Nach dem Sieg im Penalty-Schiessen gegen Kanada spielt das Eishockey-Nationalteam am Sonntag gegen Tschechien um Gold. Das war nicht unbedingt zu erwarten.
Dem Schweizer Eishockey-Nationalteam winkt heute Sonntag in Prag die nächste Medaille. Es wäre das dritte Edelmetall in den vergangenen elf Jahren, nach zwei Silbermedaillen 2013 in Stockholm und 2018 in Kopenhagen. Die NHL-Spieler Roman Josi und Nino Niederreiter sind zusammen mit dem Davoser Andres Ambühl die letzten Spieler, die aus dem Team übriggeblieben sind, welches 2013 das erste Edelmetall für das Schweizer Eishockey nach sechzig Jahren gewonnen hatte. Viele sahen jenes Turnier damals als Aufbruch in eine glanzvolle Zukunft.
Doch was hat sich in den elf Jahren seit Stockholm 2013 wirklich verändert im Schweizer Eishockey? Einiges und doch nicht viel. Die National League ist von 12 auf 14 Teams gewachsen, die Zahl der zugelassenen Ausländer pro Match und Team von 4 auf 6. In der vergangenen Saison haben 10 Schweizer mehr oder weniger regelmässig in der NHL gespielt. 2018, beim Triumph in Kopenhagen, waren es noch 14 gewesen.
Dass man in der Schweiz die NHL-Spieler relativ einfach aufzählen kann, zeugt vom Rückstand, den das Land im internationalen Wettbewerb immer noch hat. 2018 hatte der Nationalcoach, der schon damals Patrick Fischer hiess, gesagt, es müsse viel zusammenpassen, damit die Schweiz an einem WM-Turnier eine Medaille gewinne. Seither ist es etwas einfacher geworden. Die Russen, eine der grossen Eishockey-Nationen, sind wegen des Kriegs, den ihr Land gegen die Ukraine führt, im internationalen Sport mehr oder weniger geächtet und fehlten auch in den vergangenen zwei Wochen in Prag.
Der Abstand zu den Topnationen wächst weiter
Doch der Abstand zu den europäischen Topnationen ist seit jener ersten Medaille nach sechzig Jahren eher noch grösser als kleiner geworden. Das zeigten etwa die bedeutungsarmen Testspiele während der Saison, welche die Schweiz allesamt verlor. Daran kann auch Genf-Servettes erstmaliger Sieg in der Champions Hockey League nichts ändern. Die Genfer holten diesen beachtlichen Erfolg in erster Linie dank ihren ausländischen Verstärkungen.
Es geht nicht darum, den Erfolg des Schweizer Teams in Prag zu schmälern oder ihn sogar schlechtzureden. Doch die Euphorie des Moments darf auch nicht den Blick für die Realität verschleiern. Ohne die Spieler aus Übersee tun sich die Schweizer weiterhin äusserst schwer im internationalen Wettbewerb. Gerade führende Exponenten der National League reagieren oft empfindlich auf kritische Ansätze. Man bezichtigt die Medien, negative Schlagzeilen zu suchen, weil sich solche besser verkaufen liessen.
Grundsätzlich falsch ist das nicht. Doch für einen beträchtlichen Teil dieser Schlagzeilen haben die Klubs und ihr Verband in den vergangenen Jahren mit einem absolut nutzlosen Streit um Geld und Einfluss gleich selber gesorgt. Die WM-Silbermedaille 2018 kam nur gut zwei Monate nach der Enttäuschung am olympischen Eishockeyturnier in Pyeongchang, als Fischers Team mit allen NHL-Spielern im Vor-Viertelfinal an Deutschland gescheitert war.
Die Davoser Trainer-Ikone Arno Del Curto hatte nach der Enttäuschung von Pyeongchang einen runden Tisch angeregt, an dem über die Zukunft des Schweizer Eishockeys diskutiert werden soll. Der damalige Verbandspräsident Michael Rindlisbacher nahm den Gedanken begeistert auf. Doch geschehen ist nichts. Zusammen mit anderen Ideen ist er in der Schublade der Selbstgefälligkeit versunken.
Noch nie zuvor standen die Testspiele während der Saison in der Kritik wie in diesem Jahr. Selbst der Nationalcoach Patrick Fischer sagte in einem Interview mit der NZZ, diese Resultate interessierten ihn überhaupt nicht, ehe er die Aussage aus politischen Gründen noch abschwächte und umdeutete: «Zum jetzigen Zeitpunkt, da die WM-Vorbereitung in der finalen Phase ist, sind diese Niederlagen nicht mehr von grosser Relevanz.» Man spiele an der WM ein anderes Eishockey.
Selbst der langjährige Präsident des Internationalen Eishockeyverbandes (IIHF) René Fasel sagte diese Woche im Gespräch mit der NZZ, man müsse diese Testspiele überdenken. Die NHL-Spieler fehlen, und selbst die Schweizer Klubs geben ihre Leistungsträger wenn überhaupt, dann nur widerwillig frei. Um dauerhaft einen Schritt vorwärts zu machen, muss das Schweizer Eishockey wieder mehr Geld in den Nachwuchs statt in überbordende Saläre für die Topspieler investieren. Die Basis an konkurrenzfähigen Spielern ist zu schmal, um auch im Meisterschaftsalltag ein Klima zu schaffen, in dem die Spieler wachsen und sich weiterentwickeln.
Die Lücken im Nachwuchs sind nicht zu übersehen
Die erste Auszeichnung für die Schweiz an der WM in Prag gab es übrigens bereits am Samstag, noch bevor der finale Kampf um die Medaillen begonnen hatte. Markus Graf wurde zusammen mit Eishockey-Legenden wie Jaromir Jagr oder Petteri Nummelin in die Hall of Fame aufgenommen und mit dem Johan Bollue Award ausgezeichnet.
Dieser Preis geht an Personen, die sich um die Nachwuchsförderung verdient gemacht haben. Nach seiner Spielerkarriere widmete sich der bald 65-jährige Langnauer im Verband der Nachwuchsförderung und entwickelte unter anderem das Transferreglement und das Labelsystem, das Nachwuchsarbeit im Schweizer Eishockey honoriert. Ende Sommer geht er in Pension.
Mit leisem Unbehagen beobachtet Graf, wie sich der Verband und seine Klubs immer stärker voneinander entfremdet haben. Die Schweiz produziert weiterhin herausragende Talente, wie jüngst den Verteidiger Lian Bichsel, der im vergangenen Draft in der ersten Runde als Nummer 18 von den Dallas Stars gezogen wurde. Doch Graf sagt: «Wir brauchen mindestens so einen Bichsel pro Jahr, besser wären noch zwei oder drei, damit wir nicht immer weiter in Rückstand geraten. Die Schweden oder die Kanadier bringen Jahr für Jahr mehrere solche Spieler hervor.»
Das mag mit der nächsten Medaille vor Augen ein spezieller Zugang sein. Die Eishockey-Euphorie strebt im Moment gerade einem Höhepunkt entgegen. Doch was bleibt von diesem übrig, wenn Fischer sein Team im kommenden November wieder zusammenrufen wird und der Testspielalltag ohne NHL-Glanz aufs Neue beginnt? Nur wenn von den glorreichen Tagen von Prag und Ostrava mehr bleibt als ein kurzer Rausch des Nationalstolzes, sind sie für das Schweizer Eishockey und seinen Verband wirklich nachhaltig.
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