Die jüngsten Europa- und Kommunalwahlen haben gezeigt,
dass Rechte auch in Deutschland auf dem Vormarsch sind. Doch wer sind die Leute, die für sie kandidieren? Was bewegt
ihre Wähler und ihre Gegner? Beobachtungen in den AfD-Hochburgen Niesky und Glashütte.

Die beiden siebzig Jahre alten Schornsteine des Waggonbaus ragen in einen blauen Himmel, der mit seinen Schäfchenwolken beinahe kitschig wirkt. An der schnurgeraden Strasse zur Einfahrt steht links ein verlassenes Verwaltungsgebäude, davor das Firmenschild, überklebt mit einem Plakat. «Geboren 1835, erkrankt 2019, beerdigt 2023» prangt darauf in grossen Buchstaben und ganz unten, in roter Schrift, kleiner: «Die Hoffnung stirbt.» Das Wort «zuletzt», das dort einmal noch gestanden haben muss, ist schwarz überklebt.

Die Zeit ist vorbei, als es noch Hoffnung gab. Das Waggonbau-Unternehmen, einst das industrielle Herz von Niesky, ist seit dem 31. Dezember 2023 tot. Es wurde von einem slowakischen Konkurrenten gekauft und abgewickelt, da halfen alle Proteste nichts. An der Hauptstrasse weiter vorn steht das, was übrig geblieben ist: ein gut hundert Jahre alter Waggon, der letzte Rest identitätsstiftender Tradition. So gut wie jede Familie in Niesky hat jemanden, der im Waggonbau tätig war. Am 9. Juni, dem Tag der Europa- und Kommunalwahl, haben 40 Prozent der Einwohner für die AfD gestimmt. Es ist eine der höchsten Quoten der Rechten in Deutschland.

Niesky, eine Kleinstadt in der ostdeutschen Oberlausitz nahe der Grenze zu Polen, 9150 Einwohner, das ist der eine Ort unserer Recherche tief in Sachsen. Hier, wo die Leute viel von «Heimat» sprechen, sollen «die Rechten» das Sagen haben. Der andere Ort der Reise ist eine noch kleinere, aber weitaus bekanntere Stadt: Glashütte im Erzgebirge, Gründungszentrum und bis heute Standort weltbekannter deutscher Uhrenmanufakturen. Auch hier wählten grosse Teile der Einwohner die AfD.

Als nach der Europawahl die Landkarte mit den Gewinnern veröffentlicht wurde, war Deutschlands Osten blau gefärbt. Bis auf Berlin hatte die AfD überall eine überwiegend satte Mehrheit. Der SPD-Chef Lars Klingbeil sprach im Anschluss von der AfD als Nazis, so wie es andere Politiker vor ihm auch schon getan hatten. Sind Niesky und Glashütte also, um im Bild zu bleiben, Nazi-Orte? Wenn ja, wer sind die, die für die AfD antreten? Und wer sind die Menschen, die sie wählen oder gegen sie antreten?

Reise ins ostdeutsche Grenzgebiet

Der Mann mit dem Herz für Niesky

Strassen, gesäumt von Einfamilienhäusern, Autos auf gepflasterten Zufahrten, gepflegte Vorgärten, ostdeutsche Spiessigkeit, Idylle am Waldesrand, das ist zu grossen Teilen das Stadtbild von Niesky. Im Zentrum steht nicht das Rathaus, sondern die Kirche aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, als der Ort von protestantischen Glaubensflüchtlingen aus Böhmen als Lebens-, Arbeits- und Dienstgemeinschaft gegründet wurde.

Gottesfurcht und Arbeitsfleiss – von beidem ist inzwischen nicht mehr allzu viel übrig. In der Kirche sitzen am Sonntag im Schnitt 70 Leute (von 1300 Gemeindemitgliedern), grosse Betriebe gibt es nicht mehr. Vor dem Bürgerhaus, einst Arbeiterkantine, künden Plakate von den nächsten beiden Veranstaltungen: einer Travestieshow und einer Lesung der Linken-Ikone Gregor Gysi.

Im Restaurant trinkt Harald Prause-Kosubek einen Kaffee. Es ist noch früh am Morgen, gerade hat er seinen Sohn zur Schule gebracht. Er arbeitet in Ostsachsen für eine SPD-Landtagsabgeordnete, ist selber auch Sozialdemokrat. Bei der Kommunalwahl vom 9. Juni aber hat er damit nicht geworben. Der 53-Jährige in hipper karierter Hose und hellgrünen Socken trat für die Wählervereinigung «Herz für Niesky» an, einen Zusammenschluss linker Stadträte mit parteilosen Bürgern, die lieber mit ihrem Namen als mit ihrer Partei geworben haben.

