Ein wissenschaftlicher Blick auf ein Wintervergnügen.
Natürlich muss man es nicht so weit treiben wie Wim Hof. Der «Eismann», wie der 64-jährige Niederländer auch genannt wird, erklomm den schneebedeckten Gipfel des Kilimandscharo in kurzen Hosen und mit nacktem Oberkörper, schwamm bei anderer Gelegenheit mehr als 60 Meter unter Eis – und stellte sich 112 Minuten bis zum Hals in einen mit Eiswürfeln gefüllten Container. Hof ist eine Galionsfigur für eine ganze Bewegung: für die Anhänger des Winter- und Eisbadens.
Eis- und Kältebäder sind nicht neu, liegen derzeit aber im Trend – auch wegen der vermuteten Vorteile für die Gesundheit. Manche, die lieber winterschwimmen als warm duschen, tun dies mit Gleichgesinnten zum Beispiel in der Limmat oder im Zürichsee. Andere tauchen in der Eisbadi Arosa in Graubünden in den aufgehackten Untersee.
Richtig ernst wird es Anfang März: Dann trifft sich die Elite der Kälteschwimmer im estnischen Tallinn, um im Hafenbecken bei den Winterschwimm-Weltmeisterschaften anzutreten – in gewöhnlicher Badebekleidung ohne wärmenden Neoprenanzug, versteht sich. Mehr als 2000 Teilnehmer werden erwartet. Voraussichtliche Wassertemperatur: nahe null.
Die Auswirkungen des Eisbadens auf die Gesundheit
Kein Wunder, dass sich längst auch die Wissenschaft für den freiwilligen Kaltwasserkontakt interessiert. Wie wirkt er sich auf die Gesundheit aus?
Zwar gebe es bislang keine eindeutig gesicherten Befunde zu positiven Effekten, sagt Martin Busse, der Leiter der sportmedizinischen Hochschulambulanz an der Uni Leipzig. Doch weise manches darauf hin, dass sich Eisbaden gesundheitlich auszahlen könne – etwa durch verringerte Atemwegsinfektionen oder eine verbesserte Stresstoleranz.
«Das gilt natürlich nur für regelmässiges Kaltwasserbaden, nicht für ein einmaliges Baden bei einem speziellen Anlass», stellt Busse klar.
Kältestress löst physiologische Reaktionen aus
«Eisbaden führt als Temperaturstress im Körper zu vielfältigen physiologischen Reaktionen», sagt der Sportwissenschafter Sascha Ketelhut von der Universität Bern. Entscheidend scheint dabei der Kältereiz an sich zu sein – ob man im eiskalten Meerwasser schwimmt oder in der zehn Grad kalten Regentonne badet, macht vermutlich nur einen graduellen Unterschied aus.
Der Extremsportler Wim Hof propagiert seit Jahren eine Kombination von Atem- und Meditationstraining mit regelmässigen Kaltwasseranwendungen – wobei Letztere im Alltag schlicht aus kalten Duschen bestehen. Er und einige seiner Schüler liessen sich sogar im Labor des niederländischen Intensivmediziners Peter Pickkers an der Radboud-Universität in Nijmegen untersuchen.
Gemäss der Studie könnten die Atem- und Kälteübungen etwa das vegetative Nervensystem beeinflussen und die Immunantwort des Körpers günstig modulieren. Hof selbst ist sowieso überzeugt von der Wirkung des kalten Wassers. Mittlerweile ist er durch zahlreiche Fernsehauftritte, Gesundheitscoachings oder populäre Bücher von ihm und über ihn bekannt. Sie heissen etwa «The Way of the Iceman» oder «Nie wieder krank».
Ganz so simpel ist der Fall allerdings nicht. Vor kurzem haben auch Ketelhut und Kollegen sich in einem wissenschaftlichen Feldversuch den Ansatz von Wim Hof vorgenommen. In der Studie wies Ketelhuts Team gesunde, jüngere Männer an, die Wim-Hof-Methode fünfzehn Tage lang unter Alltagsbedingungen genau zu befolgen – laut Hofschem Ratgeber wären schon zehn Tage ausreichend gewesen, um physiologische Veränderungen feststellen zu können, sagt Ketelhut.
