Sonntag, September 8

Am Abend des 8. Februar 1994 gelingt unbekannten Tätern ein Coup – die Postangestellten kommen mit ihrem «Panzerrolli» aus der Zürcher Sihlpost. Da stellen sich ihnen fünf Räuber in den Weg.

Bei seiner Eröffnung 1992 bezeichnet das Schweizer Fernsehen das Briefzentrum bei der Zürcher Sihlpost als «Briefpostfabrik». Von neuen, «hochtechnisierten» Anlagen ist in dem Nachrichtenbeitrag die Rede – und von den enormen Ausmassen der Einrichtung. 140 Millionen Franken haben die computergestützten Anlagen gekostet, zweieinhalb Millionen Briefe und Drucksachen können damit pro Tag verarbeitet werden. 1992 beschäftigt die Schweizer Post allein an jenem Standort 1600 Angestellte.

Die Sihlpost ist das Prunkstück der PTT.

Eines hat man beim Bau des gigantischen Briefzentrums allerdings nicht bedacht: dass unter all der Post auch Wertpapiere, Geldsendungen, Gold und Schmuck im Wert von vielen Millionen sind. Und dass es Vorkehrungen braucht, um diese besondere Post vor Räubern zu schützen.

Am Abend des 8. Februar 1994 machen sich fünf Männer dieses Versäumnis zunutze. Sie verschaffen sich Zugang zum Areal der Sihlpost und stehlen kurzerhand Briefe im Wert von 14 Millionen Franken. Es ist einer der grössten Raubüberfälle der Schweizer Geschichte und bis heute ein Rätsel.

Wie die Täter vorgegangen sind, lässt sich detailliert rekonstruieren.

Die Räuber kommen pünktlich – und sind informiert

Zirka um Viertel vor neun Uhr an diesem Dienstagabend dringen fünf Unbekannte in das Areal zwischen der Sihlpost und den Bahngeleisen ein. Sie sind maskiert und wissen genau, was sie wollen. Sie gehen äusserst zielstrebig vor und sind nach kürzester Zeit wieder verschwunden – und zwar für immer.

Das Timing der Gangster ist perfekt. Das lässt vermuten, dass sie Informanten bei der Post haben, die bei der Vorbereitung geholfen haben: Als die Räuber nämlich im Innenhof der Sihlpost eintreffen, kommt das elektrische Wägelchen mit den Wertsendungen im Anhänger, der sogenannte «Panzerrolli», gerade aus der Halle des Briefzentrums gefahren.

Die Ware soll mit dem Schnellzug nach Genf verbracht werden. Aber die Räuber fangen drei Postangestellte noch im Innenhof ab.

Sie stellen sich den Postangestellten in den Weg und zwingen sie, von dem Fahrzeug abzusteigen und den Schlüssel zum gepanzerten Anhänger herauszugeben. Sechs weitere Personen beobachten das Geschehen. Die Zeugen geben später an, dass die Räuber die Postangestellten mit Waffen bedroht und dabei immer nur einen einzigen Satz in gebrochenem Italienisch wiederholt hätten: «Molto pericoloso!» – sehr gefährlich.

Nach einem Stop im Kreis 5 für immer verschwunden

Flugs ist der Rolli mitsamt den Anhängern unter Kontrolle gebracht. Die Räuber fahren damit bis zur Ausfahrt auf der Seite der Kasernenstrasse. Ungefähr an jener Stelle befindet sich heute die Aussenterrasse des Restaurants Hiltl.

Mit zwei dort bereitstehenden Fluchtfahrzeugen – einem weissen Peugeot Kombi und einem silbernen Renault – machen sich die Täter aus dem Staub. Schon ennet der Bahngleise machen sie jedoch Zwischenhalt, um die Autos zu wechseln.

Um 22 Uhr 20, also nur gut anderthalb Stunden nach der Tat, werden die Fluchtwagen in der Neugasse 155 im Kreis 5 mit laufendem Motor gefunden. Beide Autos waren bei der Polizei als gestohlen gemeldet.

Dann verschwinden die Räuber von der Bildfläche. Sie hinterlassen keine verwertbaren Spuren.

Ein verhafteter Hehler weiss von nichts

Die Behörden sind überrumpelt und müssen sich zunächst einen Überblick verschaffen. Am Tag nach der Tat weiss die Polizei zunächst nicht einmal, was sich in der gestohlenen Post befunden hat und wie hoch der Schaden ausfallen würde. Das zeigt die «Tagesschau» des 9. Februar 1994. Aber bald wird klar: Es handelt sich um eine «Riesensumme», wie die NZZ den damaligen Sprecher der Zürcher Stadtpolizei zitierte.

