Mittwoch, März 12

Heute übernimmt Bernhard Pulver notfallmässig die operative Leitung der grössten Schweizer Spitalgruppe. Gestern war er für noch grössere Aufgaben vorgesehen.

Nichts deutet darauf hin, dass er einen langen und harten Tag hinter sich hat. Am Donnerstag hat Bernhard Pulver die rabiate Operation geleitet, die in Bern und darüber hinaus für Aufsehen sorgt: die Absetzung der zwei operativen Chefs der Insel-Gruppe, des grössten Spitalunternehmens der Schweiz. Es ist ein Eklat, wie man ihn in staatsnahen Betrieben selten sieht. Als Präsident des Verwaltungsrats (VR) hat Pulver die ganze Trennung durchexerziert, bis hin zum Auftritt vor den Medien am Abend.

Am Freitag beantwortet er geduldig eine Medienanfrage nach der anderen. Falls er gestresst ist, lässt er sich nichts anmerken. Grund genug hätte er. Nach fünf Jahren als VR-Präsident trägt er einen Teil der Verantwortung für die Krise. Und weil der VR die Ablösung in Absprache mit der Kantonsregierung abrupt durchziehen wollte, muss er nun selbst Hand anlegen: Zusammen mit dem abtretenden Rektor der Uni Bern übernimmt Pulver per sofort ad interim die operative Leitung des Unternehmens. Dazu gehören 11 000 Angestellte, das Universitätsspital, drei Landspitäler und ein Reha-Zentrum. Das ist seine neuste Rolle: Bernhard Pulver, Insel-Chef.

Mit dreissig an die Uni

Eigentlich war er für noch Grösseres vorgesehen. Der mittlerweile 58-jährige Stadtberner wurde so oft als Bundesratskandidat gehandelt, dass er selbst den Überblick verloren hat. Pulver war die grosse Hoffnung seiner Partei, der Grünen. «Seiner» ist in diesem Fall durchaus passend: Pulver – ein untypischer Politiker in vielerlei Hinsicht – war zuvorderst dabei, als 1983 die Grüne Partei der Schweiz gegründet wurde. Er war auch ihr erster Generalsekretär.

Die Hoffnung auf eine neue grüne Politik, überhaupt die Faszination für die Politik waren so stark, dass der junge Pulver seine eigene Ausbildung aufschob. Fernab vom Rampenlicht ackerte er sich für seine Partei durch die Dossiers der Bundespolitik. Erst mit dreissig begann Pulver sein Rechtsstudium. Es folgten ein Doktortitel, Anstellungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bund, als Assistent an der Uni, als Lehrbeauftragter ebendort.

Die verrückte Wahl von 2006

Und daraus wäre vielleicht eine gewöhnliche akademische Karriere geworden, wenn die Berner SVP 2006 nicht vom Leichtsinn gepackt worden wäre. Plötzlich lancierte sie vier statt drei Kandidaturen für die siebenköpfige Kantonsregierung und stellte damit die traditionelle Sitzverteilung infrage. Der unverhohlene Machtanspruch kam nicht gut an, SVP und FDP verloren ihre angestammte Mehrheit, die Berner Regierung kippte nach links. Mit an Bord: Bernhard Pulver. Er wurde komfortabel gewählt.

Pulver profitierte nicht nur vom Übermut der Volkspartei, sondern vor allem vom Renommee, das er sich im Kantonsparlament erarbeitet hatte. Auch später in der Regierung agierte er geschickt, befriedete das Bildungswesen. Das Volk bestätigte ihn einmal mit dem besten und einmal mit dem drittbesten Resultat. Bei Freund und Feind galt er als überdurchschnittlich intelligent und fleissig, korrekt und pragmatisch. Berührungsängste gegenüber rechts zum Beispiel kannte Pulver nie.

Grünliberal, bevor es Grünliberale gab

Es gefiel ihm auch nicht, wenn die Berner Medien von der linken Regierungsmehrheit schrieben. Pulver hat sich nie als klassischer Linker verstanden. Tatsächlich war er so etwas wie ein Grünliberaler, bevor es die Grünliberalen gab. In der Stadt Bern politisierte er bei der Grünen Freien Liste, deren Positionen wenn vielleicht nicht gerade liberal, so doch zumindest liberaler waren als die der klassischen Grünen. Doch das Spektrum sollte sich bald verengen.

Entsetzt musste Pulver zusehen, wie seine Partei sich spaltete. Just um die Zeit herum, als er Regierungsrat wurde, wandten sich Gleichgesinnte ab, um unter der Führung von Martin Bäumle die Grünliberalen zu gründen. Pulver seinerseits hält den Grünen bis heute die Treue, auf seiner privaten Website hat ihr Logo einen prominenten Platz.

Gäbe es auf nationaler Ebene eine grosse Öko-Allianz aus den Grünen und der GLP, die gemeinsam Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat erheben würde: Pulver wäre der naheliegende Kandidat – gewesen. Seine Zeit als aktiver Politiker ist vorbei. Letzten Herbst hat er noch für den Ständerat kandidiert, musste aber einer klar Linken (Flavia Wasserfallen, SP) und einem klar Rechten (Werner Salzmann, SVP) den Vortritt lassen. Für den Nationalrat hat er nicht kandidiert, obwohl er gute Chancen gehabt hätte. Aber das hat ihn nicht interessiert.

Das Amt als Nationalrat würde nicht zu seiner Arbeitsweise passen, die Pulver selbst so beschreibt: «zuhören, Probleme lösen, Strategien entwickeln». Im Inselspital hingegen ist er damit genau am richtigen Ort.

Exit mobile version