Freitag, Oktober 18

In der Reihe «Filmsinfonik» wird die Tonhalle zum Kinosaal umfunktioniert. Das Orchester begleitet das Werk «Die weisse Hölle vom Piz Palü».

Ein junges Paar und der Alpinist Dr. Johannes Krafft wollen von der Diavolezza-Hütte aus über die Nordwand den Gipfel des «bleichen Bergs» erreichen – und geraten in Not. «Die weisse Hölle vom Piz Palü» mit Leni Riefenstahl in der Hauptrolle und Arnold Fanck und Georg Wilhelm Pabst als Co-Regisseuren feierte 1929 Premiere. Nun wurde der Bergfilm in der Reihe «Filmsinfonik» vergangene Woche in der zum Kinosaal umfunktionierten Tonhalle Zürich gezeigt.

Das Drama am Berg erweist sich dabei mit seiner grandiosen Bildsprache als perfekter Hintergrund für die erst 1996 zur Originalfassung des Films hinzukomponierte Musik des Australiers Ashley Irwin. Das Ergebnis ist ein multimediales Erlebnis, in dem sich Kinobesuch und Live-Konzert auf betörende Weise zu einem audiovisuellen Kunstwerk fügen.

Umstrittenes Zeitzeugnis

Der künstlerische Kopf dahinter ist der Dirigent Frank Strobel, ein Pionier der «Film-in-Concert»-Bewegung. Spätestens durch seine Rekonstruktion der Urfassung von Fritz Langs Filmklassiker «Metropolis» mithilfe der Originalpartitur hat er Berühmtheit im interdisziplinären Feld von Film und Musik erlangt.

Strobel gelingt es, das Tonhalle-Orchester und die brillanten Klangeffekte in vollendete Synchronität zur dargestellten Handlung zu bringen. Dadurch entsteht eine dramaturgisch perfekte Parallelität zwischen den Erzählebenen Musik und Film, die unmittelbar auf das Publikum wirkt. Sie fühlt sich zuweilen wie eine Zeitreise zu den Ursprüngen von Kino und Filmmusik an.

Szenen aus «Die weisse Hölle vom Piz Palü».

Dabei ist der Film ein umstrittenes Zeitzeugnis. Die Schauspielerin Leni Riefenstahl und der Kunstflieger Ernst Udet wurden später zu Aushängeschildern der NS-Propaganda. Auch «Die weisse Hölle vom Piz Palü» wurde in einer verstümmelten Fassung dafür instrumentalisiert. Doch ihm nachträglich eine ideologische Nähe zum Faschismus zuzuschreiben, täte dem cineastischen Meisterwerk unrecht.

Das Innere von Gletschercouloirs

Wenn man sich die Entstehungsgeschichte des Films vor Augen führt, steht an ihren Ursprüngen die Faszination Berg unangefochten im Zentrum. Sie wird durch Elemente, denen aus heutiger Sicht der Zauber des Alpenhistorismus innewohnt, noch verstärkt. Der für die spektakulären Aussendrehs zuständige Arnold Fanck montierte Kameras, die zur damaligen Zeit noch gekurbelt wurden und sperrige Kästen waren, auf urtümliche Tourenski aus Holz und fing damit nicht nur veritable Eisstürme und das Innere von Gletschercouloirs, sondern auch ganze Lawinenabgänge ein.

Die Darsteller mussten selbst zu Bergsteigern werden, die, mit Hanfseilen ausgestattet, waghalsige Stunts ausführten. Diese werden von Irwins Musik untermalt, so dass sich nicht selten der sogenannte Mickey-Mousing-Effekt zeigt: Ein physikalisches Geräusch im Film erfährt eine direkte Entsprechung im perkussiven Orchesterklang. Das Niederprasseln einer Schneesalve zum Beispiel. Weiter simulieren Röhrenglocken den Klang der Kirchenglocken, die zur Rettung der in Not geratenen Bergsteiger geläutet werden.

Die mit dem Auftauchen eines Flugzeugs aufkeimende Hoffnung wird von triumphalem Bläserklang begleitet. Mehr als einmal versetzt diese Unmittelbarkeit zwischen Musik und Handlung das – an moderne Blockbuster mit digitalen Effekten so gewöhnte – Publikum in Staunen. Filmsinfonik in dieser Form vermag den Nerv des Zuschauers zu treffen, damals wie heute.

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