Wie sich herausstellt, handelt es sich beim Diebesgut vor allen Dingen um Wertschriften, Bargeld, Gold und Schmuck. Die Wertschriften können kurz darauf gesperrt werden. Geld, Gold und Schmuck mit einem Gesamtwert von gut 6 Millionen bleiben allerdings verschollen. Zumindest zum grössten Teil.

Ein paar Monate später nimmt die Polizei einen Hehler fest. Er war im Besitz von Schmuck und – längst wertlosen – Wertpapieren aus dem Diebesgut des Sihlpost-Raubs. Der 38-jährige Verdächtigte bestreitet jede Verbindung zu den Räubern der Sihlpost und behauptet, er habe die Ware in einem Abfallkübel im Kreis 5 gefunden.

Er wird 1998 wegen Hehlerei zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Falls er etwas von den Räubern der Sihlpost wusste, hat er es nie preisgegeben.

Die Post hat grosse Lücken in ihrer Sicherheit

Wie konnte es passieren, dass fünf Männer einfach so an Post im Wert von 14 Millionen herankommen?

Daneben, dass die Täter bestens informiert sind, ist das Sicherheitskonzept der Sihlpost ziemlich dürftig. Das beurteilt auch Marco Cortesi so. Er arbeitete einst bei der Post, wechselte dann aber zur Stadtpolizei, wo er über 30 Jahre lang bleibt und zum Gesicht der Stadtpolizei wird. An seine Zeit bei der Sihl- und der Fraumünsterpost denkt Cortesi gern zurück: «Es gab damals noch diese Postwagen, die wir ‹Fridolin› nannten. Da lagen immer Säcke mit Wertsendungen drin», sagt er.

Täglich seien Mitarbeitende der Post mit Millionen von Franken und kiloweise Gold unterwegs gewesen, auch wenn sie nur wenig Erfahrung gehabt hätten, sagt Cortesi: «Ich staune heute noch darüber, dass nicht mehr gestohlen wurde.» Wenn Cortesi erzählt, hört es sich so an, als sei man bei der Post nicht besonders vorsichtig mit dem Geld anderer Leute umgegangen.

Im Februar 1994 ist Marco Cortesi längst bei der Polizei, mit dem Raub in der Sihlpost hat er aber nicht direkt zu tun. Es habe ihn nicht gewundert, dass die Sicherheitslücken der erst zwei Jahre zuvor eröffneten Sihlpost offen zutage traten.

Parallelen zu einem Fall in der Westschweiz

1998 stellt die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen in diesem Fall schliesslich ein. Der Fall wird nie gelöst und verjährt 2009. Die gestohlenen Millionen bleiben verschollen.

Denn die Suche nach den Tätern des Sihlpostraubs gestaltet sich überaus schwierig und kommt nie richtig in Fahrt: Die Zeugen des Überfalls und über 500 befragte Angestellte der Sihlpost sprechen mehrere unterschiedliche Sprachen. Die Polizei muss widersprüchliche Aussagen gegeneinander abwägen.

Am Ende können die Ermittler nur von einem der fünf Räuber eine halbwegs brauchbare Beschreibung anfertigen. Es handelt sich um einen der Männer, die die Spediteure der Post im Innenhof in Schach gehalten haben. Er wird beschrieben als ungefähr 35 Jahre alt und etwa 1 Meter 75 gross. Er soll während der Tat eine dunkelblaue Mütze getragen haben, eine olivgrüne halblange Jacke und einen dunklen Rollkragenpullover. So steht es in der NZZ vom 12. Februar 1994.

Doch dieser Mann wird nie wieder gesehen.

Im Dezember 1996 wird erwogen, ob die Bande vom Sihlpost-Raub auch hinter dem Überfall auf einen Schnellzug steckt, der zwischen Zürich und Genf unterwegs war. Dabei halten bewaffnete Männer in Grandvaux, Kanton Waadt, einen Zug an, der Wertsendungen im Postwagen mit sich führt. Die Täter stehlen 26 Postsäcke, deren Inhalt aber nur etwa eine halbe Million wert ist.

Einen Monat später findet die Waadtländer Kantonspolizei in einem Auto in Lausanne sämtliche Postsäcke wieder – ohne Inhalt.

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