Prause hat Ende der 1980er Jahre im Waggonbau eine Ausbildung zum Tischler gemacht. Kaum sei die deutsche Einheit 1990 vollzogen gewesen, habe sich die Zahl der Beschäftigten auf 1500 halbiert, sagt er. Der Betrieb sei für die Stadt identitätsstiftend, der Verkauf an die slowakische Konkurrenz 2019 eine Katastrophe und die Schliessung Ende 2023 «Wasser auf die Mühlen der Blauen» gewesen. Damit meint er die AfD, die er so aber nicht nennen will. «Die sind keine Alternative.»

Schliesslich hatten noch gut 200 Beschäftigte Waggons für Autotransporte durch den Tunnel von Calais gebaut. Nach der Wende arbeitete Prause 25 Jahre für das örtliche Möbelwerk, kandidierte erst für das Amt des Oberbürgermeisters, dann für den Bundestag – und verlor beide Male. Seit 2014 sitzt er im Stadtrat und sagt, wer verstehen wolle, was in Niesky passiere, der dürfe nicht «mit Ratio», sondern müsse mit «Emotio» an die Sache herangehen. Nicht Fakten zählten, sondern Gefühle.

Die AfD arbeite mit Angst, sagt Prause. Angst vor Migranten, vor Kriminalität, vor Abstieg, vor Wohlstandsverlust, und das mache sie sehr geschickt. Prause hat es wieder in den Stadtrat geschafft, «Herz für Niesky» vier Mandate geholt, die AfD aber sieben (von insgesamt 19) und damit eines mehr als bei der letzten Kommunalwahl, die am selben Tag stattfand wie die Europawahl. Er könne sich an keinen konstruktiven Beitrag der AfD-Stadträte in den zurückliegenden fünf Jahren erinnern, keinen Antrag, keine Rede, meint Prause. «Die sind nur da und schweigen.» Was sie in Niesky wollten, wofür sie stünden – da sei nichts. Prause schüttelt den Kopf. Und zugleich sagt er, dass «die Blauen» inzwischen «in jede Zelle der Gesellschaft» eingedrungen seien, in jede Familie, in jeden Verein, in jede Feuerwehr.

Der Pfarrer

Es ist immer noch früh, als Janis Kriegel an seinem Schreibtisch im Pfarramt sitzt, an der Wand die Jahreslosung der evangelischen Kirche: «Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.» Der 38 Jahre alte Pfarrer wohnt mit seiner Familie im Haus gegenüber, sein Sohn ist noch daheim. Es sei wieder eine Stunde ausgefallen, an der Schule fehlten Lehrer, sagt Kriegel. Das sei auch ein Grund, weshalb sich immer mehr Leute in Niesky abgehängt fühlten. Und die anderen Gründe?

Es sei diffus, sagt Kriegel ratlos. Seit neun Jahren ist er Pfarrer in der Christuskirche, doch bis heute sei mit den Leuten nur schwer über Politik zu reden. Sie wollten darüber nicht sprechen, es sei wie ein Tabu: keine Diskussion, keine Auseinandersetzung. Lieber schweigen als sich den Mund verbrennen. So sei es in der DDR gewesen, so sei es heute. Es herrsche ein Misstrauen gegenüber dem Staat, der Regierung, den «etablierten Parteien, den Medien» – und wohl auch der Kirche.

Kriegel ist ein reflektierter Mann mitten im Leben. Auch er spricht von Angst, die die Leute umtreibe: vor Überfremdung, dem Islam, Teuerung, dem Green Deal. Da seien Verletzungen, ja Traumatisierungen, sagt er, Lebensbrüche nach dem Ende der DDR, das Gefühl, in Deutschland nur Bürger zweiter Klasse zu sein. Das könnten Politiker «nur im Kleinen moderieren», indem sie sich viel Zeit nähmen für den Einzelnen, zuhörten, nicht sofort widersprächen. Politiker als Klagemauer? Ja, sagt Kriegel, aber das ist anstrengend und wenig medienwirksam.

