Die Eskapaden des Unternehmers scheinen sich auf den Kurznachrichtendienst auszuwirken. Global gesehen sieht es allerdings anders aus.
Die Verkaufszahlen des Autoherstellers Tesla haben sich jüngst in Europa im freien Fall befunden, und auch die Nutzerzahlen des Kurznachrichtendienstes X sind rückläufig. Mit beiden Gesellschaften ist der Unternehmer Elon Musk geschäftlich verbunden: Bei Tesla ist er Chef und Minderheitsaktionär, X befindet sich mehr oder weniger in seinem Privatbesitz.
Im Zeitraum zwischen April und September 2024 hatte X in der EU monatlich im Durchschnitt 105 Millionen Nutzer. In den sechs Monaten darauf bis Ende März belief sich ihre Zahl auf 95 Millionen, sie ist also um rund 10 Prozent gesunken.
Am grössten war der Rückgang in Polen (–20 Prozent) und in Frankreich, dem grössten europäischen Markt von X (–13 Prozent). Unterdurchschnittlich schrumpften die Nutzerzahlen in Deutschland mit –8 Prozent.
Diese Angaben finden sich im halbjährlich erscheinenden Bericht zur Digital Services Act (DSA), einem Gesetz der EU. Es schreibt unter anderem vor, wie grosse Plattformbetreiber mit hasserfüllten Nachrichten und Falschmeldungen umzugehen haben.
Musk mischt sich in Wahlkämpfe ein
Musk hatte sich mit seinem Verhalten in Europa jüngst viele Feinde geschaffen. Manche Bürger nahmen es ihm etwa übel, dass er sich in nationale Wahlkämpfe einmischte und dabei jeweils weit rechts politisierende Kandidaten unterstützte, in Deutschland etwa die Co-Chefin der AfD, Alice Weidel.
Darüber hinaus gibt es grundsätzliche Vorwürfe gegen X: Der Kurznachrichtendienst sei zu lasch, wenn Nutzer verbotene Aussagen oder irreführende Nachrichten verbreiteten, vermutet die EU. Sie hat dazu im Dezember 2023 eine Untersuchung begonnen, deren Ergebnis noch aussteht.
Musk glaubt dagegen, dass die EU mit ihren Auflagen die Meinungsfreiheit beschneide. Vertreter der amerikanischen Regierung behaupten Ähnliches, und die Frage, wie die EU mit X umgehen soll, ist so eine hochpolitische Angelegenheit geworden.
Die EU nutzt X weiterhin
Einige europäische Organisationen haben sich als Folge von Musks Eskapaden von X als Kommunikationskanal abgewendet. Manche französische Nichtregierungsorganisationen, unter ihnen Greenpeace, nutzen ihn zum Beispiel nicht mehr. Das haben sie im Januar in einer gemeinsamen Aktion bekanntgegeben. Auch das deutsche Verteidigungsministerium will auf dem Kanal auf absehbare Zeit nicht mehr «proaktiv» posten. Zurückgezogen haben sich schliesslich gewisse Universitäten und Medien.
Die EU allerdings hat keine Absicht, diesen Schritt ebenfalls zu vollziehen. Trotz allen Konflikten mit Musk nutzt sie X weiterhin – neben vielen anderen sozialen Netzwerken. X hat eine zu grosse Reichweite, als dass die EU den Dienst ignorieren könnte.
Zudem stellt es eine diplomatische Gepflogenheit dar, dass Staatschefs und Minister auf X antworten, wenn sie auf diesem Kanal von ihrem politischen Gegenüber angesprochen werden. Auch das macht die Präsenz bei X für grosse Organisationen beinahe unerlässlich.
Allerdings bucht die EU-Kommission seit dem Oktober 2023 keine bezahlten Inhalte mehr auf X. Damit reagierte sie auf Hass-Tweets und terroristische Desinformation, die Nutzer nach dem Angriff der Hamas auf Israel in dem Netzwerk absonderten.
X wächst weltweit weiter
Ohnehin sagen die monatlichen Nutzerzahlen in der EU nur beschränkt etwas darüber aus, wie attraktiv X weltweit für die Werbewirtschaft und die Nutzer ist. Weniger europäische Besucher ist das eine, aber möglicherweise besuchen die übrigen den Kanal häufig und intensiv.
Zudem scheint es, als ob X weltweit betrachtet seine Reichweite noch zu steigern vermag. Jüngst lag die Zahl der monatlichen Nutzer bei 650 Millionen, rund 10 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Der Rückgang in Europa spiegelt daher auch ein wenig, wie sich der Kontinent und die USA entfremdet haben.
Die Konkurrenten von X sind zudem weiterhin um ein Vielfaches kleiner als der Marktführer. Bluesky zum Beispiel hat 35 Millionen monatliche Nutzer.
Es ist gut möglich, dass gewisse Nutzer «ihr» Netzwerk zunehmend nach ihrer weltanschaulichen Einstellung wählen: Wem Musk zu extrem ist, der wechselt den Kanal und geht zu einem der neueren Anbieter. Die Netzwerke würden dadurch wohl aber ein bisschen weniger «sozial».