Montag, November 25

Dass es am Morgen einen Kaffee braucht, steht für viele ausser Frage. Bloss wie er gebrüht werden soll, ist mehr als nur Geschmackssache.

Die französischen Gäste sind für einen Augenblick verwirrt. «Étrange», sagt einer. «Haben Sie vielleicht Espresso?», fragt der andere in gebrochenem, aber hoffnungsvollem Deutsch. «Nein», antwortet der Mann an der Theke der hippen Berliner Bäckerei, «es gibt bei uns nur Filterkaffee.»

Eine Bohnensorte, eine Tassengrösse, kein langes Überlegen. Milch und Zucker zum Selberdosieren auf der Bar. So tragen die beiden Messieurs sehr bald darauf je eine grosse Tasse mit dampfendem braunem Inhalt zu ihrem Holztisch. Denn immerhin: Filterkaffee geht schnell. Zumindest, wenn die Kanne einmal vollgelaufen ist. Mit einer Flüssigkeit, die aussieht wie aufgewärmte Coca-Cola, bei der die Kohlensäure raus ist.

Nach drei Defekten ist Schluss

Lange Zeit musste richtig guter Kaffee in richtig hippen Cafés mit Druck und Dampf aus glänzend verchromten Automaten kommen. Nun lassen ihn Berliner Baristas anscheinend wieder durch die braunen Filtertüten sickern.

«Auf jeden Fall», antwortet auch Dominic Ottlinger mit Nachdruck auf die Frage, ob wieder mehr Filterkaffee getrunken werde. In der Röststätte Berlin, die zwei Cafés in Berlin Mitte betreibt, in denen Kaffee nicht nur gebraut, sondern auch selber geröstet wird, erfreue sich der Filterkaffee grosser Beliebtheit. «Vorbei ist die Zeit, in der nur die Grosseltern Filterkaffee zubereiteten», sagt Ottlinger überzeugt. Vielmehr sei der Filterkaffee – man spricht heute allerdings eher von «pour over», also «drübergiessen» – Teil einer neuen, bewussten Kaffeekultur geworden.

Die neue Kultur fusst auf dem laut Ottlinger «explodierenden Markt» des «specialty coffee». Dabei handelt es sich um Kaffee höchster Qualität, die sich im besten Fall nicht nur auf die Bohnen, die Röst- und Brühart bezieht, sondern auf die gesamte Herstellung und Lieferkette. «Specialty coffee» ist denn auch über dem Premium-Kaffee einzuordnen.

Geprüft wird die Qualität von der Specialty Coffee Association (SCA), entsprechend einer Punkteskala von 1 bis 100. Wichtig bei der Verkostung sind Aroma, Geschmack, Säure, aber auch der Nachgeschmack des Kaffees. Erreicht eine Bohnenlieferung 80 oder mehr Punkte, darf sie das Etikett des Spezialitätenkaffees tragen. Weist eine Lieferung pro 300 Gramm roher Kaffeebohnen allerdings mehr als drei Defekte – etwa beschädigte Bohnen, Steinchen oder kleine Äste – auf, ist das Etikett futsch.

Viele trinken kannenweise Kaffee

Immer mal wieder schwappt ein Trend, der in Berlins Garküchen entsteht, auch über die hippen Grenzen aus, hinein in den Alltag. Dort, im deutschen Alltag allerdings, war der Filterkaffee nie weg. Lena Nothof von der Berliner Kaffeerösterei sagt, der Marktanteil von Filterkaffee in Deutschland liege «schon lange und sehr konstant bei 70 Prozent». Wer zu Hause oder im Büro Kaffee brüht, tat und tut das also kannenweise.

Ob die Entwicklung des Konsumverhaltens nun aber auch in der Schweiz zu beobachten sein wird? Hierzulande hat man sich spätestens in den achtziger Jahren zugunsten des «Kafi Crème» grösstenteils vom Filterkaffee verabschiedet. Kannen und Wärmeplatten wurden in vielen Haushalten entsorgt und stattdessen Siebträgermaschinen, Bialetti-Kocher oder gar Vollautomaten angeschafft. Weil bei diesen Zubereitungsverfahren mittels Drucks, statt Geduld, das Kaffeepulver weniger lange im Wasser liegt, gelangen auch nur die leichter löslichen Stoffe aus dem gemahlenen Kaffee in die Tasse. Dadurch enthält ein gut gebrauter «Kafi Crème» weniger Säure und Bitterstoffe.

Zur Genese des «Schümli»

Vor allem schweizreisende Deutsche nennen diesen Kaffee auch «Schümli». Das soll, so erzählt man sich zumindest, daher kommen, dass die filterkaffeegewohnten Gäste im Restaurant oftmals fragten, was da denn für ein hellbraunes Ding auf ihrem Kaffee schwimme. «Ah», sollen die Schweizer Kellner dann geantwortet haben, «das ist das Schümli.»

Gemeint ist die Crema, der dichte, hellbraune Schaum, der entsteht, wenn das Wasser unter grosser Hitze und Druck durch das Kaffeepulver gepresst wird. So lösen sich Öl, Zucker und Proteine aus den Bohnen. Damit wäre auch geklärt, was mit dem Zusatz «Crème» gemeint ist: nicht, wie viele meinen, der vorportionierte Kaffeerahm, der meist zum «Kafi Crème» gereicht wird, sondern der kaffeeeigene Schaum.

Wärmen und wecken

«Non», klingt es vom Tisch der französischen Nachbarn. Und nochmals, mit Nachdruck: «Non, je peux pas.» Für viele Schweizer, und anscheinend auch Franzosen, wirkt Kaffee ohne Crema dünn, gar abgestanden. Deutsche und auch Skandinavier dagegen mochten und mögen Filterkaffee ohne modischen Unterbruch sehr.

Je südlicher man seine Kaffeebestellung also aufgibt, umso kleiner werden die Tassen. Vielleicht liegt das auch daran, dass der Kaffee im Süden nicht wärmen muss, sondern vor allem wecken soll. Man trinkt ihn gerne in einem Schluck an der Bar, nicht mit beiden Händen am warmen Becher. Neben der Temperatur dürfte es vor allem die Gewohnheit sein, die einen zum Kaffee der einen oder anderen Brühart zieht. Denn Kaffee ist nicht nur ein Genuss- und Aufputschmittel, sondern auch ein Ritual. Und für Mutige kann er vielleicht sogar zur kleinen Kulturreise werden. Sofern man den ersten Schluck wagt.

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