Nach Trumps Zolldrohung fürchteten sich die amerikanischen Cannes-Besucher vor Retourkutschen. Aber Tom Cruise kam und strahlte.
Der Studioboss hat smart gepackt. Neben dem Smoking, der Pflicht ist auf dem roten Teppich, steckte der Co-Präsident von Sony Pictures Classics auch ein paar Trikots von kanadischen Eishockeyteams ein. «Die Leute sollen wissen, dass ich Kanadier bin», sagte Tom Bernard gegenüber dem Branchenmagazin «Variety».
In Cannes will man dieses Jahr nicht als Amerikaner durchgehen. Unmittelbar vor dem wichtigsten Filmfestival versetzte die Ankündigung von Präsident Trump, Zölle auf nicht im Land gedrehte Filme zu erheben, die Industrie in helle Aufregung.
Aus Übersee angereiste Branchenvertreter fürchten sich vor antiamerikanischen Ressentiments an der Croisette. «Man wird uns wie Teslas behandeln», äusserte sich ein anonymer Vorstandsvorsitzender eines Studios in «Variety».
Vermutlich ist es nicht ganz so arg. Anders als bei Elon Musks Elektroautos ist die Nachfrage nach amerikanischen Filmen nicht eingebrochen. «Hollywoodscham» ist noch kein gängiger Begriff. Zumindest auf den neuen «Mission: Impossible»-Film verzichtete in Cannes kaum jemand. Vielmehr ist es Tom Cruise drei Jahre nach «Top Gun: Maverick» erneut gelungen, zum Aushängeschild des Festivals zu werden.
Die Franzosen müssen ihm dankbar sein. Denn abgesehen von seinem Blockbuster fehlen der diesjährigen Festivalausgabe die breitenwirksamen Titel. So gespannt man auf den neuen Wes Anderson ist oder auf Ari Asters Nachfolger von «Beau Is Afraid»: Das sind nicht die Lokomotiven, die die Massen ins Kino ziehen. Dafür braucht es in aufmerksamkeitsdefizitären Zeiten einen Akrobaten wie Tom Cruise, der vor der Kamera schwindelerregende Stunts vollführt.
Die parasitäre KI
«Mission: Impossible. The Final Reckoning» (ab nächster Woche im Kino) hat zwar eine Handlung. Doch sie ist so unerheblich wie wirr. Es muss dem «Anti-Gott», dieser parasitären KI aus dem Vorgängerfilm, der Garaus gemacht werden. Denn die Leute verfallen ihrer Gehirnwäsche. Dabei will die künstliche Intelligenz die Menschheit vernichten. Reihum hackt sie sich bei den Atommächten in die Sicherheitssysteme, um Zugang zu den Nuklearwaffen zu bekommen.
Wie kriegen wir die Malware zurück in den USB-Stick? Das ist im Grunde die Mission, mit der Ethan Hunt konfrontiert ist. Auch, weil sich herausstellt, dass er selbst es war, der den Geist unwissentlich aus der Flasche gelassen hat. Das soll der Sache zusätzlich Dramatik verleihen. Aber es macht den Film vor allem langfädig. Die Story ist so hanebüchen, dass selbst die Marketingabteilung kapituliert zu haben scheint. In den Unterlagen zum Film verdichtet sie den Inhalt zu einem lapidaren Satz: «Unser Leben ist die Summe unserer Entscheidungen», steht da nur.
Mit den Entscheidungen sind wohl Ethan Hunts Harakiri-Aktionen gemeint. Zum Beispiel springt er aus einem Transportflugzeug mitten im Nirgendwo in das eiskalte Beringmeer. Ohne Neoprenanzug oder Orientierung. Aber der Mann muss dringend ein gesunkenes U-Boot finden. Denn in diesem findet sich der Quellcode für die KI, irgendwie so.
Plötzlich steht Tom Cruise da
Wenige Stunden vor der Weltpremiere sass der Regisseur des Films, Christopher McQuarrie, bereits im Kinosaal und erzählte, wie er die aufwendigsten Sequenzen gedreht hat.
Die Masterclass des Filmemachers erinnerte eher an eine Ingenieurschulung. Für die Szene im gesunkenen U-Boot hätten sie zunächst ein Modell gebaut, sagt McQuarrie. «Dann haben wir eine kleine Plastikfigur hineingesteckt und das Modell rotieren lassen. Danach war die Plastikfigur zertrümmert.»
Was McQuarrie sagen will: Wenn es nach den Gesetzen der Physik ginge, hätte Tom Cruise den Dreh nicht überlebt. Der Superstar trotzte aber nicht nur der Gravitation. Er ist auch überraschend nahbar. Unangekündigt kommt er in der Hälfte der Masterclass plötzlich auf die Bühne.
Die Haare lässig lang, sportlich-elegant im weinroten Poloshirt, sitzt Tom Cruise da und tätschelt dem Regisseur auf die Schulter, während dieser von seinem furchtlosen Hauptdarsteller erzählt. Vor allem bei der finalen Actionszene mit den Oldtimer-Flugzeugen fand der Star seinen Adrenalinkick.
Sie spielt in (oder eher auf) einer historischen Boeing-Stearman, die in wilden Manövern durch die zerklüftete Landschaft rast und den einen oder anderen Looping schlägt. Ethan Hunt hängt dabei an der Tragfläche des Flugzeugs, während der Bösewicht im Cockpit ihn abzuschütteln versucht.
Wie Fitness im Flugwind
Die einzige Möglichkeit, mit dem Schauspieler zu kommunizieren, seien Handzeichen gewesen, erklärt McQuarrie, der in einem Helikopter mit offener Tür neben dem Doppeldecker flog. Immer, wenn Cruise aus dem Cockpit auf die Tragfläche stieg, habe man einen Timer gestartet. Denn nach zehn Minuten sei die Anstrengung, sich im Flugwind zu bewegen, so gross, «dass es wie zwei Stunden im Fitnessstudio ist», erläutert McQuarrie. Laut Berechnungen breche der Körper nach zwölf Minuten zusammen.
Einmal jedoch, erinnert sich McQuarrie, habe Tom Cruise 22 Minuten auf der Tragfläche ausgeharrt. «Danach lag er da, seine Arme hingen über der Vorderseite des Flügels, wir konnten nicht sagen, ob er bei Bewusstsein war oder nicht.»
Der Treibstoff ging aus, das Flugzeug konnte nicht landen mit dem Mann auf dem Flügel. Doch schliesslich sei Cruise mit letzter Kraft ins Cockpit geklettert. «Niemand auf der Welt kann das ausser Tom Cruise», sagt Christopher McQuarrie. Der Regisseur arbeite so präzis «wie eine Schweizer Uhr», gibt Cruise das Kompliment zurück.
Über Trump wird nicht gesprochen. Zölle sind kein Thema. Dabei ist der Globetrotter Ethan Hunt wieder in der halben Welt unterwegs. Es wurde in London gedreht, in Norwegen, Kanada. Unter dem neuen Zollregime müsste der Film mindestens dreifach abgestraft werden. Aber vermutlich möchte man Trump nicht auf den Gedanken bringen. Und die Wiedereinreise will man sich auch nicht verkomplizieren mit kritischen Aussagen: Laut dem «Hollywood Reporter» geht bei amerikanischen Cannes-Besuchern die Angst vor den amerikanischen Grenzbeamten um. Vielleicht werde man nicht mehr ins Land gelassen, sagen sie. Kanadische Trikots im Koffer helfen dann garantiert nicht weiter.