Sonntag, Januar 19

Im Slalom vom Sonntag verpassen die Schweizer Skirennfahrer das Weltcup-Podest knapp. Doch ihre Bilanz in Wengen trübt das nicht, ja sie schreiben gar Skigeschichte.

Das sei das Schöne am Skisport, sagt Daniel Yule, «die Zeitmessung lügt nie». Soeben ist der Slalom in Wengen zu Ende gegangen, und die Zeitmessung sagt: Dreifacherfolg für die Norweger, dahinter folgen drei Schweizer. Die Zeitmessung sagt auch, dass der Genfer Tanguy Nef noch nie so gut war wie jetzt in Wengen. Er verpasst als Vierter seinen ersten Podestplatz nur um vier Hundertstel. Das ärgert ihn ein bisschen und macht ihn gleichzeitig sehr zufrieden.

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Das Slalomteam wollte sich mitreissen lassen von der Schweizer Wucht am Lauberhorn. Die Erfolge aus den Speedrennen davor hallen noch nach an diesem Sonntagmittag, in der leeren Dorfstrasse, der man ansieht, dass eine Party stattgefunden hat, und auch in den Augen verkaterter Skifans auf der Abreise.

Die Siege von Marco Odermatt und Franjo von Allmen liegen auch im Zielstadion in der Luft, wo die Zuschauer lange hoffen, dass es so weitergeht mit den Spitzenklassierungen: Zuerst fiebern sie mit Loïc Meillard mit, dann mit Yule und Nef. Bis zur letzten Sekunde des Rennens liegt ein Schweizer Podest drin.

«Wie schön wäre es, wenn sie nicht da wären», sagt Yule und meint die Norweger, die sich in seinem Rücken bereit machen, um auf das Podest zu klettern, das letzte des Wochenendes. Er sagt es im Scherz, aber ohne Atle Lie McGrath, Timon Haugan und Henrik Kristoffersen wären die Lauberhornrennen ein totaler Triumph der Schweizer geworden. «Nächstes Mal kehren wir den Spiess um», sagt Yule noch.

Auch wenn es am Ende keinen Schweizer Podestplatz im Slalom gibt: An den 95. Lauberhornrennen ist für die einheimischen Fans doch mehr oder weniger alles so gekommen, wie sie sich das ausgemalt hatten, und wann kann man das schon sagen im Sport?

Die Gabe, die Odermatt und von Allmen vereint

Am Samstagabend ächzt Wengen, es tut das immer, wenn es die Rennen austrägt, für die das Dorf im ganzen Land bekannt ist. Alles ist dann voll in Wengen, die Strassen, die Hotels, die Restaurants, und in diesem Jahr sind noch mehr Menschen gekommen als sonst. 40 000 waren es allein für die Abfahrt, Zuschauerrekord, wie schon im Jahr zuvor, und von Freitag bis Sonntag 80 000 insgesamt. Auch das ein Rekord.

Das Unterland ist weit weg am Lauberhorn, es versinkt irgendwo im Nebel, und mit ihm der Alltag; während sich unten die Welt immer schneller dreht, bleibt oben am Berg alles beim Alten. Hundschopf, Canadian Corner, Weisswein und Raclette am Girmschbiel, wo Tausende stehen, schreien, jubeln, als die Schweizer Rennfahrer vorbeirasen.

Danach drängen am Samstag alle ins Dorfzentrum, wo eine grosse Bühne steht, weil alle wissen, dass dort bald Marco Odermatt und Franjo von Allmen auftauchen werden. Odi und Franjo, die Protagonisten dieses Wochenendes. Irgendwann müssen die Organisatoren die Zone um die Bühne absperren, es kommen einfach zu viele Leute.

