Der Verband der Erneuerbaren Energien will Elektroautos im Eiltempo zu Stromspeichern machen. Die traditionellen Elektrizitätsfirmen treten auf die Bremse.
Im Berner Kursaal brandet pompöse Musik auf. Dann springen die beiden Verbandschefs federnden Schrittes auf die Bühne und präsentieren sich dem Publikum, das sich am Donnerstag dieser Woche zum grossen Jahreskongress der Strombranche eingefunden hat. Zuerst Michael Frank, Direktor des traditionsreichen Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), im eng geschnittenen blauen Anzug. Gleich hinter ihm Stefan Batzli, Geschäftsführer der 1998 gegründeten Dachorganisation für erneuerbare Energien und Energieeffizienz (AEE). Er trägt fast den gleichen Anzug. Einfach in Schwarz.
Kurz zuvor hat ein Bündnis von Umweltschützern, Windkraft- und Strahlungsgegnern bekanntgegeben, es habe genug Unterschriften beisammen, um das kürzlich vom Parlament beschlossene Energiegesetz an die Urne zu bringen. Nun erklären Frank und Batzli dem Publikum eindringlich, wie sie die Referendumsabstimmung gewinnen wollen – die traditionelle Strombranche und die jüngere Branche der grünen Energien Seite an Seite.
Streit wegen Elektroautos
Doch beim Anzug und bei der Abstimmungsstrategie enden die Gemeinsamkeiten. Seit Ende Dezember ist bei den beiden Verbänden Feuer im Dach. Es herrscht Streit um eine zukunftsweisende Technologie: die Nutzung von Elektroautos als Batteriespeicher.
Autos stehen 23 Stunden am Tag ungenutzt herum. In dieser Zeit könnten ihre Batterien mit einem digitalen Signal aktiviert werden, um Strom ans Netz abzugeben. So würden sie die Stromversorgung stabilisieren – etwa dann, wenn der Verbrauch wegen Kälte hochschnellt oder Solaranlagen und Windräder weniger produzieren. Laut einer ETH-Studie könnten Elektroauto-Batterien bis 2050 ein Volumen bereitstellen, das dem Doppelten der heute verfügbaren Schweizer Pumpspeicherkraftwerke entspricht.
Die AEE kämpft seit Jahren für die neue Technologie. Das soeben vom Parlament verabschiedete Energiegesetz ebnet dieser zwar den Weg. Doch als es in den letzten Monaten darum ging, die Details auszuhandeln, folgte die Ernüchterung. Die Besitzer von Elektroautos werden ihre Batterien nämlich nur dann für die Regulierung des Netzes zur Verfügung stellen, wenn sie mit einem Profit rechnen können. Und das wiederum ist nur möglich, wenn sie nichts für die Nutzung des Stromnetzes bezahlen müssen.
Das neue Gesetz hätte es aber nötig gemacht, dass in den Autos ein zusätzlicher intelligenter Stromzähler eingebaut wird – obwohl sie bereits über eigene zertifizierte Messgeräte verfügen. «Das ist ein ökonomischer und ökologischer Unsinn», sagt der GLP-Nationalrat und Energieexperte Jürg Grossen, dessen Elektroplanungsunternehmen Mitglied bei der AEE ist. Die E-Auto-Besitzer hätten so keine Chance auf ein einträgliches Geschäft.
Die Organisationen suchten darum eine gemeinsame Lösung. Diese scheiterte aber aus juristischen Bedenken. Und so nahmen die Verfechter der Technologie das Schicksal in die eigene Hand. Jürg Grossen reichte im Nationalrat kurzfristig einen Antrag ein, um den noch nicht einmal in Kraft getretenen Gesetzespassus schon wieder zu ändern. Mit Erfolg: Am 21. Dezember letzten Jahres wurde dieser mit deutlichem Mehr angenommen.
Doch kaum hatten die Nationalräte abgestimmt, «liefen bei uns die Telefondrähte heiss», sagt ein Mitglied der AEE. Der Vertreter eines Stadtwerks bestätigt: «Ich war stinksauer auf den Verband.»
Die traditionelle Strombranche ist aus mehreren Gründen verärgert. Der VSE werde der Einführung der Technologie nicht im Wege stehen, sagt die Sprecherin Claudia Egli. «Die Dringlichkeit, mit der die AEE das Thema vorantreibt, ist aber einfach nicht gegeben.» Die wenigsten E-Autos seien für das sogenannte bidirektionale Laden ausgerichtet, die notwendigen Ladestationen seien teuer. Es sei auch störend, dass ein noch nicht einmal in Kraft getretener Gesetzespassus bereits wieder geändert werde. Dies auch darum, weil so keine Vernehmlassung möglich gewesen sei. Dabei ist es laut Egli entscheidend, dass die Prozesse stimmen: «Hier werden Gelder zurückverteilt. Das muss sauber geregelt sein», sagt sie.
Grossen entgegnet, es gehe nur um ein juristisches Detail. «Viel schlimmer ist es, wenn das Gesetz in Kraft gesetzt wird und dann nicht funktioniert.» Und er mahnt, die Technologie entwickle sich rasant. Immer mehr Autobauer machten das bidirektionale Laden möglich, zudem sänken die Kosten für die entsprechend ausgerüsteten Ladestationen schnell.
Wunder Punkt der Branche
Das Manöver der AEE dürfte die traditionelle Strombranche aber auch darum verärgern, weil es einen wunden Punkt trifft. In der Schweiz gibt es fast so viele Stromversorger wie im zehnmal so grossen Deutschland. Viele von ihnen stehen auf die Bremse. Entweder weil sie um ihre Pfründe fürchten. Oder weil sie Angst davor haben, von der ganzen Entwicklung überfordert zu werden. Die Folge: Die Schweiz hat laut Jürg Grossen beim Erheben und beim Teilen von Stromverbrauchsdaten heute einen deutlichen Rückstand gegenüber dem Ausland.
Gleichzeitig verschieben sich im Strommarkt die Gewichte. Mit jedem montierten Solarpanel und jedem verkauften Elektroauto gewinnen die Vertreter der dezentralen und erneuerbaren Energien an politischem Einfluss. «Der VSE repräsentiert heute nicht mehr die ganze Strombranche», sagt ein AEE-Mitglied. Verschärft wird die Situation dadurch, dass gewisse Stromversorger heute Mitglied bei beiden Verbänden sind. Und plötzlich Positionen vertreten, die sich widersprechen.
Als Nächstes wird nun der VSE seine Muskeln spielen lassen. Er ist bereits daran, die vom AEE auf den Weg gebrachte Gesetzesänderung im Ständerat wieder zu kippen.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»