Sonntag, Oktober 6

Mit ihrer Viertelfinal-Qualifikation in Wimbledon macht die 23-jährige Tennisspielerin erstmals richtig auf sich aufmerksam. Doch sie tut es nicht mehr für Swiss Tennis, sondern für den neuseeländischen Verband – und vor allem für sich selbst.

Es gehört zur neuen Realität im Schweizer Tennis, dass in der zweiten Woche der Major-Turniere die Junioren die Schweizer Fahne hochhalten. Das ist in Wimbledon nicht anders als jüngst in Roland-Garros oder Anfang Jahr am Australian Open in Melbourne. Stan Wawrinka, Dominic Stricker und Viktorija Golubic scheiterten alle in der ersten Turnierwoche. Nun liegt der Schweizer Fokus auf den beiden Junioren Henry Bernet und Flynn Thomas, die gemeinsam auch im Doppel antreten.

Daneben sorgte auch Lulu Sun dafür, dass die Schweiz zumindest zu Beginn der zweiten Turnierwoche im All England Lawn Tennis Club noch ein Thema ist. Die 23-Jährige stiess als Qualifikantin (WTA 123) unter die letzten acht des Frauenturniers vor. Am Sonntag beendete sie auf dem Centre-Court das Turnier der britischen US-Open-Siegerin Emma Raducanu.

Im Januar spielte Lulu Sun noch für Swiss Tennis

Als sich Lulu Sun Anfang Januar in Melbourne erstmals für das Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers qualifizierte, tat sie das noch als Schweizerin. Mittlerweile tritt sie für Neuseeland an. Sun ist in Genf aufgewachsen, doch in Tat und Wahrheit ist sie eine Weltbürgerin. Geboren ist die Tochter eines Kroaten und einer Chinesin in Te Anau auf der neuseeländischen Südinsel, «auf der mehr Schafe als Menschen leben», wie sie selber witzelt. Sie lebte auch schon in Schanghai und in Florida, ehe sie nicht zuletzt aus schulischen Gründen kurz nach ihrem fünften Geburtstag in die Schweiz und in die Westschweizer Ortschaft Founex am Genfersee kam.

«Ich fühle mich wirklich privilegiert, so viele verschiedene Kulturen kennengelernt zu haben.» In den ersten Jahren ihrer Karriere entwickelte sie sich im Schosse von Swiss Tennis. Der Verband hätte die junge Athletin nur zu gerne bei sich behalten. Alessandro Greco, der Leistungssportchef von Swiss Tennis, sagte in diesem Frühjahr. «Lulu verfolgt ihr eigenes, privates Projekt, aber wir unterstützen sie schon seit längerem finanziell und sind für sie da, wenn sie etwas braucht. Sie hat nun das College abgeschlossen und ein gutes Team zusammengestellt.»

Anders als im Falle der in Basel gross gewordenen Rebeka Masarova, die sich vor sechs Jahren gegen die Schweiz und für Spanien entschieden hatte, verliefen die Trennung und der Nationenwechsel von Sun ohne Verstimmung und Nebengeräusche. Der neuseeländische Verband bot der jungen Athletin für den Wechsel einen Betrag, mit dem Swiss Tennis nicht mithalten konnte.

Der Verbandspräsident René Stammbach sagt: «Natürlich haben auch wir mit ihr gesprochen. Aber wir hätten unsere Prinzipien über den Haufen geworfen, wenn wir versucht hätten, da mitzuhalten.» Stammbach sagt, allerdings müsste sich der internationale Verband, dessen Vizepräsident er bis im vergangenen Herbst war, Gedanken machen, wie man mit Fällen wie diesen umgehe. «Wir haben doch einiges an Geld in die Athletin investiert.»

Lulu Sun sagte am Sonntag nach ihrem Sieg gegen Raducanu, sie sei bei ihrem Entscheid hin- und hergerissen gewesen. «Ich bin sowohl in Neuseeland als auch in der Schweiz aufgewachsen. Beide Länder haben mich stets gut und fair behandelt. Ich bin sowohl Swiss Tennis wie auch dem neuseeländischen Verband dankbar.»

Tennis ist neben einem Sport letztlich auch ein Geschäft, in dem Emotionen nebensächlich sind. Für Lulu Sun geht Wimbledon am Dienstag mit dem Match gegen die Kroatin Donna Vekic (37) weiter. Auch zu Kroatien hat Sun eine gewisse Verbindung, obwohl sie zu ihrem leiblichen Vater keine tiefere Bindung mehr hat. Ihr Stiefvater ist Deutsch-Engländer.

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