Freitag, Februar 21

Ein erpresserisches Telefonat mit Selenski führte zu Trumps Impeachment. Sechs Jahre später erschüttert die Fehde zwischen den beiden Staatschefs die Weltordnung.

Eines muss man Wolodimir Selenski zugestehen: Der Mann lässt sich nicht einschüchtern, weder von Wladimir Putin noch von Donald Trump. Vielmehr bietet Selenski dem wiedergewählten amerikanischen Präsidenten die Stirn: Den amerikanischen Entwurf für einen Knebelvertrag wischte er vergangene Woche vom Tisch. Darin fordert die Trump-Regierung die Hälfte aller ukrainischer Rohstoff-Profite für undefinierte Sicherheitsgarantien.

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Als Trump mit verleumderischen Verbalattacken auf die Abfuhr aus Kiew reagierte, gab Selenski zurück: «Leider lebt Präsident Trump in einer Blase von Fehlinformationen.» Damit meinte er russische Propaganda. Trump nannte Selenski darauf einen «Diktator» und bezichtigte ihn in bösartiger Umkehrung der Tatsachen, den Krieg angezettelt zu haben, der rund eine Million Leben gekostet hat.

Es ist eine erstaunliche Eskalation einer schwer belasteten Beziehung zwischen zwei ungleichen Staatschefs. Diese nahm ihren Anfang im Jahr 2019 und hat eine Vorgeschichte, die mit der Familie von Joe Biden beginnt.

Prolog: Burisma

2014 wird Hunter Biden, der Sohn des damaligen Vizepräsidenten Joe Biden, Verwaltungsrat der ukrainischen Gasfirma Burisma Holdings. Im selben Jahr dringen russische Kampfverbände in die Ukraine ein und annektieren die Halbinsel Krim. Im März 2016 knüpft Joe Biden Kreditgarantien an die Bedingung, dass die ukrainische Regierung den als korrupt geltenden Generalstaatsanwalt Viktor Shokin entlässt. Da dieser unter anderem gegen Burisma ermittelte, beginnt in den konservativen Kreisen in den USA das Gerücht zu kursieren, der eigentliche Beweggrund für Shokins Entlassung sei Hunter Biden. Beweise für diese These werden nie geliefert – auch nicht nach Untersuchungen durch die Republikaner.

1. Kapitel: Rudy Giuliani

Im November 2016 wird der Immobilienmogul und Fernsehstar Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Wegen seiner angeblich konspirativen Beziehungen zu Moskau wird ein Sonderermittler einberufen. Der Mueller-Report im Frühling 2018 entkräftet die Vorwürfe. Derweil beginnt Trumps persönlicher Anwalt, Rudy Giuliani, in der Burisma-Affäre zu ermitteln.

Im April 2019 gelingt dem Schauspieler Wolodimir Selenski in der Ukraine ein ebenso überraschender Wahlsieg. Donald Trump gratuliert seinem Amtskollegen zur «unglaublichen Wahl.»

Zwei Wochen später will Rudy Giuliani nach Kiew reisen, um nach Beweismaterial zu suchen, das den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden belasten könnte. Er sagt die Reise in letzter Minute ab. Giuliani ist aber federführend in der darauf folgenden Schmierkampagne gegen Joe Biden. Dabei verlässt er sich auf ukrainische Informanten, die später zu Haftstrafen verurteilt werden.

2. Kapitel: «Quid pro Quo»

Der frisch gewählte Wolodimir Selenski ist angesichts der Sicherheitslage seines Landes erpicht darauf, nach Washington eingeladen zu werden. Doch seine Kontakte in der Trump-Regierung lassen ihn wissen, dass es dazu seine Bereitschaft benötige, gegen Joe Biden zu ermitteln. Gleichzeitig lässt Trump vom Kongress genehmigte Militärhilfen im Wert von 400 Millionen Dollar einfrieren.

Am 25. Juli 2019 telefonieren Trump und Selenski. Das Telefonat geht in die Geschichte ein. Selenski tritt als Bittsteller auf – er bittet den amerikanischen Präsidenten um weitere Javelin-Panzerabwehrraketen für den Konflikt in der Ost-Ukraine. Trump allerdings verlangt von Selenski einen «Gefallen» und bittet ihn, Ermittlungen zu eröffnen, die den Demokraten und Joe Biden schaden könnten.

