Mittwoch, Januar 15

Interne Unterlagen zeigen, das sogar das EDA der Stadt vorgeschlagen hatte, das Geld besser an andere Organisationen zu spenden.

Im letzten Juli verabschiedete das Parlament der Stadt Zürich ein umstrittenes Postulat: Gegen die Opposition der bürgerlichen Parteien verlangte die linke Ratsmehrheit einen finanziellen Beitrag an das umstrittene Palästinenserhilfswerk UNRWA. Wenige Monate später, im November, überwies die Stadt Zürich 380 000 Franken.

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Nun liegen der NZZ interne Dokumente der Stadt Zürich und des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) vor. Sie zeigen auf, wie die Verantwortlichen der Stadt die Zahlung beurteilten. Eines wird rasch klar: Die Kritiker der UNRWA fanden am Stadthausquai kein Gehör.

EDA äusserte Bedenken

Ende August sprach eine städtische Projektmitarbeiterin mit der Nahostverantwortlichen der Direktion für Sicherheit und Zusammenarbeit (DEZA), einer Organisation des EDA.

Im Austausch, so legt es eine Notiz der Stadt Zürich nahe, äusserte das EDA Bedenken, ob die Spende der Stadt Zürich bei der UNRWA am richtigen Ort sein würde. Zwar sei die UNRWA weiterhin «das Rückgrat aller humanitären Aktivitäten in Gaza». Der Beitrag der Stadt Zürich sei aber klein und «wäre allenfalls bei einer kleineren Organisation besser eingesetzt».

Die Stadt Zürich konsultierte neben dem Aussendepartement auch das NGO Terre des Hommes sowie das Basler Forschungsinstitut Swisspeace. Weiter habe man, so sagt die Stadt Zürich, mit Ärzten ohne Grenzen, der Glückskette und Amnesty International gesprochen.

Swisspeace wird von Laurent Goetschel geleitet. Er ist ein ehemaliger Berater von SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Die Organisation, die als EDA-nah gilt, ermutigte die Stadt Zürich zu einer Spende an die UNRWA. Dies überrascht nicht.

Seit dem 7. Oktober hat sich Laurent Goetschel wiederholt israelkritisch geäussert. Die UNRWA-Gelder befürwortete er, ein Verbot der Hamas lehnte er ab. Wegen Goetschels öffentlichen Stellungnahmen wurden Swisspeace Gelder gestrichen. Seine kürzliche Wahl zum Dekan der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Basel war umstritten.

Nicht mit der israelischen Botschaft gesprochen

Die Stadt betonte wiederholt, dass die Kritik an der UNRWA sorgfältig geprüft wurde. Gegenüber Radio SRF behauptete Stadtpräsidentin Corine Mauch sogar, man könne ausschliessen, dass die Zürcher Gelder an die Hamas fliessen würden.

Kritiker der UNRWA hat die Stadt jedoch nie angehört. Weder die israelische Botschaft in Bern noch die NGO UN-Watch, die ihre Vorwürfe in der Aussenpolitischen Kommission vortragen konnte, wurde von den städtischen Behörden konsultiert. Auch die öffentlich verfügbaren Berichte von UN-Watch wurden nicht gelesen.

Die Stadt Zürich rechtfertigt sich auf Anfrage: Ihr seien die Positionen von UN-Watch und Israel bekannt. Man habe sie in die Meinungsbildung miteinbezogen und sei bei den Abklärungen ergebnisoffen vorgegangen.

Die internen Dokumente wecken Zweifel an dieser Darstellung. Die Abklärungen scheinen eher das Ziel verfolgt zu haben, die Vorwürfe «um die angebliche Nähe der UNRWA zur Hamas», so das Wording im Memo, à priori zu entkräften.

So schreibt die Projektleiterin, «dem Grossteil der von Israel beschuldigten Mitarbeitenden konnte klar keine Beteiligung nachgewiesen werden». Sie beruft sich dabei auf das interne Aufsichtsorgan OIOS, die bei 19 UNRWA-Mitarbeitern im Gazastreifen untersucht hat, ob sie direkt am Terrorangriff vom 7. Oktober beteiligt waren.

In einer Medienmitteilung vom 5. August 2024 fasst die UNRWA die Untersuchungsergebnisse zusammen: In 10 Fällen waren die Beweise ungenügend, um eine Beteiligung am 7. Oktober festzustellen. Dies ist jedoch kein Unschuldsbeweis, wie die Stadt Zürich suggeriert. Auch in diesen zehn Fällen würden «entsprechende Massnahmen ergriffen». In den neun weiteren Fällen, die vom UNRWA-Aufsichtsorgan untersucht wurden, deuteten die Beweise auf eine Beteiligung am Terrorangriff. Die entsprechenden Mitarbeiter wurden entlassen.

Gemäss ihrer Verordnung über die humanitäre Hilfe im In- und Ausland darf die Stadt Zürich nur Beiträge an NGOs leisten, die unparteiisch, unabhängig und neutral sind. Gestützt auf den Untersuchungsbericht der französischen Aussenministerin Catherine Colonna schreibt die Projektleiterin in der internen Evaluation, «dass die UNRWA über ‹robuste› Mechanismen zur Einhaltung der Neutralität verfüge …» Auf weitere Vorwürfe an die UNRWA geht sie nicht ein. Also alles gar kein Problem?

