Freitag, Oktober 18

Bereits am 5. Juni könnte der nächste Testflug von Starship erfolgen. Die Entwicklung der Trägerrakete mit 150 Tonnen Transportkapazität kommt extrem schnell voran. Und mit ihr die Weltraumwirtschaft, die Experten als nächste industrielle Revolution bezeichnen.

Diese Woche könnte Elon Musk seinem Ziel, den Mars zu besiedeln, wieder ein paar hundert Kilometer näherkommen: Wenn alles nach Plan läuft, findet am Mittwoch der vierte Teststart von Starship statt, der grössten Rakete, die die Menschheit je ins All geschickt hat. Sie ist 120 Meter lang und 9 Meter breit.

Dieses Superraumschiff wirke von innen wie eine Kathedrale, findet Musk, der als Jugendlicher Bücher wie «Per Anhalter durch die Galaxis» verschlang. Seine zahlreichen Kritiker sehen in Starship eher ein gigantisches Phallussymbol. Musks übergrosse Ambitionen und das Gerede vom Mars seien absurd.

Produktion im Weltall

Im Gegensatz dazu zeigen sich Fachleute und Investoren äusserst beeindruckt. Und überzeugt davon, dass Musks Unternehmen SpaceX für die Menschheit schon heute wichtiger ist als seine Firma Tesla, immerhin Wegbereiterin der E-Mobilität. Das Wort der Stunde heisst Weltraumökonomie, und es geht bei weitem nicht nur darum, noch mehr Satelliten in eine Umlaufbahn zu befördern.

«Die Geschwindigkeit der Entwicklung ist so rasant, dass es mich nicht überraschen würde, wenn Starship-Raumschiffe bereits Ende nächstes Jahr erste orbitale Transporte durchführen werden können», sagt Oliver Ullrich, Direktor des Innovation Cluster Space and Aviation der Universität Zürich. «Damit würde SpaceX einen entscheidenden Flaschenhals beseitigen, der im Moment einer neuen industriellen Revolution noch im Weg steht – einer Produktion im Weltall.»

Die Starship-Rakete kann eine Fracht von bis zu 150 Tonnen in den erdnahen Orbit befördern – was es erlaubt, dort in Zukunft Fabriken zu errichten. Das kann sich, so unglaublich es tönt, rechnen: Auf der Erde sei die Herstellung verschiedener Hightech-Produkte aufgrund der Schwerkraft sehr aufwendig und störanfällig, sagt Ullrich.

Schon heute eine 630-Milliarden-Dollar-Branche

Zum Beispiel die Produktion von Halbleitern oder Glasfasern. Oder die Züchtung von menschlichem Gewebe, das aufgrund seiner dreidimensionalen Struktur mit speziellen Stützen versehen werden muss. «Auf einer Orbitalbahn im Weltall, wo Schwerelosigkeit herrscht, gelingt das einfacher, zuverlässiger und in höherer Qualität.»

Das Potenzial der Weltraumwirtschaft, die Musk mit seinen wöchentlichen Raketenstarts des Typs Falcon entfesselt hat, ist riesig. Diese soll von heute 630 Milliarden Dollar bis auf 1800 Milliarden Dollar im Jahr 2035 anwachsen. Das erwarten das WEF und die Beratungsfirma McKinsey in einem neuen gemeinsamen Bericht. Die menschliche Aktivität im Weltraum «beschleunigt sich in einem noch nie da gewesenen Tempo», schreiben die Studienautoren.

Es ist also gut möglich, dass Space das nächste Hype-Thema wird – wenn der Enthusiasmus für KI einmal erlahmt.

Auch innerhalb von Musks Firmenuniversum verschieben sich die Gewichte langsam, aber sicher: SpaceX hat gemäss Bloomberg bereits einen Unternehmenswert von 200 Milliarden Dollar. Diese Zahl beruhe auf dem Preis, zu dem Angestellte und Risikokapitalgeber ihre SpaceX-Aktien vermutlich bald an Dritte verkaufen dürfen.

200 Milliarden Dollar Firmenwert

SpaceX brauche kein neues Kapital, es gehe lediglich darum, dass bestehende Investoren Kasse machen könnten, so Bloomberg. Die 200 Milliarden Dollar vergleichen sich mit Teslas Börsenwert von rund 550 Milliarden Dollar.

Das Wertsteigerungspotenzial ist beträchtlich, denn die neue Superrakete Starship stellt im Urteil von Experten wie Ullrich «einen monumentalen Sprung in der Raumfahrttechnologie dar». Sie habe das Potenzial, die Kosten für den Zugang zum Weltraum drastisch zu senken.

Seine Fähigkeit, bis zu 150 Tonnen Fracht in den erdnahen Orbit zu befördern, und seine vollständige Wiederverwendbarkeit, werden kleineren Unternehmen und Ländern die Türen zur Weltraumwirtschaft öffnen, indem sie die Kosten um schätzungsweise das Zwanzigfache senkten. «Mit dem Starship könnte der Transport in den unteren Erdorbit dereinst kaum mehr kosten als ein Expresspaket nach Amerika», sagt Ullrich.

