Einnehmend erinnert «Der Eismann» an den Zürcher, der in der Arktis seine Bestimmung gefunden hat.
Ein Film über Grönland – das scheint gerade richtig zu kommen zu einer Zeit, da Kauf- und Annexionsgelüste der Trump-Administration die nördliche Hemisphäre beunruhigen. Doch Corina Gammas «Der Eismann» hat nicht die arktische Rieseninsel zum Thema, sondern Konrad Steffen: den Zürcher Glaziologen, den seine jahrzehntelangen Studien zum weltweit gehörten und gefragten Klimatologen haben werden lassen.
Sein «Swiss Camp» auf dem grönländischen Eisschild war über die Jahre hinweg auch zum Ort geworden, an dem sich führende Politiker aus erster Hand über Erscheinungsbilder und Wirkungen des Klimawandels informieren liessen. Gross war die Bestürzung im August 2020, als «Koni» von einem kurzen Kontrollgang zu einer Messstation nicht mehr zurückkehrte. Er muss unauffindbar in eine Gletscherspalte gestürzt sein und ruht seither im Eis, das zu seiner Bestimmung geworden ist.
Ein Herz für den Rhonegletscher
Im Prolog spricht Konrad Steffen davon, was ihn auf dem Inlandeis so beeindruckt: «Es ist sehr still. Man sieht nichts als Weiss. Aber noch viel beeindruckender ist die Weite des Horizonts. Sie gibt dir das Gefühl, ein Niemand zu sein auf einem riesigen Stück Land.» Später wird er sagen, dass ihn, in der Stadt aufgewachsen, «offene Landschaften» fasziniert hätten, nicht Schnee und Eis.
Hätte er nicht den namhaften Glaziologen Fritz Müller, Professor an der ETH, getroffen, sondern jemanden, der «mit der Sahara» (wohin ihn sein Honeymoon führen sollte) zu tun gehabt hätte, wäre er vielleicht ein Wüstenspezialist geworden. So aber lernte er den Rhonegletscher kennen, der ihm immer besonders am Herzen gelegen habe.
«Bei einem Whiteout besteht die Gefahr, auf dem Rückweg zum Camp in einer Gletscherspalte zu landen statt im Küchenzelt», sagt Konrad Steffen bei sich zu Hause in Egg und blickt nachdenklich in die Kamera. Wenn ihm dann auf dem Rückweg zum Küchenzelt eine Gletscherspalte zum Verhängnis wurde, so brauchte es kein Whiteout, bei dem die Auflösung sämtlicher Konturen einer Landschaft zu völliger Orientierungslosigkeit führt, sondern wohl nur einen Moment der Unaufmerksamkeit in scheinbar vertrautem Gelände.
Waren es noch in den neunziger Jahren ums Lager herum bloss kleine, sogenannte «thermische Risse» gewesen, die keine Bedrohung darstellten, so hatte sich die Situation ab den zehner Jahren grundlegend geändert. Wie ein Ingenieur von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, deren Direktor Steffen nach seiner Rückkehr aus Boulder, Colorado, in die Schweiz geworden war, im Film sagt, seien sie im Lager zuletzt immer angeseilt gewesen. Die National Science Foundation der USA, der Steffen das Camp «für einen Dollar» verkauft hatte, nachdem die ETH sich Anfang der neunziger Jahre zurückgezogen hatte, verfügte die sofortige Schliessung, weil das Gelände zu gefährlich geworden war. Mit diesen Abbrucharbeiten war das Team beschäftigt, als Steffen verunglückte.
Kein «Klimawandelhype»
Wenn Gabriela Schaepman-Strub, die Nachfolgerin von Steffen als Wissenschaftsdirektorin des Swiss Polar Institute, erwähnt, wie er der wachsenden Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit Rechnung getragen habe, betont sie zugleich, dass er sich «nicht am Klimawandelhype beteiligte», vielmehr «immer sehr dateninformiert» gewesen sei. Und, wie sie auf ihre erfrischende Art anmerkt, «immer tipptopp angezogen, nicht so schlampig» wie andere.
Zu Beginn schon sagt die (ältere) Schwester, Koni sei immer «sehr, sehr modebewusst» gewesen. Atsumu Ohmura, sein Doktorvater an der ETH, erinnert sich an einen hochaufgeschossenen Späthippie mit wildem Bart, der ausserordentlich schnell und präzis arbeitete. Zum Erscheinungsbild gehörte in jungen Jahren obligatorisch-lässig die Pfeife, später ersetzt durch die Zigarette in Sturm und Eis.
Witzig das Foto, auf dem er mit leicht unsicherem Blick unter dem Hut hervorlugt, auf dem eine Falkenraubmöwe thront. Etwas wehmütig sitzt er schliesslich in den Resten des von den Elementen zerfleischten Küchenzelts, wo einst Fondue und Sushi zubereitet und intensiv diskutiert wurde und wo wir ihn beim Abwasch gesehen haben.
Der amerikanische Schriftsteller Craig Childs, Autor von «desert studies», der verschiedentlich zu Wort kommt, sagt über ihn: «Er schien geschaffen für diesen Ort. Oder dieser Ort hatte ihn geschaffen.» 2021 bekam er einen Gletscher im hohen Nordwesten Grönlands nach ihm benannt: den Sermeq Konrad Steffen.
Ganz am Schluss des Films, die Filmemacherin befindet sich mit Simon Steffen, dem Sohn, an einer Küste, an der sich Schlittenhunde im Sommerlager langweilen und vor der Eisberge im Wasser dümpeln, kommt sie auf Konis Liebe zu den Eisbergen zu sprechen. Das erinnert mich an eine Unterhaltung 2017 mit Konrad Steffen, bei der es eben auch um Eisberge ging.
Ich hatte ihm erzählt, dass ich bei meinen Reisen in die Arktis leider nie gesehen hätte, wie ein Eisberg kippe, und dass das wohl eine spektakuläre Sache sein müsse. Und weil dieser Kipppunkt nie voraussagbar ist, ist der Aufenthalt in ihrer Nähe ja so riskant. Zu schweigen, sagte ich, von den irrwitzigen Typen, die da Eisbergklettern betreiben. Das habe er früher doch auch immer gern gemacht, sagte Koni mit vergnügtem Grinsen.