Die Forscher konnten jedoch weder bei der Stimmung und dem subjektiven Gefühl der Vitalität noch bei objektiven Messgrössen der Herz-Kreislauf-Funktion Unterschiede gegenüber Kontrollpersonen belegen. Ein Grund dafür ist laut Ketelhut, dass ein Zeitraum von zwei Wochen vermutlich zu kurz ist, um nennenswerte Wirkungen festzustellen.
Winterschwimmen könnte Fettstoffwechsel positiv beeinflussen
Dass sich positive Veränderungen bei längerem Kaltwassertraining gleichwohl einstellen könnten, davon geht nicht nur Ketelhut, sondern inzwischen eine wachsende Forschergemeinde aus.
In einer umfangreichen Analyse aus dem Jahr 2022 etwa werteten norwegische Mediziner von der Arktischen Universität Tromsö gut einhundert Studien über die Effekten von Eis- und Kältebädern aus. Neben der hinlänglich bekannten körperlichen Sofortreaktion – bei der Puls und Blutdruck steigen, die Hautgefässe enger werden und die Muskeln zu zittern beginnen – kann das Winterschwimmen gemäss der Analyse beispielsweise den Zucker- und den Fettstoffwechsel positiv beeinflussen.
Eine viel diskutierte Hypothese besagt, dass durch wiederkehrende Kältereize Insulin im Körper besser wirkt und die molekularen Stoffwechselprozesse in den Fettzellen umgestellt werden – was letztlich das Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Krankheiten senken könnte. Denkbar ist auch, dass sich hormonelle Effekte wie ein erhöhter Noradrenalinspiegel nach dem Eisbaden günstig auf Psyche und Schmerzempfinden auswirken.
Allerdings seien viele bisherige Studien zu klein und zu wenig vergleichbar, um endgültige Schlüsse zu ziehen, räumt das Team aus Tromsø ein. Womöglich gingen manche der beobachteten Effekte auch nicht auf das kalte Wasser per se, sondern auf eine positivere Grundhaltung unter den Winterschwimmern und einen insgesamt aktiveren und geselligen Lebensstil zurück. Eisbaden ist nicht zuletzt ein sozialer Event.
Tipps fürs Eisbaden
Wer es auskosten mag, sollte einige Grundregeln beachten – und die Risiken nicht unterschätzen, raten erfahrene Winterschwimmer und Ärzte. So führt der plötzliche Temperaturstress beim ersten Kontakt mit dem eisigen Nass – der sogenannte Kälteschock – zu einer heftigen Herz-Kreislauf-Belastung, bei der der Herzschlag in die Höhe schnellt. Taucht man zusätzlich Gesicht und Kopf ins Wasser ein, wird das Herz jedoch durch den Tauchreflex wieder gebremst. Diese gegenläufige Reaktion könnte das Risiko für Herzrhythmusstörungen deutlich steigern.
«Grundsätzlich eignet sich Eisbaden nicht für Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen», sagt Busse. Gerade Untrainierte sollten ihre Belastbarkeit zunächst ärztlich abklären. Auch bei den Weltmeisterschaften in Tallinn müssen die für längere Wettkampfstrecken gemeldeten Winterschwimmer vor dem Start ein EKG vorweisen, um ihre Herzgesundheit zu belegen.
Generell ist beim Eisbaden ein vorsichtiges Herangehen geboten. Neulinge können sich beispielsweise schon im Herbst an sinkende Wassertemperaturen gewöhnen oder sich mit kalten Duschen zu Hause vorbereiten. Wer schliesslich ins eisige Wasser steigt, sollte dies niemals allein in freien Gewässern tun und nur so lange darin bleiben, wie es angenehm ist – um nicht zu stark auszukühlen.
«Für die gesundheitlichen Effekte reichen wenige Minuten im kalten Wasser vermutlich aus», bestätigt Ketelhut. Ohnehin gehe es beim Eisbaden nicht um ein medizinisch optimiertes Gesundheitsprogramm. So schwärmen geübte Eisschwimmer neben dem Energiekick auch von einem Hochgefühl, sich überwunden und den Kältestress gemeistert zu haben. Dazu Ketelhut: «Entscheidend ist nicht zuletzt, dass es diese Menschen glücklich macht.»