Samstag, September 28

Mitarbeiter der Konservativen Partei wetteten darauf, dass die Unterhauswahl im Juli stattfinden würde – unmittelbar vor der entsprechenden Ankündigung von Premier Sunak. War ein Ring von Tory-Insidern am Werk?

Als der britische Premierminister Rishi Sunak Ende Mai vor seinem Amtssitz an der Downing Street Nummer 10 die Unterhauswahl für den 4. Juli ausrief, überraschte ihn ein Wolkenbruch. Er selbst überrumpelte mit seiner Ankündigung Freund und Feind. Denn die meisten Beobachter hatten damit gerechnet, dass Sunak den Wahltermin bis im Herbst hinauszögern würde, vor allem angesichts des grossen Umfragerückstands seiner Konservativen Partei und der erst langsam einsetzenden wirtschaftlichen Erholung.

Ausgezahlt hat sich der Coup für Sunak nicht. Da die Konservativen nicht nur von der Labour-Opposition, sondern auch von der aufstrebenden Rechtspartei Reform UK von Nigel Farage bedrängt werden, droht ihnen am 4. Juli vielmehr ein dramatischer Sitzverlust historischen Ausmasses.

100 Pfund auf frühe Wahl

Eine gute Woche vor dem Wahltermin muss sich Sunak überdies mit einer Affäre herumschlagen, die den Ruf der Tory-Partei weiter zu beschädigen droht. Craig Williams, ein konservativer Unterhauskandidat und bis vor kurzem ein Mitarbeiter Sunaks, setzte bei einem Wettanbieter 100 Pfund darauf, dass die Unterhauswahl im Juli stattfinden würde. Der Einsatz ging kurz vor der überraschenden Ankündigung Sunaks ein und trug Williams einen Gewinn von 500 Pfund (565 Franken) ein.

Williams entschuldigte sich und sprach von einer «riesigen Fehleinschätzung». Die Frage, ob er Insider-Informationen zum Wahltermin gehabt habe, liess er mit Verweis auf eine laufende Untersuchung der nationalen Glücksspielkommission unbeantwortet. In Grossbritannien kann man auf alle möglichen Ereignisse Wetten abschliessen. Doch ist es illegal, auf einen Sachverhalt zu wetten, von dem man bereits weiss, dass er eintreffen wird.

Rasch begannen sich Hinweise zu häufen, dass Williams mit seinem Fehlverhalten nicht allein war. Verschiedene Wettbüros verzeichneten am Tag vor Sunaks Ankündigung des Wahltermins eine plötzliche Häufung von Wetten auf eine Unterhauswahl im Juli. Zu diesem Zeitpunkt kursierten bloss vereinzelte Gerüchte über eine frühzeitige Ausrufung von Wahlen. Nun untersucht die Glücksspielkommission alle kurzfristigen Transaktionen, bei denen Spieler einen Gewinn von mehr als 199 Pfund erzielten.

Bekannt ist inzwischen, dass Wetten einer weiteren Tory-Unterhauskandidatin und ihres Mannes untersucht werden. Letzterer arbeitete als Kampagnendirektor der Konservativen Partei. Untersucht werden auch Wetteinsätze des obersten Datenbeauftragten der Partei, der laut der «Sunday Times» auf verschiedenen Websites Dutzende von kleineren Beträgen gesetzt haben soll.

Sanktioniert wurde überdies ein Polizeibeamter, der Teil des Sicherheitsdispositivs von Sunak gewesen war. Er wurde vergangene Woche wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch vorübergehend festgenommen und vom Dienst suspendiert.

Echo der Party-Affäre

In Politzirkeln wird spekuliert, dass ein eigentlicher Ring von konservativen Insidern in den Wettskandal involviert sein könnte. Die «Times» berichtet, die Glücksspielkommission habe ein Dossier mit rund hundert Namen von Verdächtigen zusammengestellt. Die eingesetzten Beträge muten gemessen am rechtlichen und politischen Risiko für die Beteiligten fast lächerlich klein an. Denn wenn Regierungsberater solche Wetten abschliessen, führt dies zu einem offensichtlichen Interessenkonflikt und widerspricht dem britischen Fairplay-Gedanken.

Darum scheint der Wettskandal bei der Wählerschaft auch stärker hängenzubleiben als andere Affären. Der konservative Unterhausabgeordnete Tobias Ellwood sagte am Montag, es sei noch unklar, ob die Betroffenen aufgrund von Insiderinformationen oder bloss von vagen Gerüchten oder Vorahnungen gehandelt hätten. Dennoch sei unerklärlich, dass ihnen die Problematik ihres Verhaltens nicht bewusst gewesen sei. Ellwood geht davon aus, dass die Affäre die Konservativen etliche Sitze kosten wird.

Michael Gove, der Brexit-Vorkämpfer und langjährige konservative Minister, zog gar einen Vergleich zur Affäre rund um die illegalen Partys, die während des Corona-Lockdowns am Amtssitz von Boris Johnson stiegen. Bereits damals sei der Eindruck entstanden, dass die Kreise, welche die Gesetze und Regeln für die gesamte Bevölkerung aufstellten, sich selbst nicht daran hielten.

Als Sunak im Herbst 2022 die Nachfolge von Johnson und seiner kurzzeitigen Vorgängerin Liz Truss antrat, versprach er eine Regierung der «Integrität, Professionalität und Rechenschaftspflicht». Nun erklärte er, die Anschuldigungen machten ihn «unglaublich wütend». Sollte die Untersuchung der Glücksspielkommission illegales Verhalten offenbaren, würden die Betroffenen unverzüglich aus der Partei geworfen. Vorderhand aber schwelt die Affäre weiter – und belastet Sunak ausgerechnet in der entscheidenden Phase des Wahlkampfs.

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