Freitag, November 1

Antoine D’Agata / Magnum

Nicht Verlangen, sondern Vergnügen sei der Weg zu einem erfüllten Sexleben – auch in langen Beziehungen. Das sagt die Psychologin Emily Nagoski. Und: Wir müssten verstehen, wieso wir überhaupt Sex haben.

Emily Nagoski hat in ihrem Kopf die vielleicht weltgrösste Sammlung an wissenschaftlichen Erkenntnissen über Sex angehäuft. Wenn sie darüber reden darf, lacht und jauchzt, ja jubelt sie fast schon. Sex ist ihr Leben, seit sie neben ihrem Psychologiestudium eine Ausbildung zur Sexualpädagogin begann. Eine Frage liess sie dabei nie mehr los: Wieso haben wir überhaupt Sex?

Die Frage klingt banal. Sind wir nicht einfach Tiere, gesteuert von einem Sexualtrieb, den gesellschaftliche Konventionen mehr schlecht als recht unter Kontrolle gebracht haben? Nein, sagt Nagoski, die Antwort sei komplizierter. Denn: Wir verstünden Verlangen und Lust komplett falsch.

2015 schrieb Nagoski ein erstes Buch und räumte mit zahlreichen Mythen über die weibliche Sexualität auf. «Come As You Are» wurde ein «New York Times»-Besteller, auf der Amazon-Bestenliste der Bücher über Sex steht es bis heute auf dem zweiten Rang.

Nun hat sie noch einmal Studien und Experimente durchforstet und ein weiteres Buch geschrieben, um eine Frage zu beantworten, die beide Geschlechter beschäftigt: Wie gelingt es, in einer langen Paarbeziehung ein gutes Sexualleben aufrechtzuerhalten? Und was bedeutet das überhaupt? Die Frage liegt für eine Sexualwissenschafterin auf der Hand. Aber der Antrieb, «Come Together» zu schreiben, war für Nagoski auch ein ganz persönlicher.

In Ihrem ersten Buch, «Come As You Are», erklären Sie, wie Sexualität funktioniert, wie unser Hirn Erregung und Lust erzeugt und verarbeitet. In Ihrem zweiten Buch erzählen Sie, Ihnen sei dabei etwas Merkwürdiges passiert.

Genau. Als ich «Come As You Are» schrieb, verlor ich komplett die Lust auf Sex.

Weil zu viel Reden oder Nachdenken über Sex die Leidenschaft tötet?

Nein! Ich habe seit meinem 18. Lebensjahr fast jeden Tag über Sex gesprochen, nachgedacht und geschrieben. Es war also nicht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sex, die die Leidenschaft getötet hat. Es war der Stress, ein Buch zu schreiben. Ich hatte noch nie zuvor ein Buch geschrieben, hatte keine Ahnung, ob ich es gut mache, und verspürte enormen Druck. Schliesslich glaubte ich, dass es das einzige Buch sein könnte, das ich jemals schreiben würde.

Wie haben Sie sich dabei gefühlt, angesichts der Tatsache, dass Sie gerade über guten Sex ein Buch schrieben?

Ich wusste zumindest rational, dass Stress das Verlangen nach Sex häufig reduziert. Ich dachte, das sei in Ordnung, ich würde das Buch fertig schreiben und dann werde es besser. Dann ging ich auf Lesetour – und es wurde noch viel schlimmer.

Was haben Sie gemacht?

Ich versuchte, meinem eigenen Rat aus «Come As You Are» zu folgen. Ich legte mich mit meinem Partner ins Bett und liess meine Haut die Haut meines Partners berühren. Mein Körper hätte dann sagen sollen: «Oh ja, das mag ich! Ich mag diese Person wirklich, das ist eine grossartige Idee!» Aber stattdessen begann ich zu weinen und schlief ein. Also brauchte ich mehr Rat. Ich tat, was jeder gute Sex-Nerd tun würde: Ich öffnete Google Scholar und suchte alle Peer-reviewten Arbeiten zu der Frage, wie Paare eine starke sexuelle Verbindung aufrechterhalten.

Für die meisten Leute wäre das nicht unbedingt der logischste Schritt. Was haben Sie herausgefunden?

Was ich dort las, widersprach allem, was gemeinhin über Sex in Langzeitbeziehungen gesagt wird.

Zum Beispiel?

Es gibt ja diese Erzählung, dass zu viel emotionale Nähe die Lust auf Sex töte. Zu Beginn einer Beziehung verspüren wir ja alle diese heisse und leidenschaftliche Energie, dieses «Ich kann es kaum erwarten, meine Zunge in deinen Mund zu stecken»-Gefühl. Aber je länger wir zusammen sind, desto mehr verschwindet das. Diese Erzählung akzeptieren wir, als wäre sie ein Naturgesetz.

Die Paartherapeutin Esther Perel sagt, man müsse in einer Beziehung etwas emotionale Distanz aufrechterhalten, damit das sexuelle Verlangen nach dem Partner am Leben bleibe.

