Samstag, Oktober 5

Seit fast zwei Monaten ist Frankreich ohne Regierung. Jetzt soll es der konservative Ex-EU-Kommissar Michel Barnier richten. Präsident Emmanuel Macron ernannte ihn am Donnerstag zum Premier. Scharfe Kritik gibt es aus dem extremen linken Lager.

Er ist 73 Jahre alt, war zweimal Kommissar in Brüssel und wurde europaweit vor allem als der Mann bekannt, der mit den Briten bis 2020 über den Austritt aus der EU verhandelte: Michel Barnier ist Frankreichs neuer Premierminister. Das teilte am Donnerstagnachmittag der Élysée-Palast mit. Staatspräsident Emmanuel Macron habe den konservativen Politiker gebeten, «eine einigende Regierung im Dienste des Landes und der Franzosen bilden», hiess es. Barnier sei «nach einer beispiellosen Runde von Beratungen» ernannt worden.

Früherer Gegner von Macron

Damit endet gut zwei Monate nach der vorgezogenen Parlamentswahlen vom 7. Juli die aussergewöhnlich lange Suche nach einem neuen Amtsinhaber für das Matignon, den Sitz des französischen Premierministers. Zuvor hatte Macron Gespräche bei den drei politischen Lagern in der Nationalversammlung sondiert, ob Barnier ein allfälliges Misstrauensvotum überstehen kann. Das rechtspopulistische Rassemblement national wie auch Teile des Linksbündnisses signalisierten, dass sie Barnier nicht sofort stürzen würden. Eine formale Koalition wollen aber weder die Linken noch die extremen Rechten mit der zentristischen Präsidentenpartei Ensemble eingehen.

Scharfe Kritik kam am Donnerstag von Jean-Luc Mélenchon, dem Chef der Linksaussen-Partei La France Insoumise. Mit der Ernennung von Barnier «missachte» Macron die Demokratie, wetterte Mélenchon, dessen Partei für Samstag zu einem Protestmarsch aufgerufen hat.

ist ein einflussreicher Kopf bei Frankreichs konservativen Républicains. Er blickt auf eine jahrzehntelange politische Karriere zurück. Er war Umweltminister unter François Mitterrand, Aussenminister unter Jacques Chirac und Landwirtschaftsminister unter Nicolas Sarkozy. Der gebürtige Ostfranzose arbeitete zudem mehrfach als EU-Kommissar. Er fungierte ausserdem als Brexit-Chefunterhändler der Europäischen Union.

Barniers Name kursierte schon seit Wochen. Dennoch zählte «Monsieur Brexit», der 2022 erfolglos für die konservativen Républicains als Präsidentschaftskandidat angetreten war, keineswegs zu den Favoriten für das Amt. Der hochgewachsene Ostfranzose mit den tadellos sitzenden Anzügen und dem silbernen Haar warf Macron damals vor, «einsam und arrogant» zu regieren.

Noch bis Mittwoch schien es, als könnten sich zwei andere Männer – Bernard Cazeneuve und Xavier Bertrand – Hoffnungen auf das schwierige Amt machen. Der Sozialist Cazeneuve wurde von Macron jedoch abgelehnt, weil er an einem linken Programm festhalten wollte, zu dem auch die Abschaffung der Rentenreform gehört. Der Wirtschaftsliberale Bertrand wiederum sah sich mit breitem Widerstand vonseiten sowohl der extremen Linken wie des Rassemblement nationals konfrontiert.

Konservative dürften Regierung von Barnier zumindest dulden

Ob Barnier eine mehrheitsfähige Regierung aufstellen kann, wird sich erst noch zeigen. Die Konservativen hatten betont, nicht Teil einer Regierung sein zu wollen. Sie dürften eine Regierung von Barnier aber zumindest dulden. Die Unterstützung des Macron-Lagers dürfte dem neuen Regierungschef gewiss sein.

Schwer absehbar ist aber, wie er nötige Stimmen aus dem linken Lager bekommen könnte. Möglich, dass ihn am Ende die Rechtsnationalen dulden – aus Zuspruch für Barniers restriktive Positionen im Bereich Migrationspolitik.

Mit dem Regierungswechsel wird der Liberale Macron Macht abgeben müssen. Der Premier wird als Leiter der Regierungspolitik wichtiger. In der Aussenpolitik behält Macron die Oberhand.

Bei der vorgezogenen Parlamentswahl war das Linksbündnis Nouveau Front Populaire vor Macrons Mitte-Kräften und dem rechtsnationalen Rassemblement National um Marine Le Pen vorne gelandet. Eine absolute Mehrheit erhielt keines der Lager. Lange stockte daher die Regierungsfindung.

Die Herausforderung war es für Macron vor allem, einen Premier zu finden, der keine Mehrheit gegen sich aufbringt und somit durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden könnte.

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