Im Schwarzen Meer und in der Nordukraine stellte Kiew Ende Jahr seine Fortschritte in der automatisierten Kriegsführung unter Beweis. Damit setzen die Verteidiger Moskau unter Druck – bis jetzt allerdings nur punktuell.
Es ist eine heftige Schlacht, die am letzten Tag des Jahres 2024 über dem Schwarzen Meer tobt – Beobachter wie H. I. Sutton nennen ihr Resultat gar historisch. Mit Drohnen greifen die Ukrainer zu Wasser und am Himmel Russlands Militär auf der besetzten Halbinsel Krim an. Moskau reagiert mit Salven der Luftverteidigung und mit Feuer aus Kampfhelikoptern. In einem Video des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR ist zu sehen, wie eine Marinedrohne durch die Wellen rast, links und rechts lassen die Einschläge der russischen Geschosse das Wasser in Fontänen hochspritzen.
Dann passiert etwas, was es bisher noch nie gab: Das unbemannte Wasserfahrzeug des Typs Magura V5 nimmt einen Mi-8-Helikopter ins Visier und feuert eine Rakete auf ihn ab. Dieser explodiert, ein zweiter wird beschädigt. Laut inoffiziellen russischen Angaben geht er ebenfalls verloren. Kiew hat damit erstmals ein hochwertiges militärisches Ziel in der Luft mit einer Drohne zerstört.
Russland wird der Bedrohung durch Marinedrohnen nicht Herr
Für die Ukrainer ist die Zerstörung von mutmasslich zwei Kampfhelikoptern ein grosser Prestigeerfolg nach einem schwierigen Jahr. Das Video ist passenderweise mit dem Neujahrslied «Schtschedrik» unterlegt, dessen Melodie auch im Westen bekannt ist. Kiew stellt einmal mehr die Fähigkeit unter Beweis, der russischen Schwarzmeerflotte grosse Verluste zuzufügen – eine erstaunliche Errungenschaft für ein Land, dessen schwache Seestreitkräfte Russland gleich zu Beginn der Invasion 2022 praktisch vernichtet hat.
Die ukrainische Führung und vor allem der Militärgeheimdienst HUR reagierten darauf mit der Forcierung der Drohnenproduktion, um dem Feind einen asymmetrischen Krieg aufzuzwingen. Wird dieser zunächst primär von der Luft aus gegen die Krim geführt, so sehen sich die Russen ab 2023 auf dem Wasser mit einer völlig neuartigen Bedrohung durch Marinedrohnen konfrontiert.
Die ferngesteuerten unbemannten Wasserfahrzeuge haben einen erheblichen Anteil daran, dass Moskau seit 2022 fast die Hälfte seiner grossen Kriegsschiffe auf dem Schwarzen Meer verloren hat. Dazu kommen Angriffe auf Militärhäfen sowie die Beschädigung der Krim-Brücke im Sommer 2023. Da es Kiew gelungen ist, nicht nur Kamikazedrohnen zu entwickeln, sondern auf den unbemannten Booten auch Raketen zu montieren, gerät Russland auf dem Meer weiter in die Defensive.
Dennoch: Die Erfolge der Ukrainer haben die strategische Lage auf der Krim bisher nicht verändert. Die Russen zogen zwar Militärmaterial wie Kampfflugzeuge teilweise ab, auch, weil diese durch westliche Langstreckenraketen bedroht waren. Zudem bauten sie eine neue Bahnlinie durch die besetzte Südukraine, um die Halbinsel besser auf dem Landweg zu versorgen. Doch eine Befreiung der Krim wirkt heute so fern wie kaum je zuvor in den vergangenen drei Jahren.
Das Schlachtfeld der Roboter
Der Grund dafür ist, dass Kiew durch Kreativität und gute Aufklärung dem Feind zwar grosse Verluste zufügt, den Abnützungskrieg zu Land aber zu verlieren droht. Im Donbass haben die Truppen Moskaus die Verteidiger im letzten Jahr zurückgedrängt und wichtige Siege errungen. Das Hauptproblem der Ukrainer besteht dabei in der zahlenmässigen Unterlegenheit, vor allem bei Infanterietruppen.
Dies bedeutet, dass das Militär auch im Landkrieg zunehmend nach unbemannten Alternativen sucht. In diesem Bereich gab es im Dezember ebenfalls einen bemerkenswerten Durchbruch: Nördlich von Charkiw führte eine ukrainische Einheit erstmals einen erfolgreichen Angriff, bei dem grösstenteils unbemannte Systeme zum Einsatz kamen.
Laut Angaben der dort kämpfenden Chartija-Brigade räumten die mehreren Dutzend Roboter nicht nur Minen, sondern übernahmen auch die Aufklärung. Einige von ihnen waren mit Maschinengewehren ausgerüstet, die russische Stellungen direkt beschossen. Überwacht wurde die Operation durch sogenannte FPV-Drohnen aus der Luft. Der Militärexperte Mick Ryan sieht die Operation als «eines der bedeutendsten Beispiele einer Drohnenschlacht in diesem Krieg».
Beide Fälle zeigen, wie rapide die Automatisierung der Kriegsführung in der Ukraine voranschreitet. Das Land ist zu einem Experimentierfeld für neue Technologien geworden, die kaum reguliert sind. Bekannt ist, dass beide Seiten Systeme mit künstlicher Intelligenz einsetzen. Dank diesen können Drohnen beispielsweise auf den letzten Metern autonom ihr Ziel anfliegen, wenn ein Störsender das Signal unterbrochen hat.
Von einem Roboterkrieg à la Terminator kann dabei zwar keine Rede sein – Menschen steuern die Systeme, und sie treffen die Entscheidung, wann ein Ziel beschossen wird. Auch gibt es bis anhin keine grossflächigen Strategien, wie diese eingesetzt werden. Vor allem in der Ukraine hängen die Innovationen oft von der Initiative einzelner Einheiten ab. Dennoch entstehen hier komplexe, vernetzte Systeme zur Kriegsführung, die das Schlachtfeld der Zukunft umpflügen werden. Was das auch für die Welt ausserhalb der Ukraine bedeuten wird, ist in der öffentlichen Diskussion bisher noch in keiner Weise angekommen.