Neben den Branchenführern Eli Lilly und Novo Nordisk drängen zahlreiche neue Akteure auf den Markt, um sich bei der nächsten Generation von Schlankheitsmitteln an die Spitze zu setzen. Wer hat die besten Chancen?
Fast 100 Mrd. $: So viel Börsenwert verlor der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk an dem Tag kurz vor Weihnachten, als er Phase-III-Daten zu seinem experimentellen Adipositas-Medikament CagriSema veröffentlichte. Dabei klangen die Daten auf den ersten Blick gar nicht schlecht: Die Probanden verloren nach 68 Wochen durchschnittlich 22,7% ihres Körpergewichts – ein Ergebnis, das die Wirkung des bisherigen Novo-Abnehmmittels Wegovy deutlich übertraf.
Die harsche Börsenreaktion, von der sich Novo Nordisk bis heute nicht erholt hat, zeigt erstens, wie stark der Konkurrenzkampf im boomenden Markt für Abnehmmedikamente geworden ist, und zweitens, dass es für die Platzhirsche Novo Nordisk und Eli Lilly kein Selbstläufer wird, ihre dominanten Marktpositionen zu verteidigen. Viele der Patente von Novo Nordisk und Eli Lilly laufen ab dem Ende dieses Jahrzehnts aus. Die grosse Frage, was danach kommt und ob die Unternehmen ihren Forschungsvorsprung gegen neue Konkurrenten verteidigen können, ist entscheidend für ihre weitere Wachstumsgeschichte.
Novo und Lilly tüfteln an der nächsten Generation
Warum reagierte die Börse derart harsch? Der erzielte Gewichtsverlust von 22,7% bei Novos CagriSema liegt unter dem Mindestziel von 25% und damit auf dem Niveau, das das Konkurrenzprodukt von Eli Lilly, Zepbound, bereits heute erreicht. Doch das ist nur ein Grund. Markus Manns von der Fondsgesellschaft Union Investment, einem Anteilseigner von Novo Nordisk sowie Eli Lilly, bezeichnete das Ergebnis als «Worst Case», da das Medikament nicht nur schwieriger zu produzieren ist, sondern sich nun nicht einmal als überlegen gegenüber Zepbound erweist. Zudem warfen die Daten Fragen über die Verträglichkeit des Mittels auf.
Der Markt sieht daher sehr genau hin bei der nächsten Generation von Schlankheitsmitteln – und schaut vor allem darauf, ob und wie sich die neuen Medikamente differenzieren können: «Nicht mehr die Wirksamkeit eines Präparats steht zwingend im Vordergrund, sondern zunehmend Faktoren wie Verträglichkeit, Nebenwirkungen, eine einfache Verabreichung oder eine kostengünstige Herstellung», sagt Thomas Heimann, Analyst bei der auf Biotech-Gesellschaften spezialisierten Investmentfirma HBM Partners.
«Ob ein Medikament zu 20 oder 25% Gewichtsverlust führt, ist für die Patienten nicht mehr entscheidend», sagt Lukas Leu, Portfoliomanager beim Healthcare-Spezialisten Bellevue. Umso wichtiger sei es für die Anwärter auf die nächste Generation von Schlankheitsmitteln, sich auf andere Weise differenzieren zu können.
Abnehmpräparate werden immer beliebter
Gemäss Zahlen des US-Research-Unternehmens IQVIA überstiegen die weltweiten Ausgaben für Medikamente gegen Fettleibigkeit (Obesity) im Jahr 2024 erstmals die Marke von 30 Mrd. $, nach 24 Mrd. $ im Vorjahr. Die Schätzungen für die Entwicklung des Marktvolumens bis 2030 variieren stark und reichen von 100 bis 200 Mrd. $. «Einen so schnell wachsenden Markt haben wir im Gesundheitsbereich bisher noch nicht gesehen, und wir stehen erst am Anfang», glaubt Leu, der bei Bellevue den Obesity Solutions Fund managt.
Um sich ein Stück vom lukrativen Kuchen zu sichern, wurden in den letzten Jahren zahlreiche Forschungsprojekte aus dem Boden gestampft, die den nächsten Adipositas-Blockbuster hervorbringen sollen – sowohl von den Platzhirschen Novo und Lilly als auch von anderen Pharma- und Biotech-Unternehmen. Gemäss IQVIA umfasst die weltweite Pipeline für Schlankheitsmittel derzeit rund 156 Wirkstoffe, davon sieben in der letzten Entwicklungsphase 3.