Selenski geht nicht direkt darauf ein, aber schmeichelt Trump. Er sei ein grosses Vorbild für seine Regierung, auch er wolle mit dem bürokratischen «Sumpf» aufräumen. Er übt sich in übertriebener Affirmation: «Sie haben völlig recht. Nicht nur 100 Prozent, sondern 1000 Prozent.» Und er willigt ein, sich mit Rudy Giuliani zu treffen.

3. Kapitel: Impeachment

Nachdem ein Whistleblower aus dem CIA wegen des Selenski-Telefonats und der blockierten Militärhilfe Beschwerde einreicht, erklärt die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi am 24. September 2019, dass die Demokraten Impeachment-Ermittlungen gegen Präsident Trump aufnehmen.

Einen Tag später trifft Trump am Rande der UNO-Generalversammlung in New York auf Selenski. Dieser verneint, dass Trump im Telefonat Druck auf ihn ausgeübt habe und erklärt, dass er sich nicht in fremde Wahlen einmischen wolle. Selbst wenn er wollte, könne er nicht: Die Ukraine seien ein Rechtsstaat. «No pressure», bestätigt Trump. Das hilft nicht: Die kämpferischen Demokraten schreiten voran und eröffnen im Dezember 2019 ein Amtsenthebungsverfahren wegen Machtmissbrauchs und Behinderung des Kongresses. Trump wird ein gutes Jahr später vom Senat freigesprochen. Es ist Februar 2020, die Pandemie ist im Anzug. Trump wird neun Monate später abgewählt.

5. Kapitel: Krieg und Skepsis

Am 24. Februar 2022 greifen russische Truppen die Ukraine an. Die Biden-Regierung und der amerikanische Kongress stehen an der Seite der Ukraine; bis im Februar 2025 leisten die USA 66 Milliarden Dollar Militärhilfe. Doch im Verlauf der Kriegsjahre bröckelt die Solidarität der Amerikaner – insbesondere diejenige der Trump-Wähler. Während des Wahlkampfs verspricht Trump, den Ukraine-Krieg am ersten Tag im Amt zu beenden. Und er beginnt, Selenski als den «besten Verkäufer der Welt» zu bezeichnen. «Jedes Mal, wenn er vorbeikommt, geben wir ihm 100 Milliarden.» Er sei nicht an sich gegen die Hilfe, aber der Krieg hätte nie beginnen dürfen, sagt Trump.

Im September trifft Selenski Trump – er fliegt allerdings nicht zur Audienz nach Mar-a-Lago wie andere Staatsoberhäupter, sondern trifft ihn in New York im Trump Tower. Die Begegnung nach längerer Zeit scheint harmonisch zu verlaufen. Selenski betont, dass man sich einig sei, dass der Krieg gestoppt werden müsse – und Putin nicht gewinnen könne: eine gezwungen optimistische Einschätzung.

6. Kapitel: Eskalation

Drei Wochen nach seinem Amtsantritt geht Präsident Trump in die Offensive: Am 12. Februar telefoniert er 90 Minuten lang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, erst danach informiert er Selenski. Am Nato-Treffen und an der Münchner Sicherheitskonferenz wird klar, dass den USA ein Diktatfrieden vorschwebt, der mit Russland direkt verhandelt werden soll. Ans erste Gespräch in Riad sind weder die Ukrainer noch die Europäer eingeladen.

Gleichzeitig verfolgen die USA die Idee, im Gegenzug für Sicherheitsgarantien für die Ukraine Rohstoffe zu erhalten. Das Angebot, das Finanzminister Scott Bessent Selenski in Kiew unterbreitet, ist für die Ukraine inakzeptabel. Selenski geht in die Gegenoffensive, und Trump verliert jedes Mass, als er ihn zum «ungewählten Diktatoren» und Aggressor im Ukraine-Krieg erklärt, der Hunderttausende Menschenleben gekostet hat. Vizepräsident J. D. Vance belehrt Selenski, dass er Trump nicht öffentlich kritisieren dürfe.

Selenski hat sich jahrelang diplomatisch gegenüber Trump verhalten. Doch nun, nach dem offenkundigen Verrat durch die Amerikaner, versucht er eine andere Strategie. Eigentlich hätte der Ukrainer schon dem Telefonat von 2019 merken können, dass es Trump nur um seine eigenen Machtinteressen geht.

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