Freitag, April 25

Die Kunst der Talkshow besteht darin, Menschen zum Reden zu bringen, die nicht reden wollen, und solche, die nur sich selber darstellen wollen, zu bremsen.

Uninterviewbar. Den Begriff hörte ich erstmals bei einer Tasse Tee im legendären Wiener Hotel Sacher. Formuliert hatte ihn Armin Wolf, der bekannteste und schärfste österreichische TV-Interviewer, der seit 22 Jahren in der ORF-Sendung «ZIB 2» Leute befragt. Mit ihm hatte ich mich wieder einmal getroffen, um uns über den Zustand unserer Welt im Allgemeinen und unseres Gewerbes im Besonderen zu unterhalten.

Uninterviewbar? Die Bezeichnung liess mich nicht mehr los. Und so entschied ich, das Wort auf seine Begrifflichkeit abzuklopfen.

Uninterviewbar sind einmal Menschen, die sich grundsätzlich verweigern. So hat René Benko selbst auf dem Höhepunkt seiner Karriere kein einziges TV-Interview gegeben. Ebenso verhielt sich sein Landsmann Dietrich Mateschitz, der kürzlich verstorbene Besitzer von Red Bull.

Vor allem wenn Firmen in die Bredouille geraten, nehmen die Absagen der Topleute zu. So sind bisher alle Verantwortlichen des CS-Desasters im Fernsehen und im Radio uninterviewbar, in denen es, anders als bei Zeitungsinterviews, hinterher nichts zu redigieren und wegzuwedeln gibt.

Psychologische Spielchen

Viele potenzielle Topgäste meiden Sendungen, in denen sie riskieren, harte Fragen beantworten zu müssen, also Situationen, in denen ihnen nicht pausenlos Wattebäusche zugeworfen werden. Während Jahren antichambrierte ich bei Roger Federer, blieb aber chancenlos. Gleiches gilt für den Fifa-Boss Gianni Infantino, der sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger Sepp Blatter nur gefahrlosen Softball-Interviews stellt. In Deutschland verweigert sich Finanzminister Christian Lindner seit längerem den wöchentlichen Einladungen von Markus Lanz und präsentiert sich lieber im Sonntagstalk der permanent strahlenden Caren Miosga in der ARD.

Es gibt viele Methoden, mit denen ein Interview gezielt zerstört oder manipuliert werden kann. Horden von Medientrainern betreiben ihr Business, um genau dieses Ziel zu erreichen. Sie lehren ihre Klienten Tricks, die sie möglichst gezielt einsetzen sollen. Zum Repertoire gehört oft, dass man den Interviewer mit Phrasendrescherei auflaufen lässt, bis er seine Coolness verliert. Das kann für die Zuschauer manchmal ganz lustig sein, nicht aber für den Befrager, der seinem Publikum neue Erkenntnisse liefern möchte. Ein bewährtes Rezept ist es, den Interviewer kleinzumachen, ihn mit psychologischen Spielchen aus dem Konzept zu bringen.

«Wenn sich der Gast kategorisch weigert, mitzuspielen, wenn er signalisiert, ich habe keinen Bock, geht das meist schief. Dies kann schon in der ersten Sekunde losgehen, wenn ein Gast etwa sagt: ‹Ich verstehe Ihre Frage nicht. Worauf wollen Sie hinaus?› Dies habe ich vor allem bei Schauspielerinnen erlebt», erzählt Markus Lanz, der wöchentlich drei stark beachtete Talksendungen für das ZDF macht. «Die spüren deinen Angstschweiss.»

Mir selbst widerfuhr eine verschärfte Version dieser Strategie. Nachdem der Satiriker Andreas Thiel in einer Titelgeschichte der «Weltwoche» den Koran heftig kritisiert hatte, lud ich ihn in meine Talkshow bei SRF ein. Thiel benutzte die Sendung für eine Performance, mit der er das Konzept von Interviews von Beginn weg aushebelte, indem er keine einzige meiner Fragen beantwortete, sondern mir konsequent Gegenfragen stellte. Die Sendung eskalierte, weil ich alsbald die Contenance verlor. Der Talk wurde rekordverdächtige 850 000 Mal im Internet heruntergeladen und löste einen Sturm von Klagen beim Ombudsmann aus.

