Montag, Dezember 23

Protürkische Rebellen verstärken mit Unterstützung aus Ankara den Druck auf die kurdischen Kräfte in Syrien. Der Soziologe Mesut Yegen erklärt, wie das mit den jüngsten Öffnungsschritten gegenüber den Kurden in der Türkei zusammenpasst.

Der Konflikt zwischen der Türkei und den kurdischen Kräften in Syrien ist der zurzeit vielleicht explosivste Brennpunkt in Syrien. Noch vor Asads Sturz hatten die von Ankara unterstützten Rebellen der Syrischen Nationalen Armee eine Offensive gegen die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte begonnen. Diese mussten sich in der Folge aus grossen Gebieten westlich des Euphrat zurückziehen. Nun rückt die symbolisch wichtige Stadt Kobane in den Fokus. Laut Berichten in sozialen Netzwerken könnte ein Angriff unmittelbar bevorstehen.

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Herr Yegen, warum ist Kobane so wichtig für die Kurden?

Der Ort hat eine fast mythische Bedeutung für die Kurden in Syrien und in der Türkei. Hier ist den kurdischen Kämpfern mit amerikanischer Unterstützung 2015 der erste Sieg über den Islamischen Staat gelungen. Die Islamisten hatten die Stadt zwei Monate lang belagert, es gab sehr viele Opfer. Kobane ist zudem die erste kurdische Stadt östlich des Euphrat. Fällt sie, würde dies ein grosses Fragezeichen hinter die Zukunft der kurdischen Autonomie in Syrien stellen. Seit Asads Sturz mussten die syrischen Kurden vor allem Orte räumen, die mehrheitlich von Arabern besiedelt sind. In Kobane geht es um ihr Kernland.

Warum sieht die Türkei das kurdische Autonomiegebiet in Syrien als Bedrohung an?

Aus militärischer Sicht ist das natürlich Quatsch. Die Türkei hat die zweitgrössten Streitkräfte der Nato. Die kurdischen Truppen an der Grenze stellen keine Gefahr dar. Die politische Überlegung ist aber eine andere. Ankara war nie bereit, ein weiteres Gebiet zu akzeptieren, das von Kurden regiert wird, aus Angst vor der Dynamik, die das in der Türkei auslösen könnte. Präsident Erdogan hat mehrmals gesagt, es sei ein Fehler gewesen, die Existenz eines föderalen kurdischen Gebiets im Nordirak zuzulassen.

Gleichzeitig geht Ankara auf die Kurden in der Türkei und die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu. Die PKK gilt in der Türkei als Staatsfeind Nummer 1, die kurdischen Truppen in Syrien als deren Ableger. Wie geht das alles zusammen?

Die Entwicklungen in Syrien spielen eine zentrale Rolle für alles, was die türkische Regierung in letzter Zeit gegenüber ihrer kurdischen Bevölkerung unternommen hat. Das eine lässt sich nicht losgelöst vom anderen betrachten.

Das müssen Sie erklären. Die Initiative gegenüber den Kurden wurde ja bereits vor Asads Sturz lanciert.

Ankara war von der Geschwindigkeit, mit der sich das Regime in Damaskus auflöste, genauso überrascht wie alle anderen. Dass sich durch Israels Krieg gegen die Hamas und den Hizbullah die Machtverhältnisse in der Region zuungunsten Irans verschieben, hatte man aber sehr wohl registriert. Bei einem offenen Krieg zwischen Israel und Iran wäre das erst recht der Fall gewesen.

Und was hat das mit den Kurden zu tun?

Angesichts eines drohenden Flächenbrands möchte Ankara im eigenen Haus alle Feuer löschen. Das ist das eine. Vor allem möchte man aber um jeden Preis verhindern, dass von dem entstehenden Machtvakuum die Kurden und besonders die PKK profitieren. Die Organisation ist in der Türkei zwar nur noch schwach. In Syrien, im Irak und auch in Iran selber gibt es aber einflussreiche kurdische Kräfte, die der PKK nahestehen. Das Worst-Case-Szenario aus Ankaras Sicht wäre, wenn diese Kräfte auch noch Unterstützung aus Israel erhielten. Das ist weniger weit hergeholt, als es klingt. Israel hat sich kürzlich explizit für die kurdischen Kräfte in Syrien ausgesprochen.

Sie legen den Fokus auf die Sicherheitspolitik. Aber geht Erdogan nicht auch deshalb auf die Kurden in der Türkei zu, weil er ihre Unterstützung für die Verfassungsreform braucht, die ihm eine weitere Amtszeit sichern soll?

Das eine schliesst das andere nicht aus. Aber ich glaube, der sicherheitspolitische Kontext wird unterschätzt. Bei der Initiative des Erdogan-Verbündeten Devlet Bahceli, den inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan vor dem Parlament sprechen zu lassen, geht es explizit um diese Organisation. Öcalan soll sie dazu aufrufen, ihre Waffen niederzulegen und sich aufzulösen. Das ist das strategische Ziel, nicht die Lösung der Kurdenfrage als solcher. Hierfür wären viel weitreichendere Zugeständnisse erforderlich als verbesserte Haftbedingungen für Öcalan.

Gefährdet die türkische Regierung mit ihrem harten Vorgehen in Syrien nicht das Wohlwollen der Kurden im eigenen Land?

Man kann mit Zuckerbrot und Peitsche Politik machen. Das Justizministerium hat vor wenigen Tagen grünes Licht dafür gegeben, dass kurdische Abgeordnete im Januar Öcalan im Gefängnis besuchen dürfen. Das ist ein wichtiger Schritt. Aber ja, die türkische Kurdenpolitik bewegt sich in einem Spannungsverhältnis. Hier kommt auch Kobane wieder ins Spiel.

Inwiefern?

Die Sympathie unter den türkischen Kurden für das Autonomiegebiet in Syrien ist gross. Aber man ist angesichts der gegenwärtigen Machtverhältnisse bereit, zu akzeptieren, dass der kurdische Einfluss in Syrien schrumpfen wird und auch andere Kompromisse notwendig sein werden, wie vielleicht der Abzug der Truppen aus dem Grenzgebiet. Sollten die kurdischen Kräfte in Syrien aber vollständig zerschlagen werden oder es sonst zu Exzessen kommen, etwa zu einer grossen Zahl ziviler Opfer, würde das eine heftige Gegenreaktion auslösen, auch in der Türkei. Deshalb ist es sehr wichtig, was in Kobane passiert.

Was erwarten Sie?

Dieser Dynamiken ist man sich natürlich auch in Ankara bewusst. Am Ende geht es aber nicht nur darum. Entscheidend wird auch die amerikanische Position sein. Die USA haben kein Interesse an einer vollständigen Zerschlagung der kurdischen Kräfte in Syrien, wegen deren Rolle im Kampf gegen den IS. Der kurdische Oberbefehlshaber hat kürzlich vorgeschlagen, aus Kobane eine demilitarisierte Zone zu machen. Das zeigt, dass hinter den Kulissen weiter verhandelt wird. Das ist ein gutes Zeichen.

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