Dienstag, November 26

Die Kärntner Schriftstellerin Maja Haderlap schickt in «Nachtfrauen» eine Romanfigur auf eine Reise in die Kindheit. Alte familiäre und politische Konflikte brechen auf.

Zwölf Jahre hat es gedauert, bis sich Maja Haderlap als Romancière wieder zu Wort gemeldet hat. 2011 erschien ihr erfolgreiches Debüt «Engel des Vergessens». Mit einem Auszug daraus hatte sie kurz zuvor den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. In ihrem Roman «Nachtfrauen» kehrt sie auf vertrautes Terrain zurück, nach Südkärnten, in jenes Grenzgebiet, wo die slowenische Minderheit lange Zeit um Akzeptanz zu kämpfen hatte.

Haderlaps Protagonistin Mira hat diese Region vor langer Zeit verlassen. Seit drei Jahrzehnten lebt sie in Wien, wo sie bei der Arbeiterkammer eine Stelle als Bibliothekarin hat. Verheiratet ist sie mit Martin, einem wenig charismatischen Lehrer, der sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hat.

Zu ihrer Kärntner Herkunftsgegend hat sie ein zwiespältiges Verhältnis, doch eine familiäre Notlage zwingt sie dazu, zwei Wochen Urlaub zu nehmen, um ihrer Mutter Anni im Jauntal beizustehen. Diese ist gesundheitlich angeschlagen und darf nicht bleiben, wo sie ist und bleiben möchte. Ihr Neffe Franz will das Häuschen, in dem sie wohnt, umbauen – und seine Tante in ein Altersheim verfrachten. Mira soll sie von der Notwendigkeit dieses Schritts überzeugen.

Schwierige Annäherung

Sagen wir es offen: Eine Städterin zurück in ihr Heimatdorf zu schicken und Erinnerungen an eine komplizierte Kindheit heraufzubeschwören, das ist nicht originell. Zudem mag Maja Haderlap – wie so viele ihrer Kolleginnen und Kollegen in den letzten Jahren – nicht darauf verzichten, ihre Heldin in alten Truhen und Schubladen kramen zu lassen, auf der Suche nach Dokumenten, die die Vergangenheit näherbringen sollen.

Trotz diesem konventionellen Ansatz gelingt es Maja Haderlap, ihrer Mutter-Tochter-Auseinandersetzung einen ungewöhnlichen Ton zu verleihen. Das hat zum einen damit zu tun, dass sie die Heimkehr ins Jauntal und die gelegentlichen Ausflüge nach Slowenien, wo die Familie einst lebte, zu «Reisen ins Innere ihrer Kindheit» macht und dafür eindringliche poetische Bilder findet. Zum anderen beschwört Miras Reise eine Zeit herauf, als das Slowenische in Kärnten unterdrückt werden sollte. Es war eine «Sprache des Bekenntnisses, ein Politikum, das die erwünschte deutsche Identität des Landes infrage stellte».

«Nachtfrauen» ist das Zeugnis einer schwierigen Annäherung, bei der Anni und Mira versuchen, sich nicht nur als Tochter und Mutter zu definieren. Überdies geht es darum, lang Verschwiegenes ans Tageslicht zu bringen. Wie war das damals, als Miras Vater bei Waldarbeiten tödlich verunglückte? Trug Mira Schuld an diesem schrecklichen Ereignis, das von heute auf morgen das Familienleben auf den Kopf stellte? Sind Annis Vorwürfe im Lauf der Jahre verebbt, oder warten sie nur darauf, wieder hervorzubrechen?

Qualvolle Erinnerungen

Haderlaps Roman, der nicht selten unter hölzernen Dialogen leidet, wird nach und nach zu einer Sozialstudie. Denn während es Mira als einer von wenigen im Dorf gelang, der Heimat den Rücken zu kehren und sie dabei auch, zum Entsetzen ihrer Mutter, jede Religiosität abstreifte, war es in Annis Generation gang und gäbe, sich den Männern unterzuordnen und keinen Beruf zu erlernen. Mira wollte so nie leben, doch ihr ständiges Hadern zeigt, dass sich die Wurzeln der Herkunft nicht einfach kappen lassen. Ihre Ehe mit Martin hat jede Leidenschaft verloren, und so lässt sich Mira – erzählerisch nicht sonderlich motiviert – bei ihrer Rückkehr sofort auf eine Affäre mit ihrem Jugendfreund Jurij ein.

«Nachtfrauen» ist ein in vielen Passagen differenzierter Generationenroman, der nach den sozialen Ursachen von Lebensgewohnheiten fragt. Die Romankonstruktion überzeugt, bis sich Haderlap in einem zweiten, deutlich kürzeren Teil dazu entschliesst, die Perspektive zu wechseln und in Annis Innenleben einzutauchen. So soll dem Roman eine weitere Ebene hinzugefügt werden, eine weitere Generation quasi, denn plötzlich sehen wir Anni in qualvolle Erinnerungen an ihre Mutter Agnes verstrickt, die auf rätselhafte Weise ums Leben kam. Dieser Teil verwässert die so vielschichtig erzählte Beziehung von Anni und Mira und trübt zuletzt den Lektüreeindruck.

Maja Haderlap: Nachtfrauen. Roman. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2023. 294 S., Fr. 33.90.

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