Bevor sich Elon Musk den Zugang in die Raumfahrtbranche mit der Brechstange öffnete, war diese fest in der Hand von staatlichen Agenturen, allen voran die Nasa in den USA und die ESA in Europa. Sie arbeiteten primär mit grossen Unternehmen wie etwa Boeing zusammen, die sich sklavisch an die vielen staatlichen Vorschriften hielten.

Dann kam Musk und forderte seine Ingenieure ausdrücklich dazu auf, sämtliche Auflagen bloss als Empfehlungen zu behandeln. Die einzigen Gesetze, die er gelten lässt, sind die Gesetze der Physik.

«Move fast, blow things up, repeat»

Bei der Entwicklung seiner Raketen nimmt Musk gerne deren Explosion in Kauf, wenn er dadurch die Lernkurve beschleunigen kann. Sein Biograf Walter Isaacson bringt das in der Formel auf den Punkt: «Move fast, blow things up, repeat.»

In den USA habe man diese «Fail Forward»-Philosophie von SpaceX verstanden und feiere die grossen Fortschritte, die mit jedem Test erzielt würden, sagt Ullrich. «Im Gegensatz dazu spiegelt die Skepsis der deutschsprachigen Medien eine völlig konservative Sichtweise auf technologische Entwicklung und Scheitern wider.»

Es zeichnet sich ab, dass Europa – das sich viel auf sein Raumfahrt-Know-how einbildet – spät auf diesen Schnellzug aufspringt. SpaceX hat sich bereits eine dominante Position gesichert.

Davon zeugt auch dessen Dienst Starlink, der ein Netz aus über 5000 eigenen Satelliten betreibt, die auch entlegene Gebiete mit schnellem Internet versorgen – und zwar zu durchaus erschwinglichen Preisen. Auch in der Schweiz kann man Starlink nutzen, zu 50 Euro pro Monat – dafür bekommt man bei Swisscom nicht einmal das am wenigsten leistungsfähige Glasfaser-Abo.

Auch andere amerikanische Unternehmen wie Blue Origin des Amazon-Gründers Jeff Bezos – der grosse Gegenspieler von Musk – bauen eigene Raketen. Blue Origin steht SpaceX zumindest punkto Ambitionen in nichts nach. Die Firma wurde «mit der Vision gegründet, dass Millionen von Menschen zum Nutzen der Erde im Weltraum leben und arbeiten».

Mehrere Projekte für private bemannte Raumstationen

Gleichzeitig gibt es eine Reihe von Projekten für private bemannte Raumstationen, welche die Internationale Raumstation in ein paar Jahren ablösen sollen. Während Starlab ein transatlantisches Joint Venture zwischen Airbus und Voyager Space ist, handelt es sich bei Axiom und Orbital Reef um rein amerikanische Vorhaben.

All diese Projekte fokussierten nicht allein auf Forschung und Entwicklung, sondern auch auf die Produktion, sagt Ullrich.

Obwohl die Musik derzeit vor allem in den USA spielt, ist er optimistisch gestimmt, was die heimische Forschung und das hiesige Unternehmertum anbelangt: «Als Hochtechnologie-Land und globale Nummer eins in Innovationen und Talent sehe ich die Schweiz extrem gut aufgestellt, von der wirtschaftlichen Nutzung des erdnahen Orbits zu profitieren.» Denn in dieser kommenden Ära zählten nicht die Grösse eines Landes und die Grösse des Staatssektors, sondern Unternehmergeist, Freiheit, Eigenverantwortung, Mut und Wissen.

Dabei schadet es sicher nicht, dass die Schweiz schon seit langem Mitglied der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) ist. Von deren Know-how und Kapital profitieren Firmen wie der Westschweizer Satellitenbauer Swissto12. Dieser integriert nicht nur Komponenten von Drittanbietern, sondern stellt zentrale Teile für seine Satelliten gleich selbst her – mit 3-D-Druckern.

Die ETH Zürich, die den früheren Nasa-Forschungschef Thomas Zurbuchen als Professor und Aushängeschild verpflichten konnte, betreibt zusammen mit der ESA einen Inkubator für Jungfirmen im Bereich Space.

Raumfahrt als Leuchtturm-Bereich

Auch der Kanton Zürich hat die Zeichen der Zeit erkannt und im April per Regierungsratsbeschluss die Raumfahrt zu einem von drei Leuchtturm-Bereichen für den Innovationsstandort Greater Zurich Area erkoren.

Der Innovationspark in Dübendorf sei ein erstklassiger Standort für Forschung, Entwicklung und Innovation, sagt Ullrich. Der Space Hub der Universität Zürich ist dort kürzlich in den Hangar 4 umgezogen.

Dies sei ein erster strategischer Schritt zur Schaffung einer zentralen Drehscheibe für Raum- und Luftfahrttechnik, die etablierte Branchenführer, KMU und innovative Startups willkommen heisse, freut sich Ullrich. Diese Chance müsse man jetzt auch nutzen. «Das sind wir unserer nächsten Generation schuldig, die mit Space aufwachsen wird wie wir heute mit dem Internet.»

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