Was der Pfarrer aus seiner Gemeinde beschreibt, hat der Dichter und Theologe Christian Lehnert vor kurzem in einem Interview mit der evangelischen Zeitschrift «Zeitzeichen» als «grosse Entfremdung» bezeichnet. Lehnert, einst Pfarrer im Erzgebirge, schreibt preisgekrönte Bücher und Gedichte. Er lebt in einem Dorf im Osterzgebirge und sagt, viele dort wählten die AfD, aber er kenne kaum einen Rechtsextremen. Dahinter steckten weniger politische Einschätzungen als vielmehr Gefühle.

Doppelt so viel wie die CDU

Ergebnis der Stadtratswahl von Niesky am 9. Juni 2024

«Gefühle sind Wirklichkeiten, so real wie Buchenstamm und wie das Winterwetter», sagt er in dem Interview. Ihm begegne eine tiefe Verunsicherung in den Dörfern, die die Kollektivierung in der DDR erlebt, den Zusammenbruch des Sozialismus und in den 1990er Jahren massive soziale Abbrüche durchlebt hätten. «Höre ich die Geschichten, dann erscheint nicht das Jahr 1989 als entscheidende Zäsur, sondern die Zeit danach: Arbeitslosigkeit, Neuanfänge, neue Eliten, neuer Grossgrundbesitz westlicher Investoren.» Die Lebensgeschichten vieler Menschen «hier» kämen gesellschaftlich, gefühlt, nicht vor.

Man kann stundenlang durch Niesky laufen und begegnet keinem einzigen Menschen, der äusserlich aus Afghanistan, Syrien, dem Irak oder der Türkei, vier der Hauptherkunftsländer von Migranten in Deutschland, stammen könnte. Die Wahlplakate der AfD hängen noch an Masten und Mauern, die Botschaften unterscheiden sich nicht von denen in Berlin und München. Mit Niesky haben sie kaum zu tun.

Dennoch hat ein AfDler mit Abstand die meisten Stimmen geholt, einer, der mit seiner Baufirma den Leuten die Einfamilienhäuser verputzt und die Einfahrten pflastert. Die viertmeisten sammelte jemand, der nach Recherchen der «Sächsischen Zeitung» mutmasslich Mitglied der «Schlesischen Jungs» sein soll, einer Gruppierung, die der Verfassungsschutz der «subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene» zuordnet.

Ein dritter AfD-Stadtrat arbeitet für einen mobilen Pflegedienst. Der Pfarrer nennt ihn einen «lieben Menschen», der sich seit Jahren im Kirchenvorstand engagiere. Ein vierter soll sich für die Kriegsgräberfürsorge betätigen. Zum Gespräch mit der NZZ kommt allerdings der örtliche Landtagsabgeordnete. Er stammt nicht aus Niesky, bezeichnet Björn Höcke als seinen Freund und sagt, die Leute wählten die AfD nicht aus Protest, sondern «weil sie genauso denken wie wir». Auf den Vorwurf, die AfD-Vertreter im Stadtrat fielen eher durch Schweigen auf, erwidert er, jemand wie der Bauunternehmer sei eben ein Mann der Tat und nicht der Worte.

Die Oberbürgermeisterin

Die Verunglimpfung politischer Prozesse als Quasselei arbeitsscheuer Menschen gehört zum Standardrepertoire der AfD. Kathrin Uhlemann scheint sich davon und von dem Wahlergebnis in ihrer Stadt aber nicht die Motivation nehmen zu lassen. Die 47-jährige Oberbürgermeisterin sprüht vor Elan. Die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus, im Gespräch sucht sie Blickkontakt, ihre Augen lachen. Mit ihrer apfelgrünen Hose ist sie wie ein Farbtupfer in einer Stadt, die grau und schwer beladen wirkt.

Uhlemann stammt nicht aus Niesky, sie wurde in Berlin geboren. Sie arbeitete fünfzehn Jahre für die staatliche Entwicklungshilfeorganisation GIZ in Kirgistan, Kasachstan und Tadschikistan. Als die CDU im Ort keinen Kandidaten für den Oberbürgermeisterposten fand, trat sie als Parteilose an und setzte sich im zweiten Wahlgang mit grosser Mehrheit durch. Neun Wochen habe sie jeden Morgen um 7 Uhr vor dem Bäcker gestanden, sagt sie, und sich den Leuten vorgestellt. «Ich wollte einen AfD-Bürgermeister verhindern und habe gezeigt, dass deren Erfolg kein Naturgesetz ist. Es geht auch anders, wenn man die Leute ernst nimmt.»

