Dienstag, November 26

Das zentralamerikanische Land wird unter Nayib Bukele immer autoritärer. Doch seine Erfolge im Kampf gegen das organisierte Verbrechen werden ihm am Sonntag einen überragenden Wahlsieg bescheren.

Am Sonntag wird El Salvador seinen Präsidenten im Amt bestätigen. Offen ist nur, wie hoch der Sieg von Nayib Bukele ausfallen wird. Seit Jahren liegen seine Beliebtheitswerte über 80 Prozent, was den 42-Jährigen zum beliebtesten Präsidenten Lateinamerikas macht.

Politisch gefährlich wird ihm in El Salvador lange niemand mehr. In Umfragen kommen die fünf Oppositionskandidaten zusammen kaum auf zehn Prozent. Manuel Flores vom linken FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) liegt mit rund vier Prozent an zweiter Stelle, vor Joel Sánchez von der rechtskonservativen Arena (Alianza Republicana Nacionalista) mit rund drei Prozent.

FMLN und Arena hatten nach dem Ende des Bürgerkriegs, der von 1980 bis 1992 rund 75 000 Menschenleben kostete, das Land abwechselnd regiert. In Erinnerung geblieben sind Korruptionsskandale, während Armut und Gewalt Hunderttausende ins Ausland trieben. Allein in den USA leben rund 1,5 Millionen Salvadorianer. Von der allgemeinen Unzufriedenheit profitierte Bukele, damals Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador, als er sich bei den Präsidentschaftswahlen 2019 erfolgreich als Alternative zum korrupten Establishment präsentierte.

Am Sonntag dürfte seine 2017 gegründete Partei Nuevas Ideas (Neue Ideen) bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen ihre 2021 erlangte Mehrheit im Parlament weiter ausbauen. Bis zu 57 der 60 Mandate könnte sie laut Umfragen erringen.

Kandidatur dank Verfassungsbruch

Dabei dürfte Bukele am Sonntag eigentlich gar nicht antreten. Die Verfassung erlaubt dem Präsidenten eine einmalige fünfjährige Amtszeit, nach der eine zehnjährige Zwangspause eingelegt werden muss, bevor er erneut antreten darf. Doch das von Bukeles Partei dominierte Parlament und die von ihm ausgesuchten Verfassungsrichter verkürzten die Quarantäne kurzerhand auf sechs Monate. Vom 1. Dezember 2023 bis zur Amtseinführung am 1. Juni muss er sein Amt ruhen lassen.

So hat Bukele Ende November seine Privatsekretärin Claudia Juana Rodríguez de Guevara als Interimspräsidentin eingesetzt. Die bis dahin völlig unbekannte Buchhalterin, die zuvor in der Werbeagentur der Familie Bukele arbeitete, ersetzt auch den ebenfalls beurlaubten Vizepräsidenten Félix Ulloa – ohne dass dies von der Verfassung gedeckt wäre.

Das ganze Konstrukt ist reine Makulatur. Bukele regiert weiterhin, und man macht sich nicht einmal die Mühe, sein Bild und seinen Namen von der Website des Präsidialamtes und den offiziellen Social-Media-Kanälen der Regierung zu entfernen. Bukele behalte seine präsidialen Vorrechte während der Auszeit, die zudem keine Trennung seiner Person von seinem Amt bedeute, heisst es in der vom Parlament bewilligten Augenwischerei.

Den offenen Verfassungsbruch kann sich Bukele dank seiner Beliebtheit und der Diskreditierung der traditionellen Parteien leisten. Besonders bei der jungen Bevölkerung wird er verehrt. Rund die Hälfte der 6,3 Millionen Einwohner ist unter dreissig Jahre alt und damit nach dem Bürgerkrieg geboren. Von den einstigen ideologischen Kämpfen wollen sie nichts mehr wissen. Der zupackende, stets leger gekleidete Bukele verspricht ihnen das gesellschaftliche Reset in eine moderne Zukunft.

Bukele wurde als Twitter-Präsident bekannt, weil er das Land über die heute X genannte Plattform zu regieren scheint. Passend dazu verordnete er El Salvador 2021 als erstem Land weltweit den Bitcoin als offizielle Währung, neben dem Dollar. Die Bevölkerung, die in ihrer Mehrheit nie ein Bankkonto besass, konnte sich die von Bukeles Team entwickelte Chivo-Wallet (Coole Geldbörse) aufs Handy laden, inklusive eines von der Regierung spendierten Startguthabens von 30 Dollar.

