Sonntag, Oktober 6

Der Niedergang der palästinensischen Linken – eine Spurensuche in Beirut.

Abu Elie, eine Bar im Westen von Beirut, ist ein Ort voller bizarrer Nostalgie: An den Wänden hängen Bilder von Josef Stalin und Che Guevara. Bis vor ein paar Jahren sassen hier noch jeden Montagabend ältere Männer vor halbvollen Whiskeygläsern und schwelgten in Erinnerungen an alte Zeiten. Es waren ehemalige Kämpfer der palästinensischen Linken – vergessene Relikte aus einer Zeit, als der Nahe Osten noch rot war und Palästina gewissermassen das Zentrum der Weltrevolution.

Das Abu Elie gibt es immer noch. Inzwischen hat die Bar aber am Montag zu, ihr Besitzer ist verstorben, und die alten Kämpfer kommen nicht mehr. Was bleibt, sind ihre Geschichten, die am Ende aber meist von einer einzigen Sache handeln: vom scheinbar unaufhaltsamen Niedergang der einst dominierenden arabischen und palästinensischen Linken. Doch wie konnte es dazu kommen?

Flugzeugentführer und Revoluzzer-Ikonen

Noch in den siebziger Jahren bildeten marxistische, maoistische und nasseristische Kampfgruppen die Vorhut der palästinensischen Sache. Sie machten mit Flugzeugentführungen und Terroranschlägen auf sich aufmerksam, griffen Israel von der libanesischen Grenze aus an und produzierten dabei Revoluzzer-Ikonen wie die Luftpiratin Leila Khaled, die auch bei manchen europäischen Bürgerkindern für Verzückung sorgte.

Westliche Terrorgruppen wie die deutsche RAF oder die Japanische Rote Armee pilgerten in die Ausbildungslager der palästinensischen Genossen, um dort im Namen der Weltrevolution den Umgang mit Sprengstoff und Schusswaffen zu erlernen.

Heute ist davon wenig übrig. Statt der selbsterklärten Araber-Marxisten mit Schnauzer und Schlaghose sind es jetzt die Islamisten der Hamas, des Islamischen Jihad oder der libanesischen Schiitenmiliz Hizbullah, die gegen das verhasste Israel in den Krieg ziehen. Und viele Linke im Westen jubeln ebenfalls religiösen Fanatikern zu, die sie unter allerlei intellektuellen Verrenkungen zu Sozialrevolutionären erklären.

«Wir bilden eine gemeinsame Front»

Die Zeiten hätten sich tatsächlich geändert, sagt Salah Salah. Der 83-jährige Mitgründer der PFLP, der Volksfront zur Befreiung Palästinas, sitzt in seiner Wohnung im Viertel Verdun im Westen Beiruts. In den siebziger Jahren hielten hier Yasir Arafat und all die anderen säkularen Palästinakämpfer Hof, die in Libanons Hauptstadt einen regelrechten Exilstaat aufgebaut hatten.

Doch Arafat ist längst tot, und in Beirut haben nicht mehr die Palästinenser, sondern die gläubigen Schiiten des Hizbullah das Sagen. Auch in Gaza operiere die Linke nicht eigenständig, sagt Salah – der seine Kaderposition schon vor Jahrzehnten niedergelegt hat –, sondern im Verbund mit der Hamas. «Die Hamas verfügt über mehr Ressourcen und ist daher weitaus stärker. Aber wir bilden eine gemeinsame Front.»

Immer wieder erklären Kader der verbleibenden palästinensischen Linksorganisationen, dass ihre Trupps in Gaza nun Seite an Seite mit den Islamisten kämpfen würden. Schliesslich gehe es ja in erster Linie um die Befreiung der Heimat, da würden ideologische Differenzen eigentlich keine Rolle spielen.

Die PFLP war einst das, was die Hamas heute ist

Doch die demonstrative Einigkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um die linken Palästinensergruppen schon seit längerem nicht gut bestellt ist – und ihnen daher nicht viel anderes übrigbleibt, als mit dem islamistischen Klassenfeind gemeinsame Sache zu machen. Salahs PFLP, die wichtigste Linksfraktion, hat bei den letzten Wahlen im Jahr 2006 bloss 3 Sitze im Palästinenserparlament geholt.

Dabei war die PFLP – die im Westen bis heute als Terrororganisation gilt – einst das, was die Hamas heute ist: die grösste und gefürchtetste Kraft unter den militanten Palästinensern. Die vom christlichen Kinderarzt George Habash angeführte Truppe war von enttäuschten panarabischen Nationalisten gegründet worden, die nach der Niederlage im Sechstagekrieg 1967 nicht mehr an einen Sieg der Araberstaaten gegen Israel glaubten.