Tatsächlich ist der 54-seitige Colonna-Bericht keineswegs so entlastend, wie es die Projektleiterin darstellt. So kritisiert der Report unter anderem die Nutzung von Lehrmaterialien mit antisemitischen und gewaltverherrlichenden Inhalten an UNRWA-Schulen. Besonders bemerkenswert: Einer der zentralen Vorwürfe Israels, nämlich dass UNRWA-Einrichtungen für politische oder militärische Zwecke missbraucht werden, wird im Bericht bestätigt.

Ein weiteres Fazit des Berichts: Politische Gruppen üben starken Einfluss auf die Entscheide der Hamas aus und die UNRWA prüft gar nicht, ob ihre Angestellten Mitglieder der Hamas oder des Islamischen Dschihad sind – obwohl eine solche Mitgliedschaft nach Meinung der Autoren des Berichts unvereinbar mit dem Prinzip der Neutralität ist. Israel schätzt, dass 10 Prozent der UNRWA-Belegschaft Mitglieder von Terrororganisationen sind.

Ein politisches Signal

Die Stadt Zürich argumentiert, dass ihre Unterstützung für die UNRWA kein Eingriff in die Aussenpolitik ist, wie es zum Beispiel eine Aufsichtsbeschwerde der FDP geltend macht. Die internen Dokumente zeigen aber, dass man sich von der Spende durchaus eine Signalwirkung zugunsten der UNRWA versprach:

«Politisch sendet die Stadt mit einem Beitrag an die UNRWA kein falsches Signal aus, im Gegenteil: Das Signal wäre eine Parteinahme für die humanitäre Hilfe und ein Signal für mehr Sachlichkeit in der Debatte.»

Auch sah man die Zahlungen im Präsidialdepartement im Kontext der nationalen Debatte über die UNRWA. Ende September schrieb die städtische Projektleiterin an die DEZA-Nahostverantwortliche und bat um einen Überblick über die UNRWA-kritischen Vorstösse im Bundesparlament. Das DEZA versicherte ihr, dass die Vorstösse frühestens im Dezember in den Ständerat kommen und selbst bei Annahme keine rückwirkende Wirkung entfalten würden. Die Projektleiterin bedankte sich beim DEZA: «Das ist sehr hilfreich – und bedrückend zugleich …»

«Ein Beitrag an Israel lässt sich nicht rechtfertigen»

Es blieben also noch zwei Monate, um die Zürcher Zahlungen vor der Debatte im nationalen Parlament auszulösen. Dass man damit einen Teil der Stadtbevölkerung vor den Kopf stossen würde, nahm man in Kauf.

Man antizipierte besonders den Unmut der jüdischen Bevölkerung: «Namentlich bestimmte und gut organisierte Kreise innerhalb der jüdischen Community werden die Stadt harsch kritisieren – das ist zumindest unangenehm», heisst es in einem der Berichte, die der NZZ vorliegen. Welche «bestimmten Kreise» sie meint, legt die Stadt nicht offen. Die entsprechende Passage ist geschwärzt.

Zu erwähnen sei, dass es auch andere Stimmen in der jüdischen Community gebe, diese jedoch weniger organisiert beziehungsweise weniger hörbar seien.

Im Memo der Stadt heisst es weiter: «Auffällig ist, dass sich der Schweizerische Israelitische Gemeindebund bisher nicht geäussert hat (weder positiv noch negativ). Wie das zu interpretieren ist, ist unklar.» Von der «muslimischen Community» hingegen erwarte man eine positive Reaktion.

Das Memo wirft die Frage auf, ob man nicht einen gleich hohen Beitrag an eine jüdische Organisation bezahlen könnte, um die Wogen zu glätten. Diese Möglichkeit wird jedoch sogleich wieder verworfen: «Ein Beitrag der Stadt zugunsten von Israel lässt sich aus humanitärer Sicht nicht rechtfertigen. Das wäre eine rein politische Frage.»

Der GLP-Gemeinderat Ronny Siev, einer der schärfsten Kritiker der städtischen UNRWA-Zahlungen, sieht sich durch die Recherchen der NZZ bestätigt: «Die Stadtpräsidentin schickte unser Steuergeld an die UNRWA, ohne deren Zusammenarbeit mit der verbotenen Terrororganisation Hamas geprüft und ohne eine einzige kritische Stimme angehört zu haben.»

Ebenfalls kritisch äussert sich Michael Schmid. Er ist der Fraktionspräsident der FDP im Stadtzürcher Parlament: «Die Zahlung an die UNRWA widersprach städtischem Recht ebenso wie Bundesrecht», sagt er. Völlig abwegig seien die Überlegungen zu möglichen Reaktionen der jüdischen und der muslimischen Gemeinschaften. «Dass sich der Stadtrat an das Recht hält, ist eine Erwartung der ganzen Bevölkerung, egal welchen Glaubens», sagt Schmid.

Angesprochen auf die Passagen zur jüdischen und muslimischen Gemeinde, betont die Stadt, dass es sich bei den Memos um interne Arbeitspapiere handle: «Sie beschreiben keine beschlossenen Positionen der Stadt, entsprechend verzichten wir auf eine weitere Kommentierung.»

Ob der städtische Beitrag überhaupt bei der Zivilbevölkerung im Gazastreifen angekommen ist, weiss man zurzeit nicht. Die Stadt erwartet einen Bericht über die Verwendung der Mittel im Laufe dieses Jahres.

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