Es gibt inzwischen auch viele Sexualtherapeuten, die da widersprechen. Sie sagen, dass man eben gerade diese emotionale Nähe brauche, um die Leidenschaft aufrechtzuerhalten. In meiner Recherche lernte ich, dass sie recht haben: Paare, die über lange Zeit grossartigen Sex haben, reden nicht von «Funken» oder «Leidenschaft» oder «Verlangen». Diese Paare sprechen stattdessen über «Vergnügen», «Authentizität», «Spass» und «Neugierde auf den Partner».

Das Naturgesetz von der immer sexloser werdenden Langzeitbeziehung ist also falsch?

Ich bestreite nicht, dass man zu Beginn diese Leidenschaft verspürt und sie danach abnimmt. Dann steht man vor einer Entscheidung: Soll man einfach akzeptieren, dass man als Paar jetzt nicht mehr so sexuell ist und «nur» noch händchenhaltend bei Sonnenuntergang am Strand sitzt? Oder investiert man Zeit, Energie und vielleicht auch Geld, um den Funken wieder zu entfachen, dieses spontane Verlangen zurückzuerlangen? Aber schon diese Frage ist falsch gestellt. Diese vermeintliche Energie, das spontane Verlangen, ist gar nicht der Massstab für eine grossartige sexuelle Verbindung.

Sie reden jeweils von Vergnügen, Verlangen und Erregung. Vergnügen scheint mir einleuchtend: Das, was ich tue, bereitet mir Vergnügen. Verlangen verstehen Sie als: Ich will etwas. Und Erregung ist rein physiologisch.

Dank den Neurowissenschaften wissen wir, dass diese Prozesse getrennt sind. Erregung ist nur eine körperliche Reaktion, also höherer Blutfluss, höhere Herzfrequenz, stärkere Muskelentspannung.

Im Alltag verwenden wir diese Begriffe eher zufällig. Aber ist das so schlimm?

Wenn wir sie vermischen, richtet das grossen Schaden an. Es gibt zum Beispiel einen typischen Mythos über sexuelle Übergriffe: Wenn der Körper einer Person mit Erregung reagiere, bedeute dies, dass diese Person «wolle» oder «möge», was passiere. Das ist, ich will es noch einmal betonen, ein Mythos. Wenn der Körper einer Person reagiert, bedeutet das, dass etwas sexuell Relevantes passiert; es sagt uns nicht, ob die Person diese sexuelle Stimulation will oder mag. Nur die betreffende Person selbst, nicht ihre Genitalien, kann uns sagen, was sie will oder mag.

Sie bestehen aber auch noch darauf, zwei Arten von Verlangen zu unterscheiden.

Wir unterscheiden zwischen responsivem und spontanem Verlangen. Spontanes Verlangen entsteht, wenn wir Vergnügen antizipieren, während responsives Verlangen eine Reaktion auf Vergnügen ist. Also, Sie stellen sich zum Beispiel vor, wie es sein wird, mit einer Person Sex zu haben, und der Gedanke an diesen Akt, von dem Sie annehmen, dass er Vergnügen bereiten wird, erregt sie. Responsiv ist es hingegen, wenn Sie beispielsweise von dieser Person massiert werden und dieses Gefühl auf der Haut Ihnen so viel Vergnügen bereitet, dass es Verlangen nach Sex auslöst.

Das spontane Verlangen erleben wir vor allem zu Beginn einer Beziehung?

Und nachher jagen es die Leute, als wäre es das Allheilmittel. Aber die Wissenschaft sagt: Es ist nicht der Schlüssel zu einem erfüllten Sexualleben.

Was dann?

Vergnügen ist der Schlüssel. Pleasure is the measure.

Was bedeutet das?

Es geht nicht darum, wie oft Sie Sex haben oder wie viele Orgasmen Sie haben. Einen Orgasmus erreichen die meisten Menschen durch Selbstbefriedigung sowieso zuverlässiger. Das Entscheidende ist, ob Ihnen der Sex, den Sie haben, gefällt.

Finde ich ziemlich offensichtlich.

Gut für Sie. Der Hauptgrund, warum Paare eine Sexualtherapie machen, ist, dass der eine Partner häufiger Sex möchte als der andere. In der Therapie stellt sich dann heraus, dass viele dieser Paare den Sex in ihrer Beziehung gar nicht geniessen. Oder dass zumindest einer der beiden den Sex, den sie haben, nicht wirklich mag. Und es ist keine psychische Störung, keinen Sex zu wollen, den man nicht mag.

Vielleicht hat der eine Partner einfach ein grösseres sexuelles Verlangen?

Das kann schon sein. Aber die Idee vom Sex-Drive, der uns quasi kontrolliert, ist zu einfach. Das Verlangen nach Sex ist bei allen Menschen vom Kontext abhängig.

In Ihrem ersten Buch haben Sie dies als dualen Mechanismus in unserem Gehirn beschrieben: Wir besitzen eine Art Gaspedal und eine Bremse, die jeweils registrieren, was uns an- oder abtörnt. Wenn unser Hirn mehr Dinge wahrnimmt, die auf die Bremse drücken, sind wir blockiert.

