Sonntag, September 21

Im «Polizeiruf» aus Magdeburg läuft ein Jugendlicher Amok an seiner Schule. Es ist ein untypischer Krimi, weil nicht der Mord im Vordergrund steht.

Da sitzt er, über eine Klausur gebeugt. Er spielt mit dem Stift, wippt mit dem Fuss, schaut nicht auf. Die Schritte des Lehrers nähern sich, die Mitschüler kritzeln ihre Antworten. Er aber wendet den Kugelschreiber hin und her. Klick, klack, klick, klack. Er ist eine tickende Zeitbombe.

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Wenig später steht er in den dunklen, leeren Gängen seiner Schule. Er lehnt sich an die Wand. Gerade noch hat er eine geladene Waffe gegen seinen Schuldirektor gerichtet, hat abgedrückt. Einmal, zweimal. «Du kannst es tausend Mal üben, die Realität ist viel krasser. Mir ist schlecht», sagt er in eine Kamera, über die er seinen Amoklauf in alle Welt verbreitet. Er lädt die Waffe nach und zieht los durch das düstere Schulgebäude. Die Zeitbombe ist explodiert.

Ein Weltbild voller Verschwörungstheorien

Jeremy. Ein gewalttätiger, empathieloser, verlorener Jugendlicher. Die Mutter ist krank und anfällig für allerlei Erzählungen über finstere Mächte. Der Vater, wenn er einmal auftaucht, nimmt ihn zum Schiessstand mit. Jeremy (Mikke Rasch) übt und glaubt an Verschwörungstheorien über eine ausserirdische Reptilienrasse, die Krieg führe gegen die Menschheit. In seinem verworrenen Bild von der Welt sieht er sich als Retter der Menschen. Fünf von ihnen streckt er nieder und ist sich dessen bewusst, dass auch er am Ende tot sein wird.

Der Magdeburger «Polizeiruf» ist kein Thriller, der voller Spannung der Frage nachgeht, ob es den Kommissaren wohl gelingt, Jeremy von seiner tödlichen Mission abzuhalten. Er ist nicht einmal ein typischer Krimi, weil ohnehin von Anfang an klar ist, wer der Mörder ist. «Sie sind unter uns» ist ein leises Sozialdrama, das die Gewalt, die es darstellt, nicht verharmlost oder verherrlicht.

Natürlich hechtet die Kommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen), der Einsamkeit nicht fremd ist, zum Tatort und versucht zu begreifen, was Jeremy antreibt. Der Polizeipsychologe unternimmt alles, um den Jugendlichen zur Aufgabe zu bewegen. Die Lehrerin, die mitsamt ihrer Klasse von Jeremy als Geisel festgehalten wird, versucht es mit Verständnis und Zugewandtheit. Auf nichts lässt sich der Schüler ein.

Die Motive bleiben vage

Mittels Licht, Ton und Kamera wird hier das Innere eines Jugendlichen, der sein Ich nicht mehr findet, regelrecht ausgeleuchtet. Das Gesprochene wechselt von übertrieben laut bis kaum hörbar. Kinderstimmen sind aus der Entfernung zu vernehmen, Lampen surren, Türen knallen. Die Gänge der Schule verschwimmen im Dunkeln, die Totalen geben keinen Blick für Details preis. Es ist alles so unscharf und vage, wie auch Jeremys Motive es sind.

Die Regisseurin Esther Bialas nimmt die Figur des Täters, der auch Opfer ist, ernst und stellt sie nicht aus. Die Polizeiarbeit rückt hier in den Hintergrund, weil das leise leidende Kind, das lediglich die Sprache des Tötens für seine Not findet, im Vordergrund steht. Und vielleicht ist Jeremy auch gar nicht allein? Brasch gibt nicht auf, die unverständliche Tat verstehen zu wollen. Nur auf den moralisierenden Ton am Ende hätten die Macher gern verzichten können.

«Polizeiruf 110»: «Sie sind unter uns», am Sonntag, 21. September, um 20.15 Uhr in der ARD.

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