Nach zweieinhalb Jahren im Amt aber muss sie noch immer um jeden kleinen Erfolg kämpfen. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich die Unterschriftenmappen wie die Probleme im Ort. Mit dem Ende des Waggonbaus brechen weitere Gewerbesteuern weg, die Stadt steht finanziell mit dem Rücken zur Wand. Steigende Gehälter in der Verwaltung, lahmende Wirtschaft und keine Baugrundstücke für Unternehmensansiedlungen – die Stadt sei ohnmächtig, ebenso wie die Menschen, deren Kinder ständig Unterrichtsausfall hätten. «Die Leute fühlen, dass sie auch der künftigen Generation nichts mehr anzubieten haben, und aus dieser Ohnmacht heraus machen sie ihr Kreuz.»

Vor wenigen Tagen schrieb einer der bekanntesten Deuter der ostdeutschen Seele, der Berliner Soziologe Steffen Mau, im «Spiegel», wer auf eine «Vollendung der deutschen Einheit im Sinne einer Verähnlichung von Ost und West» warte, der werde noch lange warten müssen. Der Osten werde sich dem Westen nicht weiter anverwandeln, zu stark wirkten die Prägungen der DDR, die Weichenstellungen der Wiedervereinigung und die Lasten der Transformationsjahre. Es blieben eigene Strukturen erhalten, eigene Mentalitäten, eigene politische Bewusstseinsformen. «Deutschland ist ungleich vereint – und wird das auch bleiben», meint Mau.

Marginalisierte Ampelparteien

Ergebnis der Europawahlen in Niesky vom 9. Juni 2024

Der Stimmkönig von Glashütte

In Glashütte ist das gut zu sehen. Am Bahnhof den Hang hinauf hängt ein grosses Banner an einem Baugerüst. «Warum steht die Zeit hier still? Glashütter fordern einen Einkaufsmarkt!», steht darauf. Unten im Tal befinden sich Produktionsstätten und Zentralen einiger der bekanntesten Uhrenmarken der Welt. A. Lange & Söhne, Glashütte Original, Nomos oder Wempe produzieren hier mitunter sündhaft teure Uhren und verkaufen sie auf dem ganzen Erdball. Weltoffenheit gehört zu ihrem Geschäftsmodell.

Angeblich fragten manche Kunden, ob ihre Uhr neuerdings von Nazis zusammengeschraubt werde, zitierte vor einigen Jahren das «Handelsblatt» den Haupteigentümer von Nomos. Damals erzielte die AfD gut 30 Prozent der Stimmen in der Stadt und ihren 15 Ortsteilen. Bei der Europawahl waren es jetzt 40. Von 6800 Einwohnern und 5400 Wahlberechtigten gingen am 9. Mai drei Viertel zur Wahl – und machten bei der Abstimmung zum Stadtrat mehr als zweitausendmal ihr Kreuz bei einem Mann, der ganz am Ende des Ortes lebt.

Dort findet man Tilo Bretschneider in Arbeitshose und grauem T-Shirt mit Schraubenschlüssel unter einem Renault, der auf einer Hebebühne steht. Er schweigt, als der Besuch in seiner Autowerkstatt steht, er schweigt, als er die fettverschmierten Hände an einem Lappen abwischt, und er nickt auf die Frage, ob man reden könne. Er geht vor, quert den Hof, auf dem AfD-Wahlplakate neben Autoteilen, Rädern und allerlei Gerümpel lagern. Vier von ihnen hat er an der Zufahrt angebracht, von der Strasse nach Altenberg hinaus für jedermann sichtbar.

Er öffnet einen Holzverschlag zu einem Garten mit Vogelkäfig, Kanarienvögeln und Hühnern, darin ein Häuschen mit Buffet und zwei Luftgewehren an der Wand. Ein bisschen sei er schon enttäuscht, dass sie nur fünf Sitze geholt hätten, sagt er, als er Kaffee und Kuchen kredenzt. Bretschneider, Jahrgang 1966, grauer Bart, graue Haare, wird der «Stimmkönig» von Glashütte genannt. Der Stolz darauf spiegelt sich in einem leicht spöttischen Lächeln, wenn er davon spricht. Es sei eine Genugtuung, das Wahlergebnis, auch wenn es mehr hätte sein können. «Die in Berlin verschwenden keinen Gedanken daran, dass es demokratisch ist, wenn auch einmal andere an die Macht kommen.»