Genau. Es gibt Menschen, bei denen das Gaspedal besonders empfindlich ist. Für sie ist es leichter, Sex zu priorisieren, weil es generell weniger Stimulation braucht. Schon der Gedanke an Sex kann reichen, um Verlangen zu erzeugen. Aber viele Menschen, gerade viele Frauen, haben in ihrem Alltag zu wenige Reize, die auf das Gaspedal drücken, und zugleich zu viel Stimulation der Bremse.

Sie zählen im Buch eine lange Reihe von Dingen auf, die auf Gaspedal oder Bremse drücken können. Manche Sachen scheinen mir in ihrer Funktionsweise logisch. Etwa ein Geruch, der uns an jemanden erinnert, vielleicht an unsere Eltern, und deswegen auf die Bremse drückt. Oder der Gedanke: Ach, ich müsste noch den Abwasch machen. Oder: Verdammt, das Bett ist so laut, es wird die Nachbarn oder die Kinder aufwecken . . .

. . . generell Stress, das war ja auch bei mir der Fall, als ich das Buch schrieb. Oder wenn Sie sich in Ihrem Körper nicht wohlfühlen. Beziehungsprobleme können die Bremse betätigen. Sich Sorgen darüber zu machen, dass man nicht genug Sex hat, kann die Bremse betätigen . . .

Stress finde ich ein gutes Beispiel. Für manche Menschen kann Stress auch ein Beschleuniger sein, oder?

Ja, für 10 bis 20 Prozent der Menschen kann Stress das Interesse an Sex steigern. Sie nutzen Sex, um Stress abzubauen.

Diese Reize und die Art, wie wir sie verarbeiten, sind also individuell. Können wir denn unser System verändern, das Gaspedal sensibler und die Bremse stumpfer machen?

Wir können den Kontext in beide Richtungen verändern. Wir können dafür sorgen, dass in unserem Alltag mehr Reize vorhanden sind, von denen wir wissen, dass sie auf unser Gaspedal drücken. Und dann können wir das Gaspedal darauf trainieren, mehr von den sexy Dingen in unserer Umgebung wahrzunehmen. Wir üben quasi jeden Tag Vergnügen. Das können wir auch bei unserem Partner. Der Beziehungsforscher John Gottman spricht davon, den Partner durch eine rosarote Brille zu sehen – also den Partner als vielleicht etwas besser wahrzunehmen, als er tatsächlich ist.

Sich selbst belügen?

Nein, natürlich nicht. Aber wenn Sie sich auf die kleinen Dinge einschiessen, die Sie am Partner nerven, werden diese auch das Gehirn am meisten stimulieren. Und auf die Bremse drücken. Wenn man sich mehr auf das konzentriert, was man an seinem Partner bewundert, stimuliert dies das Gehirn mehr, und man kann die kleinen Dinge, die einen ärgern, leichter ignorieren.

Zum Beispiel?

Ich bin beispielsweise sehr schwer zu unterbrechen, wenn ich an etwas arbeite. Mein Mann kann minutenlang sprechen, wenn er den Raum betritt, und ich merke es nicht. Er sagt dann sinnbefreite Sätze wie «Hast du jemals darüber nachgedacht, wie lecker Pizza wäre, wenn der Käse unter der Tomatensauce wäre?». Er weiss, dass ich ihn noch gar nicht bemerke, weil ich in die Arbeit versunken bin. Es wäre sehr leicht für ihn, das persönlich zu nehmen. Aber er entscheidet sich, es komisch zu finden. Und er sieht es als die negative Kehrseite einer meiner positiven Eigenschaften: dass ich extrem fokussiert an einem Projekt arbeiten kann.

Sich auf die positiven Seiten unseres Partners zu konzentrieren, steigert also unsere allgemeine Bewunderung für ihn, und das schafft einen Kontext, in dem das Gaspedal sensibler reagiert.

Ja, genau. Diese Idee ist umstrittener, als ich dachte, als ich das Buch schrieb. Es gibt Menschen, die wirklich glauben, Freundschaft und sexuelle Anziehung könnten nicht koexistieren. Ich behaupte genau das Gegenteil. Es ist für viele Leute seltsam, das zu hören, aber es ist viel wichtiger, dass Sie Ihren Partner mögen, als dass Sie Ihren Partner begehren – zumindest laut den Paaren, die ein grossartiges Sexleben haben. Und das ergibt doch Sinn: Warum sollte man mit jemandem Sex haben wollen, den man nicht mag?

Stimmt das Klischee, dass es die Männer sind, die in Beziehungen mehr Sex wollen?

Nein. Bei heterosexuellen Paaren, die Sexualtherapeuten aufsuchen, ist es ungefähr 50:50. Ich denke, das Klischee existiert, weil Männer oft zu beschämt sind, darüber zu sprechen, dass sie das geringere Verlangen haben. Frauen wiederum schämen sich, wenn sie diejenigen sind, die das grössere Verlangen haben. Schliesslich gehört sich das nicht.

