Zermatt. Jenseits der Folklore freilich ist Ranching knallhartes Business. Geschätzte 150 000 Ranches gibt es noch im Lone-Star State, davon gelten allerdings nur ungefähr fünf Prozent als selbsttragend. Land verkauft sich teuer, Fleisch dagegen billig. Nicht erstaunlich, schmeissen viele Rancher-Familien hin und verkaufen. Über die happigsten Transaktionen berichten die Medien. Es ist noch nicht lange her, da kaufte eine Investorengruppe die historische 6666 Ranch, die Four Sixes: 270 000 Acres, umgerechnet 1093 Quadratkilometer. Marktwert: 348 Millionen Dollar.

Es hat geklappt. Mitch ist gekommen, um zu arbeiten. Er sitzt am Steuer seines Pick-ups, Marjo auf der Rückbank, auf der Ladefläche liegen die zwei Hunde Connor und Rex und Säcke voller Proteinfutter. Ich habe auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Von jetzt an werden wir zwei Stunden lang über steinige Pisten rumpeln, durch ein ausgetrocknetes Bachbett, steil hügelauf- und nicht ganz so steil hügelabwärts, von Wasserbecken zu Wasserbecken. Bei einem ist der Schwimmer kaputt, beim anderen die Windmühle. Mitch tippt in den Bordcomputer, so wissen seine Cowboys Bescheid, was zu tun ist.

Aber erst einmal müssen die Färsen gefüttert werden, Kühe, die noch nicht gekalbt haben. Jetzt im Februar brauchen sie regelmässig Zusatzfutter. Mitch drückt auf die Hupe. Wieder und wieder und noch einmal. Und siehe da, sie traben an, kommen von irgendwoher, zwar nicht die ganze Herde, aber immerhin die Hälfte. Am Ende drängeln sich 25 pechschwarze Angus, zwölf Monate alt, neben dem Pick-up und warten darauf, gefüttert zu werden. «Das sind Färsen, die ältere Kühe ersetzen werden», erklärt Mitch. Er kann sie tatsächlich herbeihupen.

«I love what I do»

Ein Rind hier draussen ist eine Offenbarung. Jedes, so Mitch, braucht rund 65 Hektaren Land, um zu überleben. 65 Hektaren, das sind 0,65 Quadratkilometer oder 650 000 Quadratmeter. Kein Wunder, sieht man sie so selten. «Nein, meine Färsen sind nicht verwöhnt», sagt Mitch. Mutterkühe und ihre Kälber hätten es bequemer, die lebten auf zwei anderen, etwas saftigeren Weiden. Hier sei der Grund und Boden so rau, dass der zugelassene Stier auf der Suche nach Futter und Freundinnen wunde Füsse bekomme.

Mitch ist Rancher in sechster Generation. Nach dem Tod des Vaters wurde die Familienranch verkauft: «Es gab welche, die wollten das Geld.» Seine Mutter, sein Bruder und er machen weiter: «I love what I do and I love the land.» 230 Tiere zählt die Herde, auf verschiedene Weiden verteilt. Sie behalten sie bis zum Schluss, keine auswärtige Mast, keine Hormone, keine Qualfahrten. Bio, würde man bei uns sagen.

Mitch muss weiter. Ich verlasse die Ranch und fahre Richtung mexikanische Grenze. Von Marjos und Larrys Haus bis zum Rio Grande sind es nur 40 Kilometer. Nein, es gibt hier unten keine Grenzmauer. Nicht nötig. Die wenigen Strassen lassen sich gut überwachen, und das Land ist für jeden zu Fuss abweisend genug. Im Sommer steigen die Temperaturen auf über 40 Grad. Wie hatte doch Mitch gesagt? «This is not an easy place.»

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