Samstag, November 23

Kein soziales Netzwerk bietet ausgewogene Informationen zum Krieg zwischen Israel und der Hamas. Aber auf Tiktok scheint sich die chinesische Propaganda abzuzeichnen.

Das Video beginnt harmlos. Demonstranten, Palästina-Flaggen, irgendwo in einer Stadt. Doch schon in der zweiten Sekunde brennen Israel-Fahnen, dann weht die IS-Flagge. Damit lässt das Video keine Zweifel: Hier spricht jemand Israel die Existenz ab und sympathisiert mit dem Terrorismus.

Die Influencerin Syasyarushdina, eine junge Muslimin, die bisher für Mode und Gesichtspflegeprodukte geworben hatte, hat das Video vor rund einer Woche auf der Videoplattform Tiktok gepostet. Mit 1,8 Millionen Views ist es einer ihrer beliebtesten Inhalte. Über 4000 Menschen haben das Video kommentiert.

Propalästinensisches Gedankengut scheint sich gegenwärtig besonders schnell auf Tiktok zu verbreiten. Die meisten Videos zeigen keinen derart offensichtlichen Israel-Hass. Dennoch haben viele eine eindeutige Positionierung: die bösen Israeli gegen die guten Palästinenser. Das ist problematisch. Denn Millionen von jungen Leuten sind auf Tiktok, um sich über das Weltgeschehen zu informieren. Ein Fünftel der 18- bis 24-Jährigen nutzt laut einem neuen Bericht des Reuters Institute for the Study of Journalism Tiktok als Nachrichtenquelle. Den traditionellen Medien unterstellen sie Abgehobenheit, Käuflichkeit und Manipulation. Die Videos auf Tiktok suggerieren dagegen Nähe, Unmittelbarkeit und Echtheit.

Vermeintlich israelfreundliche Posts sind auch pro Palästina

Nun hat aber Tiktok offenbar Mühe, seinen Nutzerinnen und Nutzern ausgewogene Informationen anzubieten. Vielmehr scheint es so, als würden Videos mit einer Pro-Palästina-Positionierung auf Tiktok gerade zum Kulturgut. So erreicht das zehn Jahre alte Lied «Dammi Falastini» – auf Deutsch: Mein Blut ist palästinensisch – dort wieder Millionen von Menschen. Es ist zu einer Art Hymne der Solidarität geworden.

Auch in der Schweiz und in Deutschland kommen die Tiktok-Videos gut an: Die Hashtags #Palestine und #FreePalestine gehören zu den drei beliebtesten der letzten dreissig Tage. Der Hashtag #Israel hingegen hat es nicht in die Trends geschafft. Vermeintlich israelfreundliche Hashtags wie #IsraelTravel, #IsraelOfTheDay oder #VisitIsrael sind zwar auch in den Trends, aber darunter werden ebenfalls viele Pro-Palästina-Inhalte verbreitet.

Das Problem der einseitigen Meinungsmache blieb bestehen, obwohl Tiktok laut eigenen Angaben bereits eine halbe Million Videos gelöscht und mehr arabisch- und hebräischsprechende Content-Moderatoren eingestellt hatte. Hintergrund dieser Massnahmen war eine Verwarnung der EU, weil sich nach der Terrorattacke der Hamas Falschinformationen auf der Plattform verbreiteten.

Doch die Mehrheit der Posts auf Tiktok verbreiten keine Fake News, keine Terrorpropaganda. Vielmehr scheint der geheime Tiktok-Algorithmus darauf angelegt, propalästinensische Sichtweisen und Meinungen zu favorisieren. Auf den Vorwurf der Einseitigkeit antwortet Tiktok auf Anfrage ausweichend. Inhaltsanalysen, die zeigen würden, dass auch der Standpunkt Israels im gegenwärtigen Krieg auf Tiktok angemessen abgebildet wird, schickt das Unternehmen keine.

Chinas Zensurbehörden löschen israelfreundliche Inhalte

Nun kommt die Frage auf, ob hinter dem propalästinensischen Trend Regierungspropaganda steckt. Tiktoks Mutterkonzern Bytedance ist chinesisch. Chinas Regierung hat sich seit dem Ausbruch des Kriegs zwar «neutral» gegeben, zeigt aber viel Verständnis für die Palästinenser. Den Terrorangriff der Hamas hat Chinas Regierung nie verurteilt. Chinas Aussenministerium liess hingegen verkünden, die Palästinenser hätten eine «historische Ungerechtigkeit» erlitten und das sei die Ursache des Konflikts. China forderte Israel zudem auf, mit der «kollektiven Bestrafung der Menschen in Gaza» aufzuhören. Auf chinesischen Social Media sind denn auch überwiegend propalästinensische Beiträge zu sehen, sogar antisemitische. Andere lässt die Zensur nicht zu.

Wirkt nun die chinesische Propaganda via Tiktok über Chinas Staatsgrenzen hinaus? «Unsere Moderationsentscheidungen sind von keiner Regierung beeinflusst», schreibt Tiktok auf Anfrage. Diese Aussage war erwartbar, hat Tiktok doch stets seine Unabhängigkeit von China beteuert. Dennoch steht fest, dass bei Bytedance ein Vorstandssitz für die Kommunistische Partei reserviert ist.

Ein Zugriff von Chinas Staat auf Tiktok wäre von strategischem Interesse für die Kommunistische Partei, denn über die Kurzvideos liesse sich potenziell viel Einfluss nehmen auf die Millionen von jungen Nutzerinnen und Nutzern aus aller Welt. In den USA debattieren Gesetzgeber deshalb über ein Verbot der App, der Gliedstaat Montana hat die Plattform bereits verboten. Im EU-Parlament, in der Kommission und im Rat ist Tiktok auf Diensthandys verboten.

Auch Instagram und Facebook werden kritisiert

Doch Tiktok ist nicht die einzige Plattform, der einseitige Meinungsmache vorgeworfen wird. Instagram und Facebook, die Plattformen des Meta-Konzerns, stehen in der Kritik, weil sie laut Angaben von arabischen Nutzerinnen und Nutzern die Reichweite von propalästinensischen Inhalten beschneiden. «Shadow-Banning» nennt man das in der Welt der sozialen Netzwerke: Posts sind nicht durch die Suche auffindbar, man kann sie nicht liken, nicht kommentieren, oder sie werden nicht in den Empfehlungsalgorithmus aufgenommen und verbreiten sich daher kaum.

«7amleh», (ausgesprochen «Hamleh»), eine Beobachtungsstelle für die «Verletzungen digitaler Rechte der Palästinenser», beanstandet insbesondere die Situation auf Facebook. Nadim Nashif, Leiter von «7amleh», schreibt auf Anfrage, palästinensische Inhalte würden auf den Plattformen des Meta-Konzerns «übermoderiert» – sprich es würden auch Inhalte von Journalisten und Aktivisten gelöscht oder eingeschränkt, die die Richtlinien von Meta respektierten.

Metas Gründer und CEO Mark Zuckerberg stammt aus einem jüdischen Elternhaus. Adam Mosseri, der Leiter von Instagram, hat laut eigener Angabe Familie in Israel. Beide verurteilten die Terrorattacke der Hamas in aller Deutlichkeit.

Damit zeigt sich: Die sozialen Netzwerke sind nicht nur Schauplatz des Informationskriegs im Nahostkonflikt, sondern setzen darin ihre eigenen Akzente. Sie stellen in einem brutalen Krieg Sympathie und Unterstützung für die eine oder die andere Seite her. Eine ausgewogene Auseinandersetzung mit den Fakten darf man auf diesen Plattformen nicht erwarten.

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