Mehr als 40 Prozent für die AfD

Ergebnis der Europawahl in Glashütte

Bretschneider repariert die Autos der Glashütter, der Handwerker, auch einiger Uhrenfirmen. So sagt er es, nur die Stadtverwaltung und Nomos kämen nicht zu ihm. Er war eines der ersten Mitglieder der islamkritischen Kleinpartei Die Freiheit, weil ihn «gesellschaftliche Zusammenhänge» interessierten und er schon damals, 2010, Angst um die Freiheit in Deutschland gespürt habe. Acht Jahre später wechselte er zur AfD und holte auf Anhieb die meisten Stimmen im Ort.

Man kann mit ihm Kaffee trinken und Kuchen essen, und zwischendurch blickt seine Frau Marion vorbei. Sie sorgt sich um die Kinder, weil die Bahn ausfällt und sie nicht von der Schule kommen. Ausser um die eigenen fünf Kinder kümmere sie sich auch um die Kinder einer ukrainischen Flüchtlingsfamilie, sagt er, als sie wieder raus ist, die käme hier sonst nicht klar.

Dann spricht er von einem «bitterbösen Rosenkrieg zwischen Russland und der Ukraine, in den wir uns nicht einmischen sollten», von politischer Bevormundung durch die deutsche Regierung, von einem umverteilenden Sozialismus und zitiert dazu den russischen Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn: «Ein marxistisches Regime erkennt man daran, dass es die Kriminellen verschont und die politischen Gegner kriminalisiert.»

Der Einkaufsmarkt

In der Stadt sagen sie, Bretschneider habe nicht ein bisschen Wahlkampf gemacht und auch nicht der Uhrmacher, der Bauingenieur, der Techniker und die drei Selbständigen, die mit ihm für die AfD angetreten sind. «Die hätten Mickey Mouse aufstellen können, die Leute hätten sie gewählt», sagt der Vertreter einer Wählervereinigung, die es mit zwei Sitzen in den Stadtrat geschafft hat.

Seit zweieinhalb Jahren gibt es in Glashütte keinen Einkaufsmarkt mehr. So gut wie jeder, mit dem man spricht, klagt darüber. Bretschneider sagt, die Leute empfänden es als Niedergang ihres Ortes, wenn sie zum Einkaufen in die Nachbarorte fahren müssten. Die Aussage würden vermutlich alle anderen Parteien und Gruppierungen im Stadtrat unterschreiben. Das Gefühl der Ohnmacht, auch hier scheint es zu herrschen, wo es 1800 gut bezahlte Jobs in den Uhrenmanufakturen gibt. Die AfD kanalisiert es und muss dafür kaum etwas tun.

Starke Wählervereinigungen

Ergebnis der Kommunalwahl in Glashütte und Ortsteilen

Auch in Glashütte berichten Stadträte, dass die AfD-Vertreter in den Sitzungen präsent, aber nicht aktiv, geschweige denn konstruktiv seien. Auch in Glashütte gibt es einen parteilosen Bürgermeister, der in seiner Jugendlichkeit nur so sprüht vor Elan und Ehrgeiz und doch ratlos wirkt ob der Erfolge der Rechten. Auch in Glashütte verdrehen sie die Augen, wenn die Rede auf die Ampelregierung in Berlin kommt, und denken sich ihren Teil. Kein einziger Geschäftsführer der Manufakturen, die die NZZ angefragt hatte, wollte reden, auch nicht der Unternehmen, die in Schweizer Besitz sind.

Am Ende der Recherche bleiben vielleicht die Worte von Markus Schuffenhauer und Markus Deckert. Beide sind evangelische Pfarrer in der Region zwischen Sächsischer Schweiz und Osterzgebirge. Schuffenhauer sagt, in Deutschland tobe ein Kampf zwischen Stadt und Land. Die Leute hier empfänden ihre Region auf allen Ebenen im Niedergang, als seien sie aufgegeben worden – obwohl es vielen eigentlich gut gehe. «Das drückt ihnen aufs Gemüt.»

Deckert ergänzt, der kritische Blick der Gesellschaft auf die AfD drohe in Erschöpfung, Gewöhnung und Resignation verlorenzugehen. Wenn sich die Leute das Parteiprogramm anschauen würden, dann wüssten sie, dass die AfD der demokratischen Meinungsbildung nicht guttun würde. Aber das täten sie nicht.

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