Dienstag, Oktober 1

Der Fall wirft ein Licht auf die Herausforderungen im Arbeitsmarkt, denen ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz gegenüberstehen.

Es ist der 12. Oktober 2023. Yulia Korol, die eigentlich anders heisst, putzt im Auftrag einer Russin eine Wohnung in Kilchberg am Zürichsee. Als Gegenleistung sollen die Frauen später zusammen Mittagessen gehen, so ist es abgemacht.

Die Ukrainerin freut sich auf das versprochene Essen, erzählt sie der NZZ. «Ich genoss es, wieder einmal Russisch zu sprechen.» Doch zum versprochenen Mittagessen kommt es nicht. Als die Ukrainerin und die Russin vor dem Putzen noch gemeinsam Kaffee trinken, klingelt es plötzlich an der Tür. Zwei Polizisten fragen nach dem Ehemann der Russin und später auch nach Korol. Die russische Frau erklärt, dass Korol eine Freundin sei. Die Beamten kontrollieren Korols Ausländerausweis und nehmen sie fest. Sie wird auf den Polizeiposten in Thalwil gebracht. So erzählt es Korol.

Dort habe sie einen Albtraum erlebt. «Die Polizei nahm mir all meine Sachen und meine Kleidung weg. Ich musste Gefängniskleidung tragen», sagt Korol. «Ich hatte Angst und war schockiert, ich habe geweint. Sie machten aus mir eine Kriminelle.»

Neun Monate später erhält sie einen Strafbefehl von der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis. Sie bekommt eine bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 30 Franken. Die Probezeit ist angesetzt auf zwei Jahre. Zudem soll sie 1200 Franken Verfahrenskosten zahlen. Der Grund: Yulia Korol besitzt keine Schweizer Arbeitsbewilligung.

Korol ist 42 Jahre alt und stammt aus Odessa im Süden der Ukraine. Dort arbeitete sie als Kellnerin in Restaurants und Hotels, manchmal auch auf Kreuzfahrtschiffen. Als der Krieg begann, flüchtete Korol in die Schweiz. Vor zwei Jahren erhielt sie den Schutzstatus S und wohnt seither zusammen mit ihrem Ehemann in Zürich.

«Ich war so zufrieden in der Schweiz», sagt sie. Jeden Nachmittag besucht Korol einen Deutschkurs und bereitet sich auf die B2-Prüfung vor. Sie wollte auch arbeiten. Dass sie dafür eine Bewilligung benötigt, habe sie nicht gewusst, sagt sie.

Bereits früher sei sie in verschiedenen Restaurants und Hotels Probetage arbeiten gegangen. Auch in Zürich. Von einer Bewilligung sei nie die Rede gewesen, sagt sie.

Korols Fall steht nicht allein. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass insbesondere in der Reinigungsbranche oder der Gastronomie Schwarzarbeit weit verbreitet ist und die Betroffenen schlechte Bedingungen hinnehmen müssen.

Auch gegen die Arbeitgeberin läuft ein Verfahren

Wegen des laufenden Verfahrens äussert sich die Kantonspolizei nicht zum vorliegenden Fall. Nur so viel: Es sei der Polizei grundsätzlich erlaubt, eine Person vorläufig festzunehmen, die eine Straftat begangen habe oder verdächtigt werde, eine solche begangen zu haben. Dies sagt ein Mediensprecher gegenüber der NZZ. Auch erlaube es die Strafprozessordnung, eine angehaltene oder festgenommene Person einer Leibesvisitation zu unterziehen, insbesondere um deren Sicherheit zu gewährleisten.

Erich Wenzinger, Mediensprecher der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich bestätigt, dass die Beschuldigte verhaftet wurde, weil sie im Verdacht stand, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ohne dafür über die notwendige Arbeitsbewilligung zu verfügen. Ins Visier genommen wurde auch die Arbeitgeberin, für die Korol putzte. Gegen sie läuft ebenfalls ein Strafverfahren, wie Wenzinger bestätigt. Er betont allerdings, dass der Strafbefehl noch nicht rechtskräftig sei. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Arbeit erleichtert die Integration

Eigentlich ist es das erklärte Ziel der Behörden, Geflüchtete aus der Ukraine in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das geschieht auch mit zunehmendem Erfolg, wie eine am Mittwoch veröffentliche Studie des Statistischen Amts des Kantons Zürich zeigt: Die Erwerbsquote bei Flüchtlingen aus der Ukraine steigt stetig an. Ende März lag sie bei 27 Prozent, vor einem Jahr waren es noch 18 Prozent.

Insgesamt hielten sich im Kanton Zürich Ende März 11 900 Ukrainerinnen und Ukrainer mit Schutzstatus S auf – es sind vorwiegend Frauen und Minderjährige, doch der Anteil der volljährigen Männer nimmt zu.

Personen mit Schutzstatus S dürfen ohne Wartezeit eine Arbeit aufnehmen, wenn sie eine Arbeitsbewilligung haben, sie dürfen reisen, Kinder können die Schule besuchen. Diese Art von Hilfe steht in einem Spannungsfeld: Der Status S soll dazu beitragen, die Sozialkosten in Grenzen zu halten und den Flüchtlingen eine Perspektive geben.

Er ist aber umstritten, weil die betroffenen Personen kein Asylverfahren durchlaufen müssen und nach der Registrierung umgehend an einen Kanton überwiesen werden. Sie sind es, die sich um Unterbringung, Aufenthalt und Integration kümmern müssen. Das Credo lautet: Wer eine Arbeit findet, dem fällt auch die soziale und kulturelle Integration leichter.

Am häufigsten arbeiten die Ukrainerinnen und Ukrainer im Gastgewerbe, gefolgt vom Erziehungswesen sowie dem Detail- und Grosshandel. Das ist zwar höher als der gesamtschweizerische Durchschnitt, aber immer noch weit weg vom Ziel des Bundes, dass bis Ende Jahr 40 Prozent der erwerbsfähigen Personen mit Status S arbeiten sollen.

Ein Grund, warum es vielen Ukrainerinnen und Ukrainern schwerfällt, eine Stelle zu finden, sind ungenügende Sprachkenntnisse oder Ausbildungen, die nicht anerkannt werden.

«Paragrafenreiterei»

Um Deutsch zu lernen, besucht Yulia Korol Sprachkurse bei der Asyl-Organisation Zürich (AOZ). Torsten Jenkel, der sie unterrichtet, ärgert sich über Korols Bestrafung, die aus seiner Sicht viel zu hart ist.

Jenkel bezeichnet den Strafbefehl als «Paragrafenreiterei». Das Gesetz werde starr ausgelegt, ohne die besonderen Umstände der Geflüchteten zu berücksichtigen.

Doch warum wurde das Thema Arbeitsbewilligung nicht in seinem Unterricht behandelt? «Das ist Sache der Betreuungsperson», findet Jenkel. «Wir sind für den Deutschunterricht zuständig, mit dem Ziel, dass sich die Leute in den Arbeitsmarkt integrieren.»

Zusammen mit Jenkel hat Korol Einsprache gegen den Entscheid erhoben. Damit hofft sie auf Kulanz der Behörden – und dass andere nicht das gleiche erleben wie sie.

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