Montag, Oktober 7

Ihr wirtschaftspolitisches Rezept stammt aus dem Giftschrank der Ökonomie. Das scheint die Demokratin aber nicht zu stören.

Das kam nicht gut an. Der von Kamala Harris gemachte Vorschlag, mit Preiskontrollen gegen «Wucher» bei Lebensmitteln vorzugehen, sorgt für Irritation. Selbst Medien wie CNN oder die «Washington Post», die eigentlich stramme Unterstützer von Harris sind, können der Idee nichts Gutes abgewinnen. Von Populismus ist die Rede, auch von Trickserei. Ob Harris damit die Wähler überzeugen könne, bleibe offen, schreibt die «Washington Post» – «aber wenn eine solide Wirtschaftsanalyse noch immer wichtig ist, wird das nicht der Fall sein».

Gier und Preistreiberei

Die Demokraten sind bemüht, die Sache herunterzuspielen und möglichen Schaden zu minimieren. Es gehe Harris nur darum, den Kapitalismus in Leitplanken zu halten, heisst es. Ausserdem solle man nicht zu viel aus dem wirtschaftspolitischen Programm herauslesen. Doch der Geist ist aus der Flasche. Nimmt man die demokratische Präsidentschaftsanwärterin beim Wort, scheint sie das Problem gestiegener Nahrungsmittelpreise vor allem als Folge unternehmerischer Gier und Preistreiberei zu sehen.

Abgesehen davon, dass Preisabsprachen in den USA aus guten Gründen ohnehin illegal sind, finden sich keine Hinweise auf Preistreiberei. Die amerikanischen Supermärkte stehen in hartem Wettbewerb, und ihre Gewinnmargen sind gering. Sie lagen 2023 bei 1,6 Prozent, während sie in den anderen Wirtschaftssektoren rund 8 Prozent ausmachten. Dass Lebensmittel heute 27 Prozent teurer sind als vor der Pandemie, hat nicht mit überhöhten Gewinnen zu tun, sondern mit unterbrochenen Lieferketten, knappen Arbeitskräften und einer rasch gestiegenen Nachfrage.

So falsch die Analyse der hohen Teuerung bei Lebensmitteln ist, so falsch ist auch das empfohlene Rezept. Denn Preiskontrollen, wie sie Harris in ihrem Programm anregt, kranken an vielen Problemen:

  • Stochern im Nebel. Niemand kennt den «richtigen» Preis. Weil das so ist, überlässt man die Preisfindung am besten dem Wettbewerb. Denn sollte eine Firma einen übertrieben hohen Preis verlangen und entsprechend satte Gewinne kassieren, dürfte rasch ein Konkurrent einen tieferen Preis anbieten, um die Nachfrage auf sich zu ziehen. Das wird sich bei funktionierendem Wettbewerb so lange fortsetzen, bis ein Preis erreicht ist, bei dem das Produkt gerade noch knapp profitabel, also ohne Verlust, angeboten werden kann.
  • Überforderte Bürokratie. Wenn anstelle des Wettbewerbs der Staat den Preis fixiert, fehlen das Signal und die Schwarmintelligenz des Marktes. Das führt zu Überforderung. Denn wie sollen Bürokraten die Kosten, Löhne, Lieferverträge, Marketingstrategien und Vertriebskanäle der Firmen kennen? Wie sollen sie die Einhaltung der Preise kontrollieren und Verstösse bestrafen? Und wie sollen sie die regional unterschiedlichen Verhältnisse einberechnen? Das läuft auf Planwirtschaft hinaus – und hat noch nie funktioniert.
  • Anfälligkeit für Willkür. Nur weil etwas unmöglich ist, heisst das nicht, dass sich Politiker die Sache nicht dennoch zutrauen. Denn auch Unmögliches bietet Chancen. So erlauben Preiskontrollen den Aufbau mächtiger Verwaltungsapparate. In diesen verhandeln dann Bürokraten über die «richtige» Höhe der Preise, zusammen mit Politikern und Firmen, die dafür weibeln, dass ihre Wähler und Branchen vorteilhafte Preise erhalten. Solches Lobbying beziehungsweise Rent-Seeking ist teuer, ineffizient und anfällig für Willkür.
  • Verzerrung der Marktes. Das ökonomisch wichtigste Argument gegen Preiskontrollen sind aber nicht überforderte Bürokraten oder umtriebige Lobbyisten. Schwerer wiegt die Verzerrung der Märkte. Wenn die Politik nach eigenem Gutdünken die Preise bestimmt, signalisieren die Preise nicht länger Knappheiten. Die Folge ist, dass die Märkte ins Ungleichgewicht kippen. Das gilt unabhängig davon, ob Regierungen einen Mindestpreis oder einen Höchstpreis fixieren. Der Wohlstand des Landes sinkt in beiden Fällen.
  • Schädliche Höchstpreise. Kamala Harris zielt mit ihrer Kritik an Supermärkten auf Höchstpreise. Doch Produzenten, die zu diesem Preis ihre Kosten nicht mehr decken können, werden sich zurückziehen, das Angebot sinkt. Demgegenüber wird die Nachfrage dank tieferen Preis steigen. Es kommt zu einer Übernachfrage. Das zeigt sich auch bei Mietpreisdeckeln. Sie verschärfen die Knappheit, weil der Anreiz zum Bau neuer Wohnungen sinkt, die Nachfrage nach den günstig gehaltenen Wohnungen aber steigt.
  • Viele Umgehungsmöglichkeiten. Regulierungen führen dazu, dass Betroffene den Schaden zu minimieren versuchen. Das kann über einen Qualitätsabbau erfolgen. Als im Zweiten Weltkrieg in den USA ein Höchstpreis für Fleisch galt, mischten Metzger den Hamburgern mehr billiges Fett bei. Eine Alternative sind Schwarzmärkte. Wenn der Benzinpreis niedrig gehalten wird und sich lange Schlangen vor Tankstellen bilden, entstehen Schwarzmärkte, wo man zwar mehr zahlt, das Benzin aber sofort und in gewünschter Menge erhält.
  • Reine Symptombekämpfung. Staatliche Preisgrenzen sind reine Symptombekämpfung. An den hohen Preisen zugrunde liegenden Problemen, etwa einer zu expansiven Finanz- oder Geldpolitik, ändern sie nichts. Das zeigte sich, als US-Präsident Richard Nixon 1971 mit einem 90-tägigen Einfrieren der Preise und Löhne die Inflation entschärfen wollte. Als die Massnahme aufgehoben wurde, entlud sich die aufgestaute Inflation sofort wieder. Die Aussicht auf solche Preissprünge macht es schwierig, einmal verfügte und als temporär geplante Preiskontrollen wieder aufzuheben.