Aber wenn wir zu gestresst sind, um Lust auf Sex wahrnehmen zu können, und das Nachdenken darüber noch mehr Stress erzeugt – wie lösen wir das?

Zuerst: Wenn Sie in Ihrer Beziehung über die Schwierigkeiten, Sex zu haben, sprechen – dann ist das nicht das Problem, sondern die Antwort. Nur hört das niemand gerne. Die meisten Menschen finden es einfacher, mit jemandem Sex zu haben, als mit ebendieser Person über Sex zu sprechen.

Weil wir es nie lernen.

Ja, oder wir haben Angst, wir könnten etwas sagen, was unsere Partner in Panik versetzt. Oder wir befürchten, sie könnten uns verurteilen und uns nicht mehr anschauen, weil wir eine Phantasie ausgesprochen haben, die sie merkwürdig finden.

Wie soll man das Über-Sex-Sprechen angehen, wenn man es nie gelernt hat?

Ein paar Sitzungen mit einem Sexualtherapeuten helfen meist bereits. Manchmal hilft es, wenn wir solch schwierige Gespräche auf einer Metaebene beginnen. Reden Sie über das Ziel des Gesprächs, und sagen Sie, dass Sie wissen, dass es schwierig werden könnte. «Ich möchte wirklich, dass unsere sexuelle Verbindung all das ist, was sie sein könnte, und ich möchte mit dir darüber sprechen. Aber ich mache mir auch Sorgen, dass du dich unter Druck gesetzt fühlen könntest, etwas zu tun, was du nicht willst. Gibt es eine Möglichkeit, wie wir darüber sprechen können, so dass wir beide frei sind, Ja oder Nein zu den Dingen zu sagen, die wir wollen oder nicht wollen?»

Klingt enorm aufwendig. Wieso sollte ich mir das antun?

Das ist eine wirklich gute Frage. Viele Menschen sagen: «Ah, warum muss ich ständig über meine Gefühle zu Sex sprechen, ich möchte es einfach tun.» Aber was wäre, wenn Sie Sex und die gesamte Beschäftigung damit stattdessen nicht als Last, sondern als Hobby betrachteten?

Als Hobby? Mit Trainings, die man im Kalender einträgt?

Paare, die eine starke sexuelle Verbindung aufrechterhalten, haben drei Merkmale. Erstens: Sie sind wirklich gute Freunde. Sie bewundern und vertrauen einander. Zweitens: Sie priorisieren Sex. Sie wissen, dass Sex etwas Wichtiges und Einzigartiges zu ihrer Beziehung beiträgt. Daher schaffen sie Zeit, Raum und Energie, um diese, ehrlich gesagt, ziemlich alberne Sache zu tun.

Albern?

Wir rollen miteinander herum, lecken uns gegenseitig den Körper ab und stecken Körperteile in die des anderen. Warum tun wir das, wenn wir stattdessen einfach fernsehen oder ein Nickerchen machen könnten? Was macht Sex lohnenswerter, Zeit dafür zu investieren? Sie lachen, aber das ist eine sehr berechtigte Frage.

Was bringt denn Sex einer Beziehung?

Ich habe das über die vergangenen Jahre mehrere hundert Leute gefragt. Ihre Antworten kann ich in vier Gruppen zusammenfassen: Erstens, ich habe Sex, weil ich mich mit meinem Partner verbunden fühlen will. Zweitens, ich habe Sex, weil ich Vergnügen teilen will. Das kann bedeuten, dass Sie Vergnügen bereiten oder es gemeinsam geniessen wollen. Drittens, ich habe Sex, weil ich mich begehrt fühlen will. Und schliesslich viertens: Ich habe Sex, weil ich mich frei fühlen will, meinen Alltag verlassen, mich im Vergnügen verlieren kann.

Das ist noch einigermassen abstrakt.

Die vier Antworten zeigen die Motivation auf, wieso wir als Paare überhaupt Sex haben. Wenn Sie herausfinden wollen, welchen Sex Sie als Paar wollen, sollten Sie sich die vier folgenden Fragen stellen: Was will ich wirklich, wenn ich Sex will? Was will ich nicht, wenn ich Sex will? Was mag ich an Sex, wenn ich ihn mag? Und was mag ich nicht, wenn ich keinen Sex mag? So kommen Sie viel weiter, als wenn Sie sich einfach fragen: Warum haben wir nicht öfter Sex?

Wenn meine Partnerin und ich vor Freunden sagen: «Ja, eines unserer Hobbys ist Sex», würden einige im ersten Moment etwas irritiert schweigen.

Versteh ich, aber wenn ich ehrlich bin: So könnte ich meine Beziehung beschreiben. Es ist ja auch ein Akt des Ungehorsams gegen die Kultur. Es ist wie politischer Widerstand. Bei mir in den USA ist das besonders schlimm. Wir haben je nach Arbeitgeber kaum Anrecht auf Ferien, eigentlich nicht einmal die kulturelle Erlaubnis, ausreichend zu schlafen – wie könnten wir es da wagen, absichtlich Zeit für Vergnügen zu schaffen, wenn wir die Zeit auch mit unseren Kindern verbringen könnten?

