Sonntag, September 8

Nachdem die Verhandlungen mit ausländischen Gläubigern scheiterten, soll nun ein Konkursverwalter das Ruder übernehmen. Fraglich ist, ob dieser Zugriff auf Vermögenswerte in China hat.

Am Montagvormittag gab der High Court in Hongkong bekannt, dass die Evergrande Group, einst Chinas nach Umsatz grösster Immobilienentwickler, liquidiert werden muss. Der Entscheid dürfte Schockwellen durch den chinesischen Immobiliensektor schicken.

Bis zum späten Sonntagabend hatten Konzernvertreter und ausländische Gläubiger versucht, eine Einigung über eine Restrukturierung zu erzielen. Evergrande sitzt auf Verbindlichkeiten in Höhe von 333 Milliarden Dollar und kommt seinen Zahlungsverpflichtungen seit Dezember 2021 nicht mehr nach.

Top Shine Global, einer der ausländischen Evergrande-Gläubiger, hatte im Juni 2022 den Antrag auf Liquidierung gestellt. Andere Gläubiger unterstützten das Vorgehen.

Handel der Evergrande-Aktie ausgesetzt

Die Börse Hongkong setzte am Montag den Handel der Evergrande-Aktie aus. Zuvor war der Kurs des Papiers um 21 Prozent eingebrochen. Demnach hat der Konzern jetzt noch einen Marktwert von 275 Millionen Dollar.

In einem nächsten Schritt dürfte die Hongkonger Richterin Linda Chan, die bereits im vergangenen Jahr die Liquidierung eines chinesischen Immobilienentwicklers angeordnet hatte, einen Konkursverwalter einsetzen.

Unklar ist jedoch, in welchem Umfang ein Konkursverwalter auf Evergrande-Vermögenswerte wie Bauprojekte und Tochtergesellschaften in China zugreifen kann. Der heutige Entscheid zur Liquidierung betrifft formal nur die in Hongkong kotierte Muttergesellschaft.

Bauarbeiten könnten weitergehen

Somit ist es gut möglich, dass Bauarbeiten an Projekten sowie die Übergabe von fertiggestellten Wohnungen an Käufer und andere Evergrande-Aktivitäten in China zunächst weitergehen. Zwar folgten chinesische Gerichte in der Vergangenheit in mehreren Fällen den Entscheiden Hongkonger Gerichte. Doch dafür gelten nach chinesischem Konkursrecht strenge Auflagen.

So muss entweder eine offizielle Vereinbarung mit der betreffenden ausländischen Jurisdiktion, in diesem Fall Hongkong, vorliegen. Liegt diese nicht vor, dürfen von einem ausländischen Gericht angeordnete Liquidierungen «den Grundlagen des chinesischen Rechts nicht widersprechen und Chinas Souveränität, die nationalen und öffentlichen Interessen nicht beeinträchtigen». Ausserdem dürfen sie den Interessen chinesischer Gläubiger nicht zuwiderlaufen. Wie oft in China sind die Bestimmungen recht weit gefasst.

Zwar unterzeichneten Hongkong und die Volksrepublik China im Mai 2021 eine Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung von Konkursverfahren. Doch auch hier gelten Einschränkungen. So bezieht sich das Abkommen nur auf die gegenseitige Anerkennung zwischen Hongkonger Gerichten und Konkursgerichten in drei chinesischen Pilotstädten. Diese sind Schanghai, Shenzhen und Xiamen.

Bevor das Hongkonger Gericht einen Antrag auf Anerkennung seines Liquidations-Entscheids bei einem Gericht in einer der drei Städte stellt, muss das «Hauptinteresse des betreffenden Unternehmens für mindestens sechs Monate in Hongkong» gelegen haben. Zudem muss der Grossteil der Vermögenswerte in einer der entsprechenden Pilotstädte angesiedelt sein.

Hunderte Bauprojekte im ganzen Land

Für Evergrande treffen diese Bedingungen in weiten Teilen nicht zu. Der Konzern betreibt Hunderte von Bauprojekten im ganzen Land, Tochtergesellschaften sind in anderen chinesischen Städten domiziliert. Der Hauptsitz des Unternehmens befindet sich in der Stadt Shenzhen.

Seit Evergrande im Dezember 2021 eine erste Anleihe nicht mehr bedienen konnte, kamen bereits 50 Immobilienkonzerne ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach. Der chinesische Immobiliensektor steckt in einer tiefen Krise, und ein Ende ist nicht in Sicht. So fielen die Verkäufe von Neuwohnungen im vergangenen Jahr um sechs Prozent, und die Wohnungspreise fallen auch in den grössten Städten wie Peking, Schanghai und Shenzhen weiter.

Exit mobile version