Mittwoch, November 27

Die Nationalsozialisten raubten das Kunstwerk während des Zweiten Weltkriegs aus dem Privatbesitz einer Wiener Familie. Das Gemälde galt lange als verschollen. Vor einigen Jahren tauchte es in den USA auf, dann schlug das FBI zu.

Für Helen Lowe und Françoise Parlagi hat eine jahrzehntelange Suche geendet. Eine Suche, die ihre Familie seit mehr als achtzig Jahren beschäftigt hatte. In der amerikanischen Stadt New Orleans erhielten die beiden Frauen am Mittwoch ein wertvolles Gemälde zurück. Ein Gemälde, das die Nazis ihrem Grossvater Adalbert «Bela» Parlagi geraubt hatten.

Adalbert Parlagi war in den 1930er Jahren in Wien ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er liebte Kunst und besass wertvolle Gemälde. Eines davon war «Bord de Mer» von Claude Monet aus dem Jahr 1865. Das Pastellbild zeigt die Küste der Normandie und war eines der ersten Werke des französischen Malers. Parlagi kaufte es 1936 bei einer Kunstauktion in Österreich und hängte es in seinem Wohnzimmer auf. Doch dort blieb es nicht lange.

1938 marschierten die Nationalsozialisten in Wien ein. Parlagi war als Jude geboren, trat jedoch mit seiner Frau Hilda schon 1923 aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus. Für die Nazis galten sie trotzdem als jüdisch. Während viele ihrer Verwandten in den Konzentrationslagern ermordet wurden, flohen die Parlagis nach London. Ihre Besitztümer und Kunstwerke liessen sie im Lager einer Wiener Speditionsfirma zurück. Von dort aus sollten die Güter nach England verschifft werden. Sie verliessen das Lager jedoch nie: Sie wurden von der Gestapo beschlagnahmt.

Parlagi suchte zu Lebzeiten nach den Kunstwerken

Die beschlagnahmten Besitztümer versteigerten die Nazis 1941 im Wiener Auktionshaus Dorotheum. Ein NS-Kunsthändler kaufte das «Bord de Mer».

Adalbert Parlagi suchte nach Kriegsende nach seinen Besitztümern. Er verbrachte Jahre damit, beauftragte einen Anwalt, stellte Nachforschungen an.

Eine Spur führte Parlagi zu einem Wiener Auktionshaus. Dieses hatte bei der Versteigerung der Nazis den Monet sowie ein weiteres Bild aus Parlagis Sammlung gekauft und weiterverkauft. Dies geht aus Dokumenten der österreichischen Regierung hervor. Doch der Auktionator blockierte die Suche. In einem Brief teilte er Parlagi mit, dass die Kaufunterlagen aufgrund der Kampfhandlungen in Wien verlorengegangen seien. Ausserdem könne er sich nicht an die beiden Bilder erinnern.

Parlagi erhielt bis zu seinem Tod im Jahr 1981 keines seiner Gemälde zurück. Auch sein Sohn, der die Suche weiterführte und 2012 starb, blieb erfolglos. Das Monet-Gemälde tauchte erst 2023 in einer Galerie im amerikanischen Gliedstaat Texas wieder auf.

Käufer wollten keine NS-Raubkunst

In den USA ermittelt das Art Crime Team des FBI seit einigen Jahren im Fall geraubter Kunstwerke. Es ist eine Spezialabteilung, die sich der Bekämpfung von Kunstkriminalität widmet. Das FBI wurde 2021 von der gemeinnützigen Organisation Commission for Looted Art in Europe kontaktiert, die weltweit nach geplünderten Kulturgütern sucht. Parlagis Enkelin hatte die Organisation 2014 mit der Suche nach den Bildern beauftragt.

Die Organisation fand 2017 heraus, dass das Monet-Gemälde in der besagten Kunstgalerie in Houston im Gliedstaat Texas zum Verkauf angeboten wurde. Die FBI-Agenten nahmen Kontakt mit dem Ehepaar auf, das das Kunstwerk bei der Galerie gekauft hatte. Diese wussten nicht, dass es sich beim erworbenen Gemälde um Nazi-Raubkunst handelte, und gaben das Kunstwerk freiwillig zurück. Damit konnte das Bild in den Besitz der Familie Parlagi zurückkehren.

Die Rückgabe sei ein Akt der Gerechtigkeit, sagte Anne Webber, Co-Vorsitzende der Commission for Looted Art in Europe bei einer Pressekonferenz.

James Dennehy, der stellvertretende Direktor des FBI in New York, hob in einer Stellungnahme die Bedeutung hervor, die das Kunstwerk für die Familie Parlagi habe. «Obwohl dieser Monet zweifellos wertvoll ist, liegt sein wahrer Wert darin, was er für die Familie Parlagi darstellt.» Das Gemälde sei für die Nachfahren ein Erbe, das fast ausgelöscht worden sei. «Die Emotionen, die mit dieser Rückgabe verbunden sind, können nicht in Dollar gemessen werden – sie sind unbezahlbar», sagte Dennehy.

Viele Werke gelten noch als vermisst

Für die Nachfahren ist es bereits die zweite Rückgabe aus Parlagis Sammlung. Im März haben sie von der österreichischen Regierung eine Kreidezeichnung des deutschen Malers Franz Seraph von Lenbach zurückerhalten. Das Bild zeigt den deutschen Komponisten Richard Wagner. Es war das einzige Sammelstück, das Adalbert Parlagi zu Lebzeiten selbst in einem Wiener Privatbesitz ausfindig machen konnte.

Der damalige Besitzer, der österreichische Filmregisseur Ernst Marischka, wollte Parlagi das Bild jedoch nur zurückgeben, wenn er es ihm zum geschätzten Preis abkaufte. Da Parlagi der Preis zu hoch war, scheiterten die Verhandlungen. Marischkas Wittwe verkaufte die Zeichnung 1976. Über Umwege landete sie später im Bestand des Kunstmuseums Albertina in Wien. Dort wurde die Zeichnung von der Commission for Looted Art in Europe ausfindig gemacht.

Laut Schätzungen haben die Nazis während des Zweiten Weltkriegs 600 000 Kunstwerke und Millionen von Büchern und religiösen Objekten geraubt. Das Pastellbild von Monet ist eines von 20 000 Kunstwerken, die das Art Crime Team des FBI in den vergangenen Jahren sichergestellt hat.

Aus der Sammlung von Adalbert Parlagi fehlen noch immer mehrere Kunstwerke. Darunter sind Gemälde von berühmten Künstlern wie Camille Pissaro und Paul Signac. Die Ermittlungen des FBI dauern an. Kristin Koch, die leitende Spezialagentin des Art Crime Team, vermutet, dass sich die Bilder ebenfalls in den USA befinden. Sie sagt: «Unser Land ist wahrscheinlich der grösste illegale Kunstmarkt der Welt.»

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