Samstag, Januar 18

Ein Schulstreit auf dem Lande eskaliert derart, dass der Kanton am Ende nur noch eine Lösung sieht: Zwangsverwaltung.

Am Ende dieses Schulstreits geschieht etwas, das in der Schweiz Seltenheitswert hat. Die Obrigkeit spricht ein Machtwort und setzt die Autonomie einer Gemeinde aus.

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Der Zürcher Regierungsrat teilt am Freitag mit, dass er der Primarschulgemeinde Dänikon-Hüttikon ab sofort das Recht auf Selbstverwaltung entzieht. Die Primarschulpflege, die oberste Behörde in einer Schulgemeinde, zuständig für politische Planung sowie deren Führung, existiert damit in Dänikon-Hüttikon nicht mehr.

Ab sofort leitet ein vom Regierungsrat bestimmtes Organ die Geschicke der Schulgemeinde. Nur so sei in Dänikon-Hüttikon die «ordnungsgemässe Aufgabenerfüllung» noch zu gewährleisten, schreibt der Regierungsrat. Das Jobprofil für diese Aufgabe kann man in einem Wort zusammenfassen: Brandlöscher.

«Ein aussergewöhnlicher Schritt», so nennt es Alexander Locher, der zuständige Jurist in der Kantonsverwaltung.

Was muss passiert sein, dass der Regierungsrat sich gezwungen sieht, eine Schulgemeinde zwangszuverwalten? Die Geschichte rund um eine Landschule zeigt, wie gross die Macht der Eltern mittlerweile geworden ist. Und sie zeigt, dass jedes Schulsystem seine Anhänger – und vor allem seine erklärten Gegner hat.

Der Streit in Dänikon-Hüttikon – zwei Gemeinden, eine Schulgemeinde und knapp 3000 Einwohner – zieht sich bereits über Jahre hin. Insider bezeichnen ihn «als Grabenkämpfe innerhalb der Gemeinde».
Zwei Lager stehen sich gegenüber: einerseits eine Gruppe Eltern, die sich um das Forum Rotflue gruppieren und die von der örtlichen SVP unterstützt werden, andererseits eine Elternschar, die von diversen Behördenmitgliedern unterstützt wird.

Das Forum Rotflue stört sich schon länger daran, dass in der Gemeinde die Schulleitung und die Schulverwaltung zu stark über die Schule bestimmen. Die beiden Seiten beharken sich regelmässig.

Altersdurchmischtes Lernen sorgt für Eklat

Zur endgültigen Erschütterung kommt es im Jahr 2022. Das Problem hat drei Buchstaben: AdL. Die Abkürzung steht für altersdurchmischtes Lernen und meint ein Schulsystem, das schweizweit einen gewissen Boom erlebt. Die Idee des Konzepts: Durch die Öffnung der Klassenstruktur sollen die Schülerinnen und Schüler «miteinander, voneinander und nebeneinander lernen», wie es in einem Leitbild einer Stadtzürcher Schule heisst.

Auch Dänikon-Hüttikon setzt auf altersdurchmischtes Lernen. In der Lehrerschaft soll diese Methode sehr beliebt gewesen sein. Manch eine Lehrerin, manch ein Lehrer habe sich eigens deshalb in der Schulgemeinde anstellen lassen.

Bis heute gibt es an der Pädagogischen Hochschule in der Stadt Zürich eine entsprechende Spezialisierung für Lehrer. Nur ist vielerorts die Euphorie über die Methode verflogen. Viele Gemeinden, zum Beispiel Zumikon oder Thalwil, sind wieder zu herkömmlichen Jahrgangsklassen zurückgekehrt. Die Gründe für den Wechsel zurück zum alten Modell liegen meist bei organisatorischen Problemen, fehlenden Ressourcen und skeptischen Eltern.

Auch in Dänikon-Hüttikon spielen die Eltern eine entscheidende Rolle. Das Forum Rotflue stört sich an der AdL-Methode.

Im Jahr 2022 gelingt der Gruppe der Coup. Bei den Erneuerungswahlen für die Schulpflege erringt sie einen Machtwechsel. Die neu besetzte Schulpflege lässt auch gleich Taten sprechen: Das altersdurchmischte Lernen soll zwar nicht gleich abgeschafft, aber zumindest umgekrempelt werden. Statt drei Jahrgänge pro Klasse will man nur noch zwei führen.

Nur: Der damalige Schulpräsident zieht nicht mit. Also straft das neue Gremium ihn ab und entzieht ihm die Leitung der Schulverwaltung. Der Präsident tritt im November 2022 zurück. Dafür sei er nicht gewählt worden, sagt der Schulpräsident dem «Zürcher Unterländer». Das Präsidentenamt habe damit nur noch repräsentative Aufgaben. Auch eine Schulpflegerin aus dem Fünfergremium wirft den Bettel hin.