Unbeantwortete Fragen

Gestellte Fragen nicht zu beantworten, ist auch in subtilerer Form möglich. Beliebt ist zurzeit die von Medientrainern angebotene Methode TTT (touch, turn, tell). Die geht so: Man nimmt zuerst die Frage aufmerksam zur Kenntnis (touch), darauf dreht man das Thema in die gewünschte Richtung (turn) und erzählt dann eine Geschichte (tell), bei der der Interviewer nicht unterbrechen darf, wenn er sein neugieriges Publikum nicht enttäuschen will.

Diesen Ansatz kann man anreichern, indem der Interviewte zusätzlich erklärt: «Dafür gibt es drei Gründe.» Auch hier kann der Interviewer nicht straflos dazwischengrätschen, wenn er sich bei seinem Publikum nicht unbeliebt machen will. Unerreichter Meister dieser Technik ist der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Interviews, in denen Fragen nicht beantwortet werden, sind unergiebig. Der Interviewer kann jedoch nur bedingt insistieren. Zwei- oder höchstens dreimal kann man eine nicht beantwortete Frage wiederholen, mehr hält das Publikum nicht aus, das weiss Armin Wolf aus Erfahrung.

Legendär ist das Interview, das Jeremy Paxman mit dem damaligen britischen Innenminister Michael Howard führte und in dem er eine Frage zwölf Mal wiederholte. Jahre später erklärte Paxman den Vorfall so: «Als ich die Frage fünf oder sechs Mal gestellt hatte, war mir klar, dass sie nicht beantwortet wird. Genau da kam eine Stimme in mein Ohr – Moderatoren tragen einen kleinen Kopfhörer für Anweisungen aus dem Regieraum – und sagte: ‹Der nächste Beitrag ist noch nicht fertig geschnitten, mach mit dem noch ein bisschen weiter.› Und ich fürchte, mir ist nichts anderes eingefallen.»

Mit Extremisten reden?

Im extremen Masse uninterviewbar sind reine Provokateure. Ich habe dies etwa in der Sendung mit Nicolas Blancho vom Islamischen Zentralrat erlebt, der sein Programm unabhängig von den gestellten Fragen abspulte. Wenn man solche Leute ins Studio einlädt, nimmt man in Kauf, dass man ihnen eine Plattform bietet, die sie gnadenlos nutzen. Wo aber sollte man die Grenze ziehen?

Entscheidend sei vor allem die Relevanz eines Gastes, sagt Armin Wolf. Einem Massenmörder wie Anders Breivik oder einem Kinderschänder wie Josef Fritzl würde er niemals eine Bühne bieten. Und den Rechtsextremen Martin Sellner, der den Kampfruf «Remigration» popularisiert hat, würde er erst dann ins Studio einladen, wenn er Kopf einer Partei wäre, die ins Parlament gewählt wurde. Er hat aber seit Jahren kein Problem, FPÖ-Spitzenleute wie Heinz-Christian Strache oder Herbert Kickl zu befragen, mit denen er mehrere fulminante Gespräche geführt hat.

Damit verhält sich Wolf anders als deutsche TV-Interviewer in Sachen AfD, deren Vertreter sie lange nicht und dann nur sehr selten ins Studio einluden. Diese Haltung führte in Deutschland zur Kritik, dass man mit dieser Verweigerungshaltung den Aufschwung der AfD zusätzlich befeuert habe.

Markus Lanz, der schon mehrfach AfD-Leute im Studio hatte, zögert bei Björn Höcke: «Man kann nicht so tun, als sei er ein ganz normaler Politiker. Er wurde als Rechtsextremer verurteilt.» Auch wäre es schwierig, sagt er, einen Hamas-Vertreter in die Sendung zu nehmen. Kein Problem hingegen hätte er mit Putin.

Dies sieht Armin Wolf anders, der 2018 ein vielbeachtetes Interview mit Putin führte, auf das er sich lange akribisch vorbereitet hatte. «Es war mein schwierigstes Gespräch. Heute würde ich ihn nicht mehr interviewen. Er ist ein Kriegsverbrecher, der pausenlos lügt. Gleiches gilt für Hamas-Leute», erklärte er mir.

Sind notorische Lügner wie Putin oder Trump interviewbar? Wenn ja, wie kann man verhindern, dass sie ihre Lügen ungestraft verbreiten und damit das Publikum in die Irre führen? Wie schwierig dies ist, zeigte in besonders drastischer Weise ein CNN-Interview von Kaitlan Collins mit Donald Trump im letzten Jahr, das im Town-Hall-Format vor einem mehrheitlich Trump-freundlichen Publikum gezeigt wurde. Zwar versuchte Collins, Trumps falsche Behauptungen zu benennen, doch sie konnte mit der Kadenz der vorgebrachten Fehlinformationen nicht mithalten.