Wegen fehlender Transparenz daheim von der Opposition kritisiert, machte die Krypto-Offensive weltweit Schlagzeilen. Doch nach dem Einbruch des Bitcoin 2022 musste Bukele seine Pläne auf Eis legen, die eine am Fusse eines Vulkans geplante Sonderwirtschaftszone «Bitcoin City» sowie die Ausgabe der Bitcoin-Staatsanleihe «Volcano-Bonds» umfassten. Wenige Salvadorianer nutzen bis anhin den Bitcoin als Zahlungsmittel oder für Geldtransfers aus dem Ausland. Immerhin sollen die «Volcano-Bonds» demnächst tatsächlich kommen.

Zunehmend autoritäre Tendenzen

Dem multimedialen Dauerfeuer um seine Megaprojekte stehen die zunehmend autoritäreren Tendenzen seiner Regierung entgegen. Im Februar 2020 liess er Soldaten in das damals von der Opposition dominierte Parlament einrücken, um Ausgaben für den Sicherheitsapparat durchzusetzen. Als Nuevas Ideas 2021 die Mehrheit im Parlament errang, liess er dieses unbequeme Verfassungsrichter und den Generalstaatsanwalt absetzen. Laut Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch sei die Gewaltenteilung seitdem längst ausser Kraft gesetzt.

Doch die Bevölkerung rechnet Bukele hoch an, dass er nach Jahrzehnten des Terrors die Macht der Jugendbanden gebrochen hat. Diese sogenannten Maras überzogen El Salvador mit Schutzgelderpressungen, Drogenhandel und Entführungen. Im Jahr 2015 galt das Land mit 103 Morden pro 100 000 Einwohner als das gefährlichste der westlichen Hemisphäre.

Bukele schien zuerst die Strategie seiner Vorgänger zu verfolgen und sich mit den Banden arrangieren zu wollen. Mutmasslich fehlgeschlagene Verhandlungen führten im März 2022 zu einer erneuten Terrorwelle, der innert weniger Tage 87 Personen zum Opfer fielen. Bukele reagierte darauf mit der Ausrufung des Notstands, der bis heute gilt. Damit sind Grundrechte ausser Kraft gesetzt und Verhaftungen an der Tagesordnung.

Mittlerweile wurden mehr als 70 000 mutmassliche Mitglieder der einst mächtigen Maras wie Barrio 18 und MS-13 festgenommen. Mit rund 1100 Inhaftierten pro 100 000 Einwohner hat das Land weltweit anteilsmässig die meisten Inhaftierten. Rund 2 Prozent aller Männer sitzen hinter Gittern, bei den 14- bis 29-Jährigen sind es gar 7 Prozent. Im Frühjahr 2023 liess Bukele Tausende von Gefangenen medienwirksam in ein neu gebautes Mega-Gefängnis für über 40 000 Insassen überführen. Die von seinem Medienteam produzierten Bilder gingen um die Welt.

Während der Präsident El Salvador nun als das sicherste Land der Region preist, prangern Menschenrechtsorganisationen und westliche Regierungen wie die der USA die staatliche Willkür an. Allein ein Verdacht oder ein anonymer Hinweis genügt, um Personen auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis zu bringen. Ein Anrecht auf einen fairen Prozess oder einen Anwalt haben sie nicht. Zudem berichten regierungskritische Journalisten und Organisationen über Einschüchterungsversuche und Verfolgung durch die Regierung.

Anerkennung auch im Ausland

Im von Gewalt geprägten Lateinamerika erhält Bukeles Politik der harten Hand jedoch viel Zustimmung, besonders aus dem rechten Lager. So ist Brasiliens früherer Präsident Jair Bolsonaro genauso ein bekennender Bukele-Fan wie Argentiniens neuer Präsident Javier Milei. Aber auch der Kampf der linken Regierung von Honduras gegen die Maras basiert auf von Bukele kopierten Massnahmen.

In Bukeles Reich glänzt derweil aber längst nicht alles. Seitdem die Bandengewalt nicht mehr die grösste Sorge der Menschen ist, stehen Themen wie Arbeitslosigkeit, Armut und hohe Lebenshaltungskosten wieder im Fokus. Doch mit Kritik an Bukele hält man sich zurück. Eine Umfrage des Instituts Latinobarómetro von Mitte des vergangenen Jahres zeigt, dass 61 Prozent der befragten Angst haben, frei ihre Meinung zu äussern. So darf Bukele dank einer Mischung aus Bewunderung und Angst El Salvador wohl auch in den nächsten fünf Jahren regieren.

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