Die Liste ist nicht abschliessend, es gäbe weitere heikle Punkte. Kaum eine politische Massnahme hat daher unter Ökonomen einen ähnlich schlechten Ruf wie Preiskontrollen. Der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff bezeichnet Harris’ Plan als «schreckliche Idee». Die Abneigung rührt auch daher, dass Preiskontrollen Innovationen hemmen und falsche Anreize setzen. Wenn ein Pharmaunternehmen nicht damit rechnen kann, seine Medikamente kostendeckend absetzen zu können, wird es nicht länger bereit sein, viel Geld in die Forschung zu stecken.

Wenige Ausnahmefälle

Dennoch gibt es Situationen, in denen Preiskontrollen notwendig sein können. Das ist bei Kriegen oder Naturkatastrophen der Fall, wenn Lieferketten massiv gestört sind. Um die Bevölkerung in solchen Zeiten mit lebenswichtigen Gütern zu versorgen, greifen Staaten oft auf Preisgrenzen zurück, wobei die damit verbundene Übernachfrage mit Rationierungen, etwa Bezugsscheinen, entschärft wird. Auch bei Monopolen und anderen Formen von Marktversagen, etwa beim Umweltschutz, werden Eingriffe in den Preismechanismus nötig.

Doch sind die USA weder im Krieg, noch hat auf dem amerikanischen Lebensmittelmarkt ein Monopolist das Sagen. Die Pandemie ist vorbei, der Wettbewerb spielt, ein Marktversagen ist nicht erkennbar. Wieso wirbt Harris dennoch für Preiskontrollen? Fehlt es der Demokratin beziehungsweise ihrem wirtschaftspolitischen Team an fundamentalem ökonomischem Wissen? Das ist unwahrscheinlich. Den Urhebern des Programms dürften die Unzulänglichkeiten ihrer Massnahmen bewusst sein. Dass sie dennoch Preislimiten propagieren, hat andere Gründe.

So dürfte es unter anderem darum gehen, die Mitschuld der Biden-Regierung an den hohen Lebensmittelpreisen zu kaschieren. Denn die Regierung hat mit einer extrem expansiven Ausgabenpolitik den bereits hohen Teuerungsdruck unnötig verstärkt. Die grosszügigen staatlichen Zuschüsse an private Haushalte während der Pandemie führten zu Überschussersparnissen, die in der Pandemie kaum ausgegeben werden konnten. Als diese Ersparnisse danach in den Konsum flossen und dort auf ein begrenztes Angebot stiessen, stiegen die Preise.

Die Gesetze des Wahlkampfs

Auf diesen Zusammenhang hinzuweisen, ist wahlpolitisch wenig klug, da Harris als Vizepräsidentin eine Mitverantwortung trägt. Also setzt sie in der Kampagne – wohl wider besseres Wissen – auf das Narrativ, die gestiegenen Lebensmittelpreise, welche die Mittel- und Unterschicht sehr hart treffen, seien auf die Gier der ohnehin ungeliebten Konzerne zurückzuführen. Dass die Notenbank Fed in einer Studie keine Hinweise fand für eine solche «Gierflation», ändert wenig am wahlpolitischen Nutzen, einen Sündenbock für hohe Preise präsentieren zu können.

Dass die von Harris propagierte Idee je umgesetzt wird, ist wenig wahrscheinlich. Selbst wenn die Demokratin gewählt würde und sie danach, wie versprochen, das «erste landesweite Verbot von Preiswucher bei Lebensmitteln» in Angriff nähme, bliebe das Vorhaben wohl chancenlos. Denn das Verbot müsste dem Parlament vorgelegt werden, wo das nötige Mehr dafür kaum zustande käme. So sehen Republikaner darin einen Rückfall in kommunistische Praktiken, und auch bei moderaten Demokraten ist die Begeisterung für radikallinke Experimente klein.

Der wirksamste Beitrag einer Regierung zur Schaffung niedriger Preise wäre eine sparsame Finanzpolitik. Davon abgesehen ist die Bekämpfung hoher Preise primär eine Aufgabe des Fed. Politökonomisch ist weder das eine noch das andere attraktiv. Kandidaten wollen Wählern viel Angenehmes anbieten, was zumeist kostet. Zudem kann Harris schlecht erklären, das grösste Problem für die Wähler liege ausserhalb ihres Einflussbereichs bei der Notenbank. Das würde hilflos wirken. Gefragt sind Taten – und seien sie noch so populistisch wie das Anrennen gegen imaginäre Preistreiber.

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