Sie klingen, als würden Sie Sex repolitisieren.

Ich möchte einfach, dass Menschen die Erlaubnis erhalten, ihrem eigenen Vergnügen Wert beizumessen. Aber es stellt sich heraus, dass der Grund, warum Menschen ihrem eigenen Vergnügen keinen Wert beimessen, politisch ist.

Okay, ein Hobby – aber Sex zu planen, klingt für viele nicht sehr romantisch.

Als Sie zu Beginn Ihrer Beziehung mit Ihrer Partnerin auf Dates gingen, was taten Sie da? Sie schrieben sich Nachrichten, Sie einigten sich auf ein Datum, einen Ort, eine Tätigkeit, vielleicht gingen Sie vorher zum Coiffeur, wählten schöne Kleider aus, spielten im Kopf Phantasien durch. Kurz: Sie planten. Weil Sie motiviert waren, gemeinsam Vergnügen zu erleben. Wieso sollten Sie später damit aufhören?

Vielleicht, weil wir uns in der Beziehung sicher fühlen? Und uns nicht mehr beweisen müssen?

Neurologisch gesehen gibt es vier Stufen, wie sich Bindung aufbaut. Zuerst suchen wir Nähe: Wir möchten einfach der Person nahe sein, weil es sich gut anfühlt, ihr nahe zu sein. Das ist wie ein Feuer, das in Ihrem emotionalen Gehirn brennt und Sie dazu treibt, auch absurde Dinge zu tun, damit Sie der Person nahe sind. Weil es sich so gut anfühlt, bei dieser Person zu sein, eilen Sie in der zweiten Stufe auch zu ihr, wenn etwas schiefläuft, und wollen mit ihr den Schmerz teilen. Dann, in der dritten Stufe, schmerzt es, dass die Person nicht da ist. Sie vermissen sie. Und schliesslich fühlen Sie sich in der Nähe dieser Person sicher, zu Hause.

Das ist der Moment, in dem Sex in den Hintergrund tritt?

Dieser Bindungsmechanismus ist ursprünglich nicht für romantische Beziehungen gedacht, sondern für die Beziehung zwischen einem Kind und seiner primären Bezugsperson. Aber in der Pubertät wird er von der sexuellen, romantischen Verbindung «übernommen», und wir verwenden dieselbe Gehirnchemie mit den Menschen, in die wir uns verlieben.

Das müssen Sie ausführen.

Wenn Kleinkinder allein spielen, drehen sie ab und zu den Kopf und suchen ihre Bezugsperson. Mit acht, neun Jahren können sie in ihrem Zimmer spielen und rufen vielleicht gelegentlich nach den Eltern, oder sie erinnern sich daran, dass diese da sind. Sie fühlen sich sicher genug. Als Erwachsene können wir Distanz zu unserem romantischen Partner haben und uns trotzdem sicher genug fühlen – falls die Bindung sicher ist.

Also doch: je sicherer, desto weniger «Feuer» in der Beziehung.

Das ist ein Glaubenssatz, den wir in unserer Kultur lernen. Als vermeintlichen Beweis höre ich dann oft, dass Menschen in ihren schlechtesten Beziehungen am meisten sexuelle Anziehung verspürt hätten. Das liegt aber daran, dass in diesen Beziehungen ihre Bindung bedroht ist.

Wir wissen, dass Oxytocin freigesetzt wird, wenn wir Sex haben, das Bindungshormon. Es ergibt also Sinn, dass wir Sex am Anfang einer Beziehung und in schwierigen Beziehungen als Werkzeug brauchen, um Nähe herzustellen und den Partner an uns zu binden.

Sex ist ein Bindungsverhalten, aber überlegen Sie, was es für Ihre Beziehung bedeutet, wenn Sie für Sex immer dieses Verlangen erzeugen müssen, diese Verlustangst erzeugen müssen, die wir dann mit Sex wieder befrieden. Verlangen ist letztlich eine Unzufriedenheit mit dem, was man gerade hat. Wir begehren, was wir eben nicht haben. Es ist ein Bedürfnis nach Veränderung, nach etwas Neuem. Und dann bekommt man das Ding, und schon eilt man weiter zum nächsten Bedürfnis, zum nächsten Wunsch nach etwas Neuem.

Das klingt nach Konsumkritik.

Ich will die Sache nicht noch politischer machen. Aber das zu geniessen, was man bereits hat, statt nach etwas Neuem zu suchen, ist eine antikapitalistische Idee. Dass wir stattdessen Verlangen als Mass für unser Wohlbefinden betrachten, kann ich mir nur damit erklären, dass wir von klein auf darauf trainiert werden.

Evolutionspsychologen würden sagen, es ergebe für Männer evolutionär gesehen Sinn, immer weiterzustreben, nach neuen Partnerinnen zu suchen und so ihre Gene zu verbreiten.