Der Grossteil davon (20%) konzentriert sich auf GLP-1-Agonisten, die den Appetit zügeln und auch in den aktuellen Verkaufsschlagern Wegovy (Novo) und Zepbound (Lilly) enthalten sind. Doch es gibt eine Fülle anderer Ansätze, wie z.B. das Hormon Amylin, das, statt den Appetit zu zügeln, die Sättigung beschleunigen soll, sowie zahlreiche Kombinationen verschiedener Wirkstoffe.
Bei der Verabreichung gibt es weniger Möglichkeiten: Das Medikament wird entweder gespritzt oder in Tablettenform eingenommen. Bemerkenswert ist jedoch, dass fast die Hälfte der Wirkstoffkandidaten (43%) auf eine orale Einnahme abzielt. Die Zukunft der Schlankheitsmittel liegt also nicht nur in der berühmten Abnehmspritze, sondern auch in der Pille.
Novo Nordisk und Eli Lilly – und ihre Verfolger
Wer hat die Nase vorn im Kampf um die grössten Kuchenstücke auf dem Obesity-Markt von Morgen? Für HBM-Analyst Heimann geht es für die Wettbewerber jetzt darum, relativ schnell auf den Markt zu kommen. «Zudem müssen sich die Medikamente klar von den bestehenden differenzieren können.»
Was die Geschwindigkeit angeht, stehen Novo und Lilly in der Pole Position. Die folgende (nicht vollständige) Timeline von Morningstar zeigt die wichtigsten (erwarteten) Markteinführungen von GLP-1 und Kombinationspräparaten. Als nächstes wird im Lauf dieses Jahres die Einführung der ersten GLP-1-Pille überhaupt, Rybelsus von Novo Nordisk, erwartet. Das orale Präparat mit dem Wirkstoff Semaglutid ist allerdings zunächst nur für die Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen.
Als wichtiger gilt das orale GLP-1 Orforglipron von US-Konkurrent Eli Lilly, das 2026 auf den Markt kommen soll. Das Medikament befindet sich in Phase-III-Studien zur Behandlung von Adipositas und Typ-2-Diabetes. Ergebnisse werden für August 2025 erwartet. Obwohl die Wirkung in den ersten Studien mit einem Gewichtsverlust von knapp 15% in 36 Wochen geringer war als bei der Injektion von Zepbound, könnte die orale Verabreichung von einigen Patienten bevorzugt werden, die dafür eine etwas geringere Wirkung in Kauf nehmen.
«Die Ergebnisse von Orforglipron werden für die gesamte Industrie von grosser Bedeutung sein, da sie Aufschluss darüber geben, ob GLP-1-Präparate in Tablettenform und auf Basis von niedermolekularen Wirkstoffen, also Small Molecules funktionieren», sagt Leu. Das ist nämlich ein weiterer Vorteil von Orforglipron: Small Molecule können vergleichsweise günstig hergestellt werden. Sogenannte kleine Moleküle sind organische Verbindungen mit einem relativ geringen Molekulargewicht. Aus Schweizer Sicht unglücklich: Roche schlug 2018 die Möglichkeit aus, Orforglipron (damals noch unter dem Namen OWL833) von der japanischen Tochter Chugai zu übernehmen und weiterzuentwickeln – stattdessen griff Eli Lilly zu und zahlte dafür lediglich 50 Mio. $.
Zealand Pharma: erster Verfolger mit marktreifer GLP-1-Spritze?
Ebenfalls für 2026 wird die Markteinführung des bereits erwähnten Kombinationsmedikaments CagriSema von Novo Nordisk erwartet. Spannender ist jedoch die Schlankheitsspritze Survodutide von Zealand Pharma, die die Dänen zusammen mit dem deutschen Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim ebenfalls 2026 auf den Markt bringen könnten.
Dabei handelt es sich um eine Kombination aus einem GLP-1- und einem Glucagon-Agonisten. Während Ersterer den Blutzuckerspiegel und den Appetit senkt, fördert letzterer den Energieverbrauch und die Fettverbrennung. In Phase-II-Studien zeigte Survodutide mit einem Gewichtsverlust von 18,7% in 46 Wochen eine stärkere Wirkung als Wegovy von Novo Nordisk. Survodutide könnte sich aber vor allem durch seine positive Wirkung gegen Fettleberentzündung (Mash) von anderen Medikamenten abheben.
