Freitag, November 15

Die Lausanner Business-School IMD kommt in ihrer weltweiten Rangliste zu einem etwas überraschenden Ergebnis. Das mag auch an der Methodologie liegen.

Die Schweiz, Vizeweltmeister der Digitalisierung? Der eine oder andere mag sich die Augen reiben angesichts der jüngsten Rangliste zur «digitalen Wettbewerbsfähigkeit», welche die Lausanner Business-School IMD mit der Lobbygruppe Digital Switzerland am Donnerstag präsentiert hat. So kommentierte die NZZ vor zwei Jahren: «Die Schweiz kann keine Digitalisierung.» Das bezog sich zwar vor allem auf den Staat, doch der spielt auch im jährlichen IMD-Ranking eine gewisse Rolle. Warum also springt die Schweiz nun von Platz fünf auf Platz zwei?

Seit 2017 veröffentlicht das IMD seine Rangliste für die wichtigsten Volkswirtschaften. Sie basiert auf 59 Kriterien, zwei Drittel davon werden meist mit «harten» Daten wie Internetbandbreiten gemessen, der Rest auf Grundlage einer IMD-Umfrage. Spitzenreiter in der Gesamtwertung ist dieses Jahr Singapur, ab Platz drei folgen Dänemark, Irland und Hongkong.

Der Index hat drei Dimensionen: Beim «Wissen» ist die Schweiz nunmehr im vierten Jahr Weltmeister. Bei «Technologie» verbessert sie sich stark vom zehnten auf den vierten Platz. Nur bei der «Zukunftsfähigkeit» erreicht sie lediglich eine leichte Verbesserung auf Platz fünf.

Die Schweiz wird in der Studie gelobt als Paradebeispiel für eine Volkswirtschaft mit «robuster Governance, Innovationsfähigkeit und effektiven Mechanismen zum Wissenstransfer». Sie ist Weltmeister beim Schutz von geistigem Eigentum, bei hochqualifizierten ausländischen Fachkräften sowie beim Wissenstransfer von Hochschulen in die Privatwirtschaft. Auch bei der internationalen Erfahrung von Managern und der Nutzbarkeit von Kommunikationstechnologien belegt die Schweiz den ersten Platz.

Doch eine gewisse Skepsis ist angebracht. Alle genannten Spitzenplätze der Schweiz beruhen nicht auf harten Daten, sondern auf einer Umfrage, die das IMD nach eigenen Angaben im Frühjahr unter mehr als 6000 Führungskräften gemacht hat, viele von ihnen IMD-Alumni. Wie sehr die Befragten auch die 66 anderen untersuchten Volkswirtschaften kennen und wie die Fragen formuliert waren, ist unklar.

Zudem offenbart die Schweiz bei einigen Kriterien Schwächen, die nicht recht zum Spitzenplatz passen wollen: nur Platz 35 bei der Umwandlung von wissenschaftlichen Publikationen in Forschung und Entwicklung; Platz 36 beim Rechtsrahmen für Firmengründer, Platz 49 bei der Börsenkapitalisierung von IT- und Medienfirmen, Platz 52 beim Ausbau von mobilem Breitbandinternet.

Ranking misst das grosse Potenzial der Schweiz

Ein Experte für die Digitalisierung in der Schweiz, der lieber nicht namentlich genannt werden will, fragt sich denn auch, weshalb das Land in der Studie seit Jahren so gut abschneide. Das Ranking messe vor allem das grosse Potenzial der Schweiz, findet er – welches diese jedoch zu wenig nutze. «Dafür kann die Studie genutzt werden, um sich trotzdem auf die Schulter zu klopfen.»

Dieser Vorwurf ist nicht ganz leicht von der Hand zu weisen. Die Studie wurde vom IMD gemeinsam mit Digital Switzerland veröffentlicht und am Donnerstag an einem «Digitalgipfel» präsentiert. Die Lobbygruppe vereint nach eigenen Angaben mehr als 170 Unternehmen, Kantone, Hochschulen und Politiker. So freut sie sich naturgemäss über den Spitzenplatz für die Schweiz.

Das Ergebnis «zeugt von den Anstrengungen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, unser Land für die heutigen und künftigen Herausforderungen zu wappnen», sagt Colin Wallace von Digital Switzerland. Um an der Spitze zu bleiben, müsse nun das Vertrauen in Institutionen gestärkt und Projekte wie die E-ID und das elektronische Patientendossier umgesetzt werden.

Lobbygruppe drängt auf mehr E-Government

Olga Baranova von der Lobbygruppe CH++ betont insbesondere die «hervorragenden» Leistungen von Forschung und Wirtschaft. Zugleich offenbare die Rangliste strukturelle Schwächen in sehr heiklen Bereichen: «Die Schweiz hat Nachholbedarf in den Bereichen E-Government, Datenschutz, öffentliche Kompetenzen in der Cybersicherheit und E-Partizipation.»

Ausserdem stocke der Technologie- und Kompetenztransfer zwischen Forschung, Wirtschaft, Verwaltung und Politik. «Dies gefährdet langfristig die Handlungsfähigkeit der Schweiz.» Zusammen mit den Budgetkürzungen im Bereich Bildung, Forschung und Innovation entstehe eine gefährliche Ausgangslage für die Zukunft des Landes. Deshalb brauche die Schweiz nun dringend eine klare Strategie zum Aufbau entsprechender Kompetenzen in der Verwaltung und für gezielte Investitionen.

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