Es stimmt zwar, dass Frauen jeden Monat nur ein einziges wertvolles Ei haben und Männer Millionen von Spermien, die billig und leicht zu verteilen sind. Aber wir wissen auch, dass Nachwuchs besser gedeiht, wenn es mehr Betreuer gibt. Es ergibt also Sinn, dass der Mann bleibt und sich um den Nachwuchs kümmert.

Nehmen wir also an, wir sind in einer monogamen Beziehung und haben als Paar entschieden, dass wir herausfinden wollen, welche Art von Sex uns gefällt. Was, wenn der Partner keine Ahnung hat, was ihm gefällt – wie kann ich ihm oder ihr helfen?

Das Problem haben tatsächlich sehr viele Frauen. Sie empfinden es so, dass sie gar nie die Erlaubnis hatten, Vergnügen zu empfinden. Sie beginnen damit in ihren Dreissigern oder noch später. Dahinter steckt das Konzept des Geschlechterbinarismus.

Dass wir zwei biologische Geschlechter haben, soll sich auf die Fähigkeit, Sex zu geniessen, auswirken?

Ich meine damit, dass wir Sex im Rahmen dieser zwei Geschlechter lernen. Es gibt eine Art Anleitung für Männer und eine für Frauen. Und als Frau wurde ich darauf trainiert, hübsch, fröhlich, ruhig und unermüdlich aufmerksam gegenüber den Bedürfnissen anderer zu sein. Ich soll geben und meine eigene Zeit, meine Aufmerksamkeit, sogar mein körperliches Wohlbefinden opfern. Das zeigt sich im Schlafzimmer dann insofern, als die Frau nicht einmal bemerkt, ob sie etwas geniesst, sondern darauf konzentriert ist, die Bedürfnisse ihres Partners zu erfüllen.

Wenn man etwas gar nicht als Problem wahrnimmt, wie soll man es dann ändern?

Als Partner können Sie trotzdem über das Thema reden. Sie könnten sagen: «Ich wollte nur die Idee ins Spiel bringen, dass dein Vergnügen beim Sex für mich wirklich eine Priorität ist. Wenn es für dich keine Priorität ist, verstehe ich das, aber ich wollte die Tür zu der Idee öffnen, dass mir dein Vergnügen wirklich am Herzen liegt.»

So redet doch niemand.

Viele Menschen machen sich irgendwann auf den Weg, durchschreiten diese Tür und beginnen ihre Gefühle zu erforschen. Aber man kann das nur langsam angehen. Dieser Prozess führt auch zu den psychologischen Barrieren, die das ganze Leben zwischen ihnen und sexuellem Vergnügen gestanden haben. Das ist nicht immer angenehm. Das ist emotionale Arbeit. Sie müssen diese Arbeit auch wirklich leisten wollen.

Das klingt nach viel Arbeit.

Es bedeutet, dass Sie alle Regeln, die Sie gelernt haben, brechen müssen.

Im Buch beschreiben Sie diese Regeln als verschiedene kulturelle Erzählungen.

Da gibt es so viele. Vom koitalen Imperativ haben die meisten schon einmal gehört, dass also Sex gleich Penis in Vagina ist. Dann der Variety-Imperativ: Wir alle sollen sowohl manuellen als auch oralen, vaginalen und analen Sex haben. Sehr lästig ist auch der Performance-Imperativ, dass wir unseren Sex verbessern müssen. Ach ja, und der Beziehungs-Imperativ: Sex soll in einer Beziehung besser sein. Oder überhaupt der Sex-Imperativ. Dass wir also unter allen Umständen, selbst wenn wir gerade ein Burnout erlitten haben, eine sexuelle Person sein sollen, Sex wollen und mögen müssen. Das sind alles Regeln, die weitere untergeordnete Regeln haben. Regeln, die natürlich eine Geschichte haben, die aber für Sie als einzelne Person völlig irrelevant sein sollten.

Wie kommen wir dahin, wenn wir es gar nie gelernt haben, auf unseren Körper zu hören, sondern immer den Regeln anderer gefolgt sind?

Für manche Menschen sind die Hürden, erotische Freude zu erleben, so hoch und bestehen schon so lange, dass sie mit nichterotischem Vergnügen anfangen müssen. Essen. Heisse Bäder. In der Natur stehen oder zum Strand gehen.

Wie verhilft das zu besserem Sex?

Unsere Gehirne sind wie Wälder, die Wege, die wir am häufigsten gehen, sind die, die verstärkt werden. Also müssen Sie die Wege des Vergnügens immer und immer wieder gehen. Jeden Tag etwas tun, das absichtlich Freude macht. Allmählich wird es Ihnen dann leichterfallen, verschiedene Arten von Vergnügen zu geniessen. Bis Sie schliesslich in der Lage sind, erotisches Vergnügen zu geniessen, ohne sich dafür schuldig zu fühlen.

Woher kommt unsere Scham, wenn es um Sex geht?