Gemäss Bank of America leiden 10 bis 30% aller Fettleibigen unter einer Leberverfettung. Handkehrum sind 85% aller Mash-Patienten adipös. Die Analysten rechnen mit einem Spitzenumsatz von 6 Mrd. $, wovon zwar ein Grossteil an Boehringer gehen dürfte, an die Zealand das Medikament auslizenziert hat und dafür Lizenzgebühren sowie Meilensteinzahlungen erhält. «Eine Zulassung würde aber die Glaubwürdigkeit der Forschung von Zealand Pharma stärken», ist Leu überzeugt.
Das US-Biotech-Unternehmen Altimmune forscht ebenfalls an einem GLP-1/Glucagon-Dualrezeptor-Agonisten. Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Phase-II-Studie und einer positiven Entscheidung der US-Arzneimittelbehörde FDA im November 2024 plant Altimmune nun eine Phase-III-Studie. Die Markteinführung des ersten Medikaments wird für 2027 erwartet.
Amylin: das bessere GLP-1?
Zealand Pharma, die The Market bereits Anfang 2024 empfohlen hatte und die Empfehlung jüngst bekräftigte, ist deshalb ein spannender Investment Case, weil sie in der Amylin-Technologie als führend gilt. Amylin ist genau wie GLP-1 ein Hormon, das im Körper eine Rolle bei der Regulation von Stoffwechselprozessen spielt.
Leu sieht im Amylin-Ansatz neben einem deutlich besseren Nebenwirkungsprofil weitere gewichtige Vorteile gegenüber GLP-1-Medikamenten. GLP-1 zügle den Appetit, was eigentlich nicht wirklich attraktiv sei, sagt Leu. «Schliesslich will man sich ja nach wie vor auf ein gutes Essen mit Freunden freuen.» Amylin dagegen zügelt den Appetit nicht, sondern sorgt dafür, dass die Sättigung früher eintritt. Die Vorfreude auf ein gutes Essen bleibt also bestehen.
Zealand Pharma forscht unter anderem an dem Amylin-Präparat Petrelintide, das sich nach ersten Studien durch geringere Nebenwirkungen gegenüber GLP-1-Präparaten auszeichnen könnte. Ende 2024 startete Zealand eine Phase-II-Studie. Deren Ergebnisse werden Ende dieses Jahres erwartet.
Mit Spannung wird auch erwartet, ob sich die Hinweise bestätigen, dass Petrelintide auch gegen Muskelschwund hilft – eine weitere Nebenwirkung, die häufig bei Schlankheitsmitteln beobachtet wird. Laut BofA-Analysten führen GLP-1-Medikamente zu einem Muskelabbau von 25 bis 40%, was vor allem bei älteren Patienten problematisch sein kann.
Gemäss Heimann hat Amylin das Potenzial, aufgrund der besseren Verträglichkeit und der positiven Wirkung auf den Muskelschwund eine bedeutende Alternative zum GLP-1-Ansatz zu werden. Neben Zealand Pharma sieht er in diesem Feld die ebenfalls dänische Gubra gut positioniert. «Deren Kandidaten befinden sich jedoch noch im Frühstadium.» Immerhin: Im November publizierte Gubra vielversprechende klinische Phase-1-Daten zum Adipositas-Hoffnungsträger GUBamy.
Auch Structure Therapeutics aus Kalifornien entwickelt einen oralen Amylin-Rezeptor-Agonisten, der in präklinischen Studien vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich Gewichtsreduktion und Sicherheit gezeigt hat. Das Unternehmen konzentriert sich auf Medikamente in Pillenform und dabei auf die leichter herstellbaren kleinen Moleküle.
«Ein Erfolg von Small Molecules im Bereich Adipositas würde dem Markt entgegenkommen, weil somit mengenmässig viel mehr Patienten versorgt werden könnten», sagt Leu. Der wichtigste Kandidat von Structure ist ein GLP-1-Agonist (GSBR-1290), für den Structure im November eine Phase-2b-Studie gestartet hat. Ergebnisse werden im vierten Quartal erwartet, eine Markteinführung könnte 2028 folgen.
Big Pharma will nachziehen und investiert Milliarden
Auch Big Pharma will mitmischen. Pfizer entwickelt mit Danuglipron ein GLP-1-Small Molecule, das per Pille verabreicht werden soll. In der zweiten Hälfte des Jahres 2025 will der US-Konzern eine Phase-III-Studie starten. Analysten sind sich bei Pfizer jedoch uneinig: CEO Albert Bourla scheint fest entschlossen, Marktanteile auf dem Markt für Schlakheitsmittel gewinnen zu wollen, aber seine Strategie wird von vielen als übereilt angesehen.
