Sonntag, September 29

Mit der Vorselektion der Kandidaten hat die Führung um Khamenei die Wahlmöglichkeiten des Volkes stark eingeschränkt. Die Folge dürfte eine geringe Wahlbeteiligung sein. Offenbar ist Khamenei bereit, diesen Preis zu zahlen.

In der Islamischen Republik erfolgen Wahlen in zwei Stufen: Erst trifft der Wächterrat eine Vorauswahl, dann entscheiden die Wähler. Dabei ist die erste Stufe die Wichtigere, wie die gegenwärtige Präsidentschaftswahl zeigt. Von den 80 Bewerbern, die ihre Kandidatur für die Wahl am 28. Juni eingereicht hatten, hat der Wächterrat nur sechs Kandidaten zur Abstimmung zugelassen. Durch diese Vorselektion schränkte das Gremium aus zwölf Juristen und Geistlichen die Wahlmöglichkeiten des Volkes erheblich ein.

Das Verfahren ist auch innerhalb des Regimes seit langem umstritten – zu willkürlich, intransparent, undemokratisch und offensichtlich politisch sei die Vorauswahl der Kandidaten. Versuche der Reformer Anfang der 2000er Jahre, die Macht des Wächterrats zu beschneiden und das Recht zur Prüfung der Kandidaten an das Innenministerium zu übertragen, sind am Widerstand der Konservativen um den Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei gescheitert.

Der Wächterrat ist aufs Engste mit Khamenei verbunden – allein schon, weil der Revolutionsführer die sechs geistlichen Mitglieder des Gremiums ernennt. Durch die Möglichkeit zur Disqualifizierung von unliebsamen Kandidaten kann Khamenei entscheidend Einfluss auf die Wahlen nehmen. Von dieser Möglichkeit macht er regelmässig Gebrauch. Selbst Spitzenpolitiker und altgediente Angehörige der Elite sind nicht vor dem Bannstrahl des Revolutionsführers gefeit.

Selbst ein Enkel Khomeinys wurde bereits disqualifiziert

Vor der diesjährigen Präsidentenwahl hat es unter anderen Ali Larijani, Eshaq Jahangiri und Mahmud Ahmadinejad getroffen. Sie waren früher Parlamentspräsident, Vizepräsident und Staatspräsident. Man könnte annehmen, dass für den Wächterrat ihre politische Eignung und ihre islamisch-revolutionäre Gesinnung klar seien. Doch nichts schützt vor Disqualifizierung. Der allmächtige Revolutionsführer entscheidet gemäss seinen eigenen politischen Präferenzen.

Sämtliche Staatspräsidenten der vergangenen drei Jahrzehnte sind bereits von Wahlen ausgeschlossen worden. So durfte Hassan Rohani, der seit Jahrzehnten zur Elite des Staates gehört und bis 2021 die Regierung geführt hat, im Januar nicht zur Wahl des Expertenrats antreten. Einige Jahre zuvor wurde Hassan Khomeiny, ein Enkel des Staatsgründers Ayatollah Khomeiny und der Verwalter dessen Erbes, von der Expertenratswahl ausgeschlossen.

Bei den vergangenen Wahlen wurden bis zu 99 Prozent aller Bewerber vorab disqualifiziert. Dieses Mal fällt die Quote zwar niedriger aus. Allerdings lag dies in erster Linie daran, dass sich weniger Kandidaten registriert hatten, weil die Wahl nach dem plötzlichen Tod des Amtsinhabers Ebrahim Raisi sehr kurzfristig angesetzt wurde. Raisi war am 19. Mai bei einem Helikopterunglück ums Leben gekommen. Laut der Verfassung muss binnen 50 Tagen ein Nachfolger gewählt werden.

Über die Jahre hat sich das politische Spektrum in Iran immer mehr verengt. Nicht nur Reformer, auch moderate Konservative werden kaum noch geduldet. Schon bei Raisis Wahl 2021 zeigte sich, dass dem Revolutionsführer die Kontrolle der Wahl wichtiger ist als eine hohe Beteiligung. Die Folge war, dass sich ein Grossteil der Wählerschaft nicht mehr auf den Stimmzetteln repräsentiert fühlte und den Urnen fernblieb. Die geringe Wahlbeteiligung schwächte die Legitimität des Präsidenten. Khamenei war aber offenbar bereit, diesen Preis zu zahlen.