Es sind Chaostage an der Schule. Bei einer kurzfristigen Versammlung, die schon tags darauf stattfindet, informiert die neue Schulpflege die Lehrer über die beschlossene Umstellung des Modells. Viele von ihnen sind wenig erfreut darüber und überlegen sich, zu kündigen.

Und eine andere Gruppe beginnt nun zu mobilisieren: die Eltern auf der Gegenseite. Viele wollen nicht akzeptieren, dass die neugewählte Schulpflege zur Tat schreitet. Eltern verteilen Flyer in Briefkästen und warnen vor einer bevorstehenden Kündigungswelle unter den Lehrern. Am Schulhaus werden Transparente gehisst: «Zusammen sind wir stark, für unsere Kinder und Lehrer. Haltet durch, wir stehen hinter euch!»

Der entscheidende Schlag der Eltern folgt an der Versammlung der Schulgemeinde im Dezember 2022. Sie findet in einer vollbesetzten Turnhalle statt und dauert bis Mitternacht: Das Volk lehnt das Schulbudget ab. Es ist ein Protest der Eltern gegen die neue Schulpflege. Als man Monate später nochmals abstimmt, wird das Budget abermals verweigert. Am Ende muss der Kanton das Budget für die Schulgemeinde festlegen.

Die Stimmung zwischen dem Gremium und Teilen der Lehrerschaft und der Bevölkerung ist auf dem Nullpunkt: Der «Zürcher Unterländer» schildert den Zusammenbruch eines Lehrers an der Gemeindeversammlung. Er sagt: «Ich war selber krank. Dass wir von der Schulpflege hingestellt wurden, als hätten wir ‹auf krank gemacht›, ist unterste Schublade.» Die Szene zeigt, wie tief der Konflikt zwischen der Schulpflege und der Lehrerschaft geht.

Tatsächlich kommt es zum befürchteten Exodus der Lehrer. Mehr als die Hälfte kehrt nach den Sommerferien 2023 nicht mehr an die Schule zurück. Das ist umso gravierender, als im ganzen Land Lehrermangel herrscht. Die Schulen stellen deshalb auch Personen ohne Diplom ein, sogenannte Poldis.

Aus dem Lehrerkollegium sowie Elternkreisen in Dänikon-Hüttikon heisst es, die Lücken seien im Übermass mit Poldis gefüllt worden. Am Ende habe die Hälfte des Lehrkörpers aus Poldis bestanden.

An der Schule bleibt es weiterhin unruhig. Zwei neue Co-Schulleiter verlassen die Schule 2024 noch in der Probezeit.

Schulpflege gibt den Eltern die Schuld

Dann kommt der grosse Knall. Ende 2024 tritt die Schulpflege geschlossen zurück. Das Rücktrittsschreiben hat es in sich: «Ein Teil der Eltern unserer Schulkinder torpediert seit längerem jegliche Tätigkeit der Milizbehörde», heisst es darin. Dies sei geschehen, «ohne dafür sachliche Begründungen ins Feld führen zu können».

Und das Gremium benennt im Schreiben offen seine Gegenspieler: den Elternverein Dänikon-Hüttikon. Dessen Agieren sei «nicht mehr erträglich und führt zu einer Gefährdung unserer Gesundheit».

Das Gremium schreibt, man wolle mit dem kollektiven Rücktritt einen Neuanfang ermöglichen.

Oliver Wiederkehr ist Mitglied des kritisierten Elternvereins Dänikon-Hüttikon und ehemaliger Kandidat für die Schulpflege. Er sagt, die Umstellung des altersdurchmischten Lernens sei nicht das Problem gewesen. Sondern die autoritäre Art und Weise, mit der die Schulpflege geführt habe.

Diese habe etwa die Lehrer nicht einbezogen und den Eltern erklärt, sie dürften sich nicht einmischen. Bei Gesprächen habe sich die Schulpflege Verschwiegenheitserklärungen ausbedingen wollen. Wiederkehr sagt: «Sie konnten nicht mit Kritik umgehen, sondern agierten voller Misstrauen. Jetzt müssen wir endlich aufeinander zugehen, so dass wir diese Schule stabilisieren können.» Die abgetretene Schulpflegepräsidentin Fabienne Schenkel war für die NZZ nicht erreichbar.

Nun wird ein Externer die Schulgemeinde als vorübergehender Leiter bis zur Wahl der neuen Schulpflege im Mai führen. Der Regierungsrat hat dafür Beat Vogt auserkoren – einen Primarschulpfleger aus dem Nachbardorf Buchs. Mit der Zwangsverwaltung setzt er den vorläufigen Schlusspunkt in einem wüsten Schulstreit im Kanton.

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