Die reicht weit zurück. Die ersten beiden Seuchen in Europa waren sexuell übertragbare Infektionen. Die Menschen stellten fest, dass diejenigen, die keinen Sex hatten, nicht krank wurden und nicht an diesen schmerzhaften Krankheiten starben. Die Schlussfolgerung war: «Gott bestraft uns, weil wir Sex haben.» Also muss Sex schlecht sein, wir sollten es nicht tun. Ein anderer Teil der Scham rührt daher, wie uns geschlechtsspezifisch beigebracht wird, welche sexuellen Wesen wir zu sein haben.

Männer und Frauen empfinden Scham unterschiedlich?

Das geht bis auf die medizinischen Texte im 17. Jahrhundert zurück. Dort wurde festgestellt, dass die weiblichen Geschlechtsorgane «versteckt», die männlichen hingegen stolz sichtbar seien. Woraus man ableitete, dass Frauen sich «natürlich» für ihre Sexualität schämten und sie versteckten, während Männer sich nicht schämen müssten und Sex brauchten, um gesund zu bleiben.

Wie können wir die Scham loswerden, wenn sie so alt ist?

Es hilft, wenn wir uns bewusst sind, dass sie so etwas Altes ist und dass sie uns anerzogen wird. Niemand wird mit dieser Scham geboren. Einmal traf ich in Italien auf eine Leserin meines Buches. Sie erzählte mir, sie sei dabei gewesen, als ihr Bruder seiner kleinen Tochter die Windel gewechselt habe. Während er sich umdrehte, um nach einer neuen Windel zu greifen, berührte das kleine Mädchen seine Genitalien. Er drehte sich um und sagte: «Aaah, fass das nicht an!» Diese Frau, die mein Buch gelesen hatte, fragte sich: Wie hätte er reagiert, wenn das Baby irgendeinen anderen Teil seines Körpers berührt hätte? Das Kind wird sich nicht an diesen einen Moment erinnern, aber es wird unzählige solcher Vorfälle geben, die eine Verbindung im Gehirn schaffen: Die Genitalien sind etwas Unanständiges, etwas, das dem Mädchen nicht wirklich gehört. Es konnte das nicht selbst entscheiden, es wurde ihm beigebracht. Aber als Erwachsene können wir entscheiden, welche der Dinge, die uns beigebracht wurden, wir behalten möchten und welche wir loswerden wollen.

Ihr Buch liest sich zuweilen sehr unerotisch. Als ob Sie Sex entmystifizieren wollten.

Das ist interessant. Nicht erotisch? (Sie denkt nach.) Ich weiss gar nicht, was das bedeuten soll. Ich habe das Buch jedenfalls sicher nicht geschrieben, um die Leserinnen und Leser «anzutörnen». Das ist wahr.

Das Erotische ist in unserer Kultur ja oft eine Art geheimer, verschlossener Raum. Es hat eine gewisse Mystik, eine Sprache, die andeutet, dass Dinge nicht laut ausgesprochen werden sollten.

Aber fragen wir uns doch, woher das kommt. Was Sie beschreiben, klingt ja ein bisschen wie der Verlangen-Imperativ: dass wir unbedingt dieses spontane Verlangen fühlen müssen. Das ist eine kulturelle Regel. Ich frage: Was, wenn es überhaupt keine Regeln gibt? Die einzigen Regeln sind: Niemand will Schmerz. Und: Jeder muss es mögen, dabei zu sein, und jeder muss frei sein, ohne unerwünschte Konsequenzen gehen zu können.

Consent . . .

Mehr noch. Es ist das Gegenteil von Dingen, die wir im Schatten tun, und Geheimnissen, über die wir nicht sprechen dürfen. Was wäre, wenn wir Licht auf Menschen werfen würden, die Dinge tun und geniessen, die wir uns kaum vorstellen können? Rae McDaniel hat das Buch «Gender Magic» geschrieben, in dem sie von einem Freund erzählt. Dieser Freund ging auf eine Sexparty, ritt auf einem Sexspielzeug und trug ein aufblasbares Dinosaurierkostüm. Es war urkomisch und wunderschön und zu hundert Prozent in Ordnung, weil man dort tun durfte, was man wollte, weil jeder, der dort war, gerne dort war, und gehen konnte, wann immer er wollte.

Aber für manche Menschen ist gerade der Regelbruch eine erotische Erfahrung.

Das ist ja auch die Art und Weise, wie wir Sex lernen. Viele machen ja gar keine erotische Erfahrung, die sich erlaubt anfühlt. Aus der Sexualtherapie wissen wir von vielen Menschen, die ein grossartiges Sexleben hatten – bis sie heiraten. Dann tappen sie in die Falle unseres Regelbuches und haben den Sex, der laut unserer konservativen, christlich geprägten Kultur erlaubt ist, und sie wissen nicht, wie sie das als etwas Erotisches empfinden sollen.

Was tun Sie als Therapeutin dann?

Wenn man Sexualtherapie macht, sagt man den Klienten sehr oft, dass sie keinen Sex haben sollen. Mein erstes Paar, mit dem ich je gearbeitet habe, hatte seit Jahren keinen Sex mehr. Ich gab ihnen den Auftrag: «Das wird für Sie kein Problem sein, ich werde Sie bitten, während der Therapie keinen Sex zu haben.» In derselben Woche hatten sie bereits zwei Mal Sex.