Auch ein Reformer wurde dieses Mal zugelassen

Dieses Mal ist mit dem 69-jährigen Mediziner und Abgeordneten Masud Pezeshkian zwar auch ein Reformer zugelassen worden. Er hat sich wiederholt mit scharfer Kritik an der repressiven Politik des Regimes hervorgetan. Mit seiner Zulassung will Khamenei aber vermutlich in erster Linie den Anschein eines offenen Wettkampfs erwecken. Die fünf anderen Kandidaten gehören rivalisierenden Faktionen der Hardliner an, unterscheiden sich aber kaum in ihren politischen Positionen.

Als mögliche Favoriten des Revolutionsführers gelten der derzeitige Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf und der frühere Atomunterhändler Said Jalili. Der frühere Luftwaffenkommandant und Teheraner Bürgermeister Ghalibaf ist allerdings seit Jahren mit Vorwürfen der Korruption konfrontiert und hat bei der Parlamentswahl im Mai nur schwach abgeschnitten. Jalili gilt als besonders radikaler Hardliner und ist ebenfalls wenig populär.

Ebenfalls zugelassen wurden der derzeitige Teheraner Bürgermeister Ali Reza Zakani, der Veteranenminister Amir-Hossein Ghazizadeh Hashemi und der ehemalige Justizminister Mostafa Pour-Mohammadi. Letzterer ist der einzige Geistliche unter den Kandidaten. Als Mitglied des «Todeskomitees» im Teheraner Evin-Gefängnis war er im Sommer 1988 an der Hinrichtung von Tausenden politischen Gefangenen beteiligt. Auch soll er als Vizegeheimdienstminster in den neunziger Jahren in die sogenannten Kettenmorde an Intellektuellen involviert gewesen sein.

Die Verfassung setzt der Macht des Präsidenten enge Grenzen

Der Handlungsspielraum des Präsidenten ist begrenzt, da im System der Islamischen Republik die Leitlinien der Politik vom Revolutionsführer festgelegt werden. Gemäss Artikel 109 der Verfassung hat dieser das Oberkommando über die Streitkräfte und entscheidet über Krieg und Frieden. Auch ernennt er wichtige Funktionäre wie den Chef der Justiz, den Leiter des staatlichen Rundfunks und den Generalstabschef sowie die Kommandanten der Armee und der Revolutionswächter.

Das politische System der Islamischen Republik Iran

Khamenei hat seit seiner Wahl zum Revolutionsführer 1989 sein Büro stark ausgebaut. Unter der Leitung seines Sohns Mojtaba agiert es heute als eine Art Parallelregierung. Es hat Repräsentanten in allen wichtigen Institutionen. Auch verfügt es mit den Freitagspredigern über Sprachrohre in allen grossen Städten und kontrolliert die mächtigen religiösen Stiftungen. Diese Stiftung verfügen über immense Vermögen und sind in diversen Wirtschaftsbereichen aktiv.

Zwar überwacht der Präsident die Umsetzung der Verfassung, vertritt den Staat nach Aussen und hat das Recht, Verträge mit anderen Staaten zu schliessen. Als Chef der Regierung ernennt er zudem die Minister, legt den Haushalt vor und kann Gesetzesinitiativen im Parlament einbringen. Aber selbst Präsidenten wie Mohammed Khatami und Hassan Rohani, die aufgrund ihres Rückhalts in der Bevölkerung eine starke Legitimität hatten, waren enge Grenzen gesetzt.

Khamenei wird dieses Mal wohl mehr denn je darauf bedacht sein sicherzustellen, dass das Präsidentenamt an einen linientreuen Gefolgsmann geht. Denn der 85-Jährige weiss, dass er nicht mehr ewig leben wird. Offiziell obliegt die Wahl eines Nachfolgers zwar den 88 Mitgliedern des Expertenrats. Die Revolutionswächter und die anderen Machtzentren der Islamischen Republik werden jedoch gewiss versuchen, Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen. In dieser Situation wird der Präsident ein wichtiges Wort mitzureden haben.

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