Donnerstag, Oktober 3

Der kantonale Datenschutz steht einem Projekt in Birmensdorf kritisch gegenüber.

Die Mitteilung der Primarschule Birmensdorf beginnt harmlos. Die «hochstehende Betreuung» der Kinder sei für die Schule ein zentrales Anliegen, schreibt sie den Eltern am 28. Mai. Weil die Zahl der Kinder im Hort Letten stetig steige, sei es für die Mitarbeitenden eine Herausforderung, jederzeit den Überblick über den Aufenthaltsort der Schülerinnen und Schüler zu haben.

Doch was dann kommt, hat es in sich. Die Schule will eine «digitale Lösung» ausprobieren: Die Kinder im Hort Letten sollen künftig ein magnetisches Armband mit Bluetooth-System tragen, mit dem das Betreuungspersonal abrufen kann, wo im Hort oder auf dem Schulgelände sich das Kind gerade aufhält. Zudem werde das Personal «aktiv informiert», falls sich ein Kind «unerlaubterweise» während der Betreuungszeit vom Hort oder von der Schule entferne. Publik gemacht hat dies die Zeitung «Le Temps».

Pikant: Die Technologie und die Ausrüstung für das Trackingsystem liefert der Leiter des Horts Letten, Joel Giger, gleich selbst. Er hat im letzten Jahr ein Start-up mit dem Namen Companion gegründet und das Projekt in Birmensdorf initiiert. Das Signet der Firma ist auch auf der Mitteilung der Schule abgebildet, die der NZZ vorliegt.

Eine problematische Verflechtung sieht die Schulpflege darin nicht, wie deren Präsidentin Bettina Köhler gegenüber der NZZ sagt. «Die Verantwortlichen der Tagesstrukturen der Schule Birmensdorf können durch das Pilotprojekt neue Erkenntnisse gewinnen und bieten gleichzeitig der Firma die Möglichkeit, das Produkt im Rahmen des Pilotprojektes zusammen mit Fachpersonen vor Ort zu testen.»

Kinder können in Räumen «gefiltert» werden

Ein Blick auf die Website von Companion zeigt: Das Unternehmen stattet Schulen mit Tablets aus, die eine Übersichtskarte der betreffenden Schule mitsamt Aussenräumen anzeigen. So hat das Betreuungspersonal stets die Übersicht, wie viele Kinder sich in Raum aufhalten – es ist auch möglich, Räume nach einzelnen Kindern zu «filtern». Zudem können für die Kinder «wichtige individuelle Informationen zu Lebensmittelunverträglichkeiten» hinterlegt werden, um den Check-in beim Mittagessen zu vereinfachen.

Der Test in der Schule Birmensdorf beginne am 10. Juni mit den dritten und vierten Klassen und dauere bis zu den Sommerferien, so schreibt die Schule in der Mitteilung. Zwischen den Sommerferien und den Herbstferien werde das Projekt auf sämtliche Klassen ausgeweitet. Danach werte man den Test aus und entscheide über eine definitive Einführung des Systems.

Es ist den Eltern überlassen, ob sie ihr Kind am Projekt teilnehmen lassen wollen oder nicht. Sie müssen ihre Kinder allerdings aktiv davon abmelden. Tracking-Systeme für Kinder sind keine Neuerfindung. GPS-Geräte, mit denen Eltern den Nachwuchs jederzeit orten können, sind mit einem Klick im Internet bestellbar. Weltweit stieg die Zahl solcher tragbarer Geräte, auch Wearables genannt, in den letzten Jahren deutlich an.

Dass nun eine Schule auf digitale Überwachung setzt, ist eher ungewöhnlich. Bekannt ist ein Fall aus der Luzerner Gemeinde Kriens: Dort stattete die Stadt Erstklässler mit einem GPS-Tracker aus, um herauszufinden, wo die gefährlichen Stellen auf dem Schulweg liegen.

Companion schreibt auf seiner Website, die Daten der Kinder würden «nur kurzzeitig» und während des Einsatzes der Armbänder gespeichert, eine Archivierung erfolge nicht. Zudem sei die Lokalisierung der Kinder ausschliesslich in den Räumen und auf dem Gelände der Schule oder des Horts möglich. Darüber hinaus könne der Aufenthalt der Schüler nicht lokalisiert werden.

«Schüler werden nicht permanent verfolgt»

Das bestätigt der Hortleiter und Companion-Gründer Joel Giger gegenüber der NZZ: «Die Schülerinnen und Schüler werden nicht permanent verfolgt.» Auf dem Tablet könne lediglich ihr ungefährer Standort erkannt werden. Dabei gehe es allein darum, die Betreuungssicherheit und die Auffindbarkeit der Kinder zu verbessern. Denn die Anzahl zu betreuender Kinder in schulischen Tagesstrukturen wachse stetig und konfrontiere die Mitarbeitenden mit neuen Herausforderungen.

Er sagt, zurzeit müssten Betreuungspersonen «bis zu zehn Minuten» aufwenden, um ein Kind auf dem weitläufigen Schulgelände zu finden. Das sei der Betreuung der anderen Kinder nicht zuträglich.

Laut Giger speichern die Bluetooth-Bändel weder personenbezogene Daten, noch erstellen sie ein Bewegungsprofil der Kinder. «Sämtliche verarbeitete Bewegungsdaten sind temporärer Natur und werden jeden Tag gelöscht.»

Zusätzlich zum Vornamen mit dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens würden einzig allfällige Unverträglichkeiten und die Klasse im Datensystem erfasst. Diese Daten seien in einem separaten Netzwerk verschlüsselt und nicht vom Internet aus erreichbar.

Sämtliche Schritte bezüglich Planung und Durchführung des Pilotversuches seien von der Schulpflege unabhängig geprüft und bewilligt worden, schreibt Giger. Dies gelte auch für die Auswertung der Versuchsphase und für einen möglichen Entscheid, das Betreuungskonzept einzuführen. Das Pilotprojekt zur Optimierung der Betreuung habe er auf eigene Kosten entwickeln lassen. Die Schule zahlt also nichts.

Wie legitim ist es, Schulkinder mit Trackern auszustatten, um ihre «Auffindbarkeit» zu verbessern?

Der kantonale Datenschutz steht dem Projekt kritisch gegenüber. Laut dessen Sprecher Hans Peter Waltisberg ist eine Datenbearbeitung verhältnismässig, wenn ein «vernünftiges Verhältnis» zwischen dem verfolgten Zweck und der Datenbearbeitung besteht. Aber: «Eine dauerhafte Lokalisierung von Schülerinnen und Schülern scheint nicht erforderlich für die Betreuung von Kindern.» Es sei zu prüfen, ob ein Bluetooth-Armband für die Lokalisierung das geeignete Mittel sei. So müsse etwa berücksichtigt werden, dass ein Armband auch abgelegt werden könne.

Ein vergleichbares Projekt mit Bluetooth-Armbändern für Schülerinnen und Schüler im Kanton Zürich ist dem Datenschutz nicht bekannt.

Kurz angebunden ist das kantonale Volksschulamt: Die Ausgestaltung der Tagesstrukturen sei Sache der Gemeinden, teilt deren Amtsleiterin Myriam Ziegler der NZZ mit. Eine Informationspflicht gegenüber dem Kanton bestehe nicht.

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