Auch der Schweizer Pharmariese Roche hat sich einen Obesity-Kandidaten ins Haus geholt. CEO Thomas Schinecker spricht beim Portfolio von Carmot Therapeutics, das Roche Ende 2023 für 2,7 Mrd. $ übernommen hat, stets von einem «Best-in-Class»-Potenzial, insbesondere bei der Fett-weg-Spritze (CT-388).
Die ersten GLP-1-Medikamente gegen Fettleibigkeit von Roche werden 2028 erwartet. Die ersten Phase-1-Daten zeigten teilweise erhöhte Nebenwirkungen bei Patienten, was jedoch in der frühen Entwicklungsphase, in der noch mit der Dosierung experimentiert wird, nicht ungewöhnlich ist. Die Titel hatten einen guten Start ins 2025 und gehören zu den Aktienfavoriten von The Market für das laufende Jahr – wenn auch nicht primär wegen der Obesity-Fantasie.
AstraZeneca erforscht einen Amylin-Agonisten zur wöchentlichen Injektion, der sich in einer Phase-IIb-Studie befindet. Das Unternehmen präsentierte Ende 2024 auf der ObesityWeek 2024 in San Antonio, Texas, Ergebnisse, die Leu jedoch nicht überzeugten. «Das Medikament dürfte sich kaum differenzieren.»
Einen Rückschlag musste zuletzt Amgen hinnehmen. Deren Hoffnungsträger gegen Fettleibigkeit, MariTide, führte in einer Phase-II-Studie bei Patienten zwar zu einem Gewichtsverlust von 20%, allerdings mit starken Nebenwirkungen. Das Mittel könnte bereits 2027 auf den Markt kommen, an der Börse werden jedoch Zweifel laut, ob sich das Medikament differenziert. Seit der Veröffentlichung der Daten im November steht die Aktie unter Druck.
Ein weiterer Name, der im Bereich Adipositas immer wieder auftaucht, ist Viking Therapeutics. Ihr führender Wirkstoffkandidat (VK2735) ist ein dualer GLP-1- und GIP-Rezeptor-Agonist. GIP ist ein weiteres Hormon, das Nervenzellen im Gehirn hemmt. Diese Kombination hat sich bereits beim Kassenschlager Mounjaro von Eli Lilly bewährt.
Viking forscht bei VK2735 sowohl an einer oralen Formulierung als auch an einer Abnehmspritze. «Bei beiden Formulierungen sind die ersten Ergebnisse überzeugend», sagt Leu. Ihr Nachteil sei allerdings die hohe Dosierung, die derzeit noch nötig sei. «Diese muss Viking senken, um sich von anderen Medikamenten differenzieren zu können.» Erste Medikamente von Viking werden für 2028 erwartet.
Auf wen sollen Anleger nun setzen?
Sowohl Eli Lilly als auch Novo Nordisk werden auch bei der nächsten Generation von Schlankheitsmitteln eine wichtige Rolle spielen. Ihren zeitlichen Forschungsvorsprung kann ihnen niemand mehr nehmen – ihre Pipelines sind prall gefüllt mit vielversprechenden Kandidaten. Auch Novo Nordisk hat nach dem letzten Rücksetzer im Dezember mit Erfolgsmeldungen über ihren Wirkstoff Amycretin zuletzt wieder Hoffnung bei den Anlegern geweckt.
Bei den Verfolgern setzt The Market vor allem auf Zealand Pharma. Die Dänen dürften als erste jenseits der Platzhirsche ein Medikament auf den Markt bringen. Zudem ist das Unternehmen führend in der Amylin-Technologie, die gemäss einigen Experten eine bedeutsame Alternative zur GLP-1-Verfahrensweise werden könnte.
Sowohl Zealand als auch andere Verfolger wie Structure Therapeutics, Gubra, Viking Therapeutics oder Altimmune sind zudem attraktive Übernahmeziele für Big Pharma. Die grossen Unternehmen sitzen auf hohen Cash-Beständen und müssen angesichts drohender Patentklippen investieren. Zudem dürfte die Ankündigung Donald Trumps, die amtierende Chefin der Wettbewerbsbehörde FTC, Lina Khan, durch Andrew Ferguson zu ersetzen, den Übernahmemarkt beleben. Ferguson gilt als relativ offen für Fusionen (mehr dazu hier).