Weil Sie es ihnen verboten hatten?

Genau. Wir nennen das «den ironischen Prozess» im Gehirn.

Ein gutes Sexualleben in einer Beziehung bedeutet also, alles zu verlernen, was man in die Beziehung mitgebracht hat?

Ja, das ist das dritte Merkmal von Paaren, die eine starke sexuelle Verbindung aufrechterhalten. Sie erkennen, dass sie nach den Regeln anderer Menschen gelebt haben und diese Regeln definiert haben, wer sie als sexuelle Person sein sollen, wer ihr Partner sein soll und was ihre Beziehung sein soll. Und dann entscheiden sie sich, damit aufzuhören und herauszufinden, was für sie selbst, für ihren Partner und für diese Beziehung in dieser Phase ihres Lebens wirklich wahr ist.

Kann Sex eigentlich eine beschädigte Beziehung heilen?

Manchmal. Aber wenn Sie sich mit Ihrem Partner nicht sicher genug fühlen und trotzdem Sex haben, können Sie noch mehr Schaden anrichten. Ich hatte ein Paar, das einen Artikel gelesen hatte, der besagte, Paare hätten im Durchschnitt x Mal pro Woche Sex. Sie sagten sich: «Gut, wir werden so oft Sex haben, dann kann der eine, der mehr will, und der andere, der weniger will, sich nicht beschweren. Denn das ist der akzeptable Durchschnitt.» Das zerstörte ihre Beziehung. Der Partner mit weniger Verlangen hatte Sex, den er nicht mochte, und jedes Mal, wenn sie es taten, verstärkte sich der Eindruck, dass das, was er wirklich wollte, nicht wichtig war.

Sie haben viele queere und nichtmonogame Paare als Beispiele in Ihrem Buch. Was wissen diese Paare über Sex, was heterosexuelle Paare vielleicht nicht wissen?

Die Forschungsresultate der letzten zwanzig Jahre sind da ziemlich eindeutig: Nichtheterosexuelle Paare haben eine höhere sexuelle Zufriedenheit, sie haben Sex, der länger dauert, mehr Orgasmen, sie betreiben mehr Oralsex, sie sagen häufiger «Ich liebe dich» während des Sex.

Einfach besseren Sex.

Das liegt wahrscheinlich daran, dass ihre Identität sie gezwungen hat, zu erforschen, wer sie wirklich sind. Sie konnten nicht einfach nur versuchen, den Erwartungen anderer zu entsprechen und den Regeln anderer zu folgen.

Wobei mir die Regeln als heterosexueller Mann vielleicht auch nicht entsprechen.

Ja, aber in einer heterosexuellen Beziehung werden Sie vielleicht gar nie gezwungen, über sich selbst als sexuelle Person nachzudenken. Oder erst dann, wenn das Sexualleben zum Stillstand kommt. Dann merken Sie: «Oh, diese Regel funktioniert bei mir nicht.» Danach gibt es zwei Optionen: Die Regel ist falsch. Oder mit mir stimmt etwas nicht. Viele Menschen denken, mit ihnen oder ihrer Beziehung sei etwas falsch.

Weil es einfacher ist, sich selbst die Schuld zu geben, als sich einzugestehen, jahrelang nach falschen Regeln gelebt zu haben?

Vielleicht. Für lesbischen und schwulen Sex gibt es viel weniger klare Skripte. Es ist also völlig klar, dass lesbische und schwule Paare Sex aushandeln und lernen müssen. Zudem wurden beide Partner ähnlich erzogen. Nämlich als Junge oder als Mädchen. Das heisst, sie reden eigentlich dieselbe Sprache, haben ähnliche Kommunikationsgewohnheiten.

Was war eigentlich der beste Sex-Ratschlag, den Sie erhalten haben?

Oh, das ist einfach: Ich war bei der Sexualforscherin Peggy Kleinplatz in einer Gruppen-Sexualtherapie. Sie leitet das «Optimal Sexual Experiences Lab». Peggy riet uns, den Raum unter die Lupe zu nehmen, in dem wir am häufigsten Sex haben, und dort alle Dinge zu entfernen, die nicht sexy sind oder Sex erschweren. Für mich und meinen Partner ist dieser Raum das Schlafzimmer. Aber nur schon die Türe zu schliessen, war jeweils ein Problem, da lag immer ein Teppich im Gang, eine Kommode musste etwas verschoben werden, also haben wir das alles entfernt. Und wir brauchten Handtücher, also legten wir die in eine Schublade neben dem Bett, damit wir nicht mitten in der Nacht im kalten Neuengland aus dem Bett steigen mussten. Low hanging fruits.

Emily Nagoski: Kommt zusammen!: Die Kunst (und Wissenschaft!) sexuell erfüllter Beziehungen. Aus dem Englischen (Original: Come Together) von Henriette Zeltner Shane, Sylvia Bieker. Knaur, München 2024. 416 S., Fr. 37.90.

Exit mobile version