«Wir beschlossen damals, die Dinge selber in die Hand zu nehmen», erinnert sich Salah. Nach aussen hin gab sich die PFLP – die neben Studenten und Intellektuellen auch viele arme Palästinenser aus den tristen Flüchtlingslagern in Libanon und Jordanien anzog – streng marxistisch. Sie wollte nicht nur Israel beseitigen, sondern alle prowestlichen Regime in der Region gleich mit dazu. Doch die erhoffte Morgenröte über Arabien blieb aus.

«Kaum ein Palästinenser hat je Marx gelesen»

Stattdessen mussten sich die Linken bald einer neuen Konkurrenz erwehren. Ende der siebziger Jahre trat der radikale Islam seinen Siegeszug an. Befeuert von der Islamischen Revolution in Iran übernahmen dessen Vertreter in Form der Hamas die Führung im Kampf gegen Israel: «Im Gegensatz zu den Islamisten, die plötzlich Geld aus Teheran oder vom Golf bekamen, hatten wir nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion keine Unterstützung mehr», sagt Salah.

Aber das fehlende Geld war nicht der einzige Grund für den Niedergang. Die arabischen Gesellschaften waren offenbar nur begrenzt empfänglich für marxistische Theorie. «Kaum ein Palästinenser hat je Marx gelesen», sagt Hamsi Beshtawi – der bis heute in der Führung einer PFLP-Abspaltung sitzt, die sich «General Command» nennt – bei einem Treffen in Beirut: «Man ging einfach zu derjenigen Gruppe, die am stärksten war oder wo Freunde und Verwandte aktiv waren.»

Wenig hilfreich waren auch die brutalen Bruderkämpfe innerhalb der Palästinenser-Faktionen. Beshtawis PFLP-GC etwa bekämpfte in den Wirren des libanesischen Bürgerkriegs die Fatah von Yasir Arafat. In dem blutigen Chaos im Zedernstaat, für das die bewaffneten Palästinenser mitverantwortlich waren, gingen viele linke Illusionen zu Bruch. «Die Fehden damals waren ein Fehler und haben unserer Sache sehr geschadet», sagt Beshtawi rückblickend.

Die Islamisten kämpfen, die Linken reden

Bis heute ist die palästinensische Linke zersplittert. Neben der PFLP und der PFLP-GC gibt es noch die DFLP, die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas, sowie eine ganze Reihe weiterer Gruppen und Grüppchen. In den desolaten Flüchtlingslagern südlich von Beirut jubeln die jungen Männer aber längst der Hamas oder dem Islamischen Jihad zu. Die Islamisten – so heisst es – würden kämpfen, die Linken hingegen bloss reden.

Trotzdem gibt es auch heute noch junge Linke. In einem Kulturzentrum in einem der Lager von Beirut treffen sich ein paar junge Frauen und Männer. Sie wollen anonym bleiben und auch nicht fotografiert werden. Sie sprächen im Kollektiv für die PFLP, sagen sie. Sie sind gut ausgebildet und säkular – unterstützen aber die konservative und islamistische Hamas in ihrem Kampf gegen Israel, dessen Existenz sie ablehnen.

Er wünsche sich stattdessen einen demokratischen, säkularen und sozialistischen Staat Palästina, sagt einer der Männer. Aber ist so etwas mit der islamistischen Hamas überhaupt zu haben? «Diese Frage werden wir Palästinenser nach der Befreiung alle gemeinsam klären», antwortet er. Immer wieder betonen die jungen Leute, dass man mit der Hamas als palästinensisch-nationale Bewegung trotz allen ideologischen Differenzen zusammenarbeiten könne.

Mehr als einmal verkalkuliert

Allerdings haben sich die Linken im Nahen Osten bei diesem Thema schon mehr als einmal bitter verkalkuliert. In Iran der siebziger Jahre kämpften sie Seite an Seite mit den Mullahs gegen den Schah, nur um kurz darauf selbst in den Folterkellern des Revolutionsführers Khomeiny zu landen. Und in Libanon wurden linke Palästinenser in der Vergangenheit ebenfalls von ehemaligen Verbündeten niedergeschossen. Die alten Männer im Abu Elie können ein Lied davon singen.

Die Hamas, die in Gaza derzeit den Kampf anführt, hat für ihre linken Freunde jedenfalls nicht nur Zuneigung übrig. Auf die Frage, warum sie Anfang der achtziger Jahre denn eine Islamistengruppe aufgebaut hätten, anstatt sich einem der existierenden Kampfverbände anzuschliessen, antwortet ein Mitgründer der Hamas in Doha lapidar: «Ganz einfach: weil wir gegen die Linken waren.»

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