Später wird ein Video die Runde machen, wie die beiden «W. Nuss vo Bümpliz» singen, das Lied von Patent Ochsner, und das passt ganz gut: Es ist ein Song, der eigentlich jedem gefällt, so, wie Odermatt und von Allmen eigentlich allen gefallen. Die beiden verbindet, dass sie natürlich sind und locker, und das ist eine Mischung, die man nicht lernen kann. Man hat sie. Oder eben nicht.

Von Allmen, der Jungspund aus Boltigen, das nur 40 Kilometer Luftlinie von Wengen entfernt liegt, gewinnt am Freitag im Super-G. Ein Berner Oberländer siegt im Berner Oberland, erstmals seit mehr als 20 Jahren; es ist eine von vielen Geschichten dieser Rennen in Wengen, die ihren Platz in der Schweizer Ski-Historie bekommen werden.

Am Samstag, in der Abfahrt, wird von Allmen dann Zweiter, hinter Odermatt, der eigentlich selbst noch jung ist und doch schon so gross. «Odi, Odi», schreien die Leute, wie bereits im letzten Jahr, und jetzt neu auch: «Franjo, Franjo». Sogar Elisabeth Baume-Schneider, die Bundesrätin, gerät in Feststimmung; an der Siegerehrung nach dem Rennen lässt sie sich im Zielraum zu einem Tänzchen hinreissen.

Der Unterschied zu Peter Müller

Am Samstagnachmittag, als Odermatt und von Allmen kurz nacheinander ins Ziel gerast sind, als sie in der Leaderbox stehen, sich auf die Schultern klopfen, Faxen für die Fernsehkameras machen, schaut ein paar Meter weiter Urs Lehmann in die Vergangenheit.

Lehmann ist seit 2008 der Präsident von Swiss Ski, er hat über die Jahre viel erlebt, auch Winter, in denen die Schweizer Skifahrer kaum etwas zustande brachten. Seit einigen Jahren dominieren sie den Weltcup wieder, so, wie das der Anspruch des Schweizerischen Skiverbands ist.

Am Lauberhorn feiern sie in der Abfahrt den vierten Doppelerfolg in Folge. Das ist noch nie einem Schweizer Skiteam gelungen, nicht einmal in den goldenen 1980er Jahren, als Lehmann selbst ein junger Abfahrer war. Es war die Zeit von Peter Müller, Pirmin Zurbriggen, Franz Heinzer. Und von Karl Frehsner, dem legendären Trainer.

Damals, sagt Lehmann, habe Müller die anderen Schweizer angestachelt, und wenn sie auf Müller wütend waren, dann seien sie schnell gewesen – und umgekehrt. «Dieser Wettbewerb hat dazu geführt, dass das Team so dominant war», sagt Lehmann. 40 Jahre später sei nun das Gegenteil der Fall: Mit Odermatt gebe es einen natürlichen Leader, der den anderen die Erfolge gönne und das ganze Team mitziehe.

Als Odermatt und von Allmen ihren Sieg feiern, ist Vincent Kriechmayr bereits bei einer MRT. Der Österreicher fährt am Freitag im Super-G auf den zweiten Platz, am Samstag stürzt er in der Abfahrt im Ziel-S schwer. Lange steht er oben am Berg, bevor er auf einem Ski ins Tal rutscht und danach geknickt durch den Zielraum hinkt.

Die Untersuchungen ergeben, dass das Innenband zwar stark gezerrt, im Knie aber nichts gerissen ist. Glück im Unglück, meint der behandelnde Arzt, und das können die Österreicher gerade gut gebrauchen, in zwei Wochen beginnt die Heim-WM. Es ist noch nicht lange her, dass der ewige Schweizer Ski-Rivale den Weltcup dominierte, gerade für die Abfahrt, die Königsdisziplin, gilt das. In dieser Saison haben alle Österreicher zusammen in der Abfahrt weniger Punkte gewonnen als Marco Odermatt alleine.

Die Zeiten ändern sich. Und sie werden sich wahrscheinlich wieder ändern, irgendwann.

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