Faktenchecker im Einsatz

Ein Rezept, um diesem Missbrauch entgegenzutreten, sind Faktenchecks. Doch bei Live-Interviews sei dies sehr schwierig, sagt Armin Wolf. Damit man dasselbe Publikum mit dieser Korrekturfunktion erreiche, sollte man den Faktencheck direkt im Anschluss an das Gespräch ausstrahlen. Doch dies erfordert grössere personelle Ressourcen, die nicht immer zur Verfügung stehen.

Bei CNN gibt es immer wieder Interviews mit Topgästen, bei denen bis zu zehn im Hintergrund wirkende Faktenchecker viele der vorgebrachten Irrtümer oder Lügen richtigstellen können. Keine vergleichbaren Anstrengungen unternimmt der Rechtsaussen-Kanal Fox News, wo Trump freie Bahn hatte. Dasselbe verlangte Wladimir Putin bei Tucker Carlson, dem er als seit Jahren erstem und einzigem westlichen Journalisten ein groteskes Interview gewährt hat, in dem er endlose historische Monologe gehalten hat.

Bei Markus Lanz ist die Redaktion während der Sendung in Bereitschaft, um Fakten zu checken, wie kürzlich in einer Sendung mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Lanz erhielt die Information über seinen Ohrwurm zugespielt und konnte sie direkt ins Gespräch einbringen. Dies war ein Ausnahmefall, denn meist ist der Interviewer beim Vorliegen der Korrektur bereits bei einem anderen Thema. Aber Faktenchecks können den durch die verbreiteten Falschaussagen angerichteten Schaden nur teilweise neutralisieren.

Gelogen wird in TV-Interviews in allen Variationen. Wenn ein Interviewer seinen Gast mit früheren brisanten Aussagen konfrontiert, hört er oft, dass diese aus dem Zusammenhang gerissen seien oder gar nie gemacht worden seien. Armin Wolf wappnet sich dagegen: «Es reicht nicht, zu zitieren. In solchen Situationen muss man den aktuellen Beweis im Studio vorlegen können, etwa das Original der Zeitung zeigen, in der das Zitat erschienen ist, oder einen Mitschnitt.»

Kampf gegen Lügen

Lügen oder verfälschende Informationen werden oft von Sendung zu Sendung wiederholt. Im Gegensatz zu neuen Lügen kann sich ein gewissenhafter Interviewer darauf vorbereiten. So erklärt die Altstalinistin und Putin-Apologetin Sahra Wagenknecht seit vielen Monaten gebetsmühlenhaft, dass die westlichen Russland-Sanktionen kontraproduktiv seien. Als Beleg führt sie jeweils an, dass russisches Öl nach Indien exportiert und dann teurer als zuvor nach Deutschland verkauft werde.

Als sie es in einer Sendung von «Hart, aber fair» zum wiederholten Mal tat, war der Moderator Louis Klamroth zur Stelle und erklärte, dass nur 2 Prozent des nach Deutschland importierten Öls aus Indien stammten, das heisst, dass ihre pauschalisierende These irreführend sei. Sahra Wagenknecht wechselte daraufhin blitzschnell das Thema und ging nicht auf die Richtigstellung ein. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, Wochen später in der Sendung «Maischberger» ihr Standardrepertoire mit dem üblichen Öl-Argument weiterhin ungerührt vorzutragen.

Das TV-Interview liefert für Markus Lanz, und dies im Gegensatz zur schriftlichen, oft stark redigierten und damit verfälschten Form, «eine verstärkte Wirklichkeit». Nicht nur durch Aussagen, sondern zusätzlich durch die Körpersprache des Interviewten ergibt sich ein besonders scharfes Persönlichkeitsbild. Die besten Interviews im Radio erreichen sogar eine beinahe schon magische Dimension, da sich hier beim Zuhörer eine Form von Kino im Kopf abspielt, bei dem die Vorstellungskraft aktiviert wird.

Voraussetzung ist allerdings bei beiden Medien, dass ein Gast im Studio sitzt, der zumindest einigermassen mitspielt, einer, der die fundamentalsten Interviewregeln einhält. Damit der Zuschauer am Schluss nicht mit dem Eindruck zurückgelassen wird, zwar ein Spektakel erlebt zu haben, aber doch eine Person, die eigentlich uninterviewbar war.

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