Samstag, Dezember 21

Frankreichs Tech-Sektor boomt – vor allem, weil Präsident Macron das Thema zur Chefsache gemacht hat. Doch ganz ohne die USA geht es nicht.

Wer im Tech-Bereich erfolgreich sein will, muss in die USA – seit der Entstehung des Silicon Valley in den 1950er Jahren hat diese Regel Bestand. Auf der anderen Seite des Atlantiks gibt es alles, was junge Gründer suchen: risikofreudige Investoren, gut ausgebildete Mitarbeiter und ein laxes Arbeitsrecht, das es erlaubt, Personal nach Belieben anzustellen und wieder zu entlassen.

Dagegen gibt es in Europa für junge Gründer vor allem Vorschriften und Regulierungen, gepaart mit einer gehörigen Portion Technologie-Skepsis. So zumindest begründen viele Tech-Unternehmer ihre Entscheidung, den Kontinent zu verlassen. Doch es geht auch anders. Das zeigt ausgerechnet das Beispiel von Frankreich – einem Land, das in Bezug auf Arbeitsrecht und Bürokratie als besonders rigoros gilt.

In den vergangenen Jahren schien es, als wolle der französische Präsident Emmanuel Macron in seinem Land im Alleingang ein europäisches Silicon Valley errichten. «Eine ‹Startup-Nation› ist eine Nation, in der jeder von sich sagen kann, dass er in der Lage sei, ein Startup zu gründen», sagte er 2017. «Ich möchte, dass Frankreich eine solche Nation ist.»

«France is back», betont Macron an wichtigen Wirtschaftsgipfeln wie dem WEF in Davos, «Choose France», ruft er Investoren jährlich an der gleichnamigen Veranstaltung im Schloss Versailles zu, bei der Frankreich jedes Jahr mehr Projekte von ausländischen Investoren anzieht. Firmen wie Microsoft und Amazon investieren Milliarden und errichten in Frankreich neue Datencenter und Forschungseinrichtungen.

Startups haben einen guten Ruf

Auch der heimische Tech-Sektor wächst: Anfang 2022 erreichte Frankreich Macrons Ziel, bis 2025 25 Einhörner zu haben – also Startups mit einem Wert von über einer Milliarde –, drei Jahre früher als geplant. Macron hat die Themen Technologie und Innovation zur Chefsache gemacht, in keinem anderen Land ist der Tech-Sektor so stark mit einer einzelnen Person verknüpft.

«Frankreich tut viel für junge Unternehmen», sagt Martin Hügli. Er ist Europa-Manager bei Back Market, einem der französischen Einhörner. Das Startup betreibt eine Refurbishing-Plattform, bei der gebrauchte und reparierte Smartphones oder Tablets verkauft werden. «Startups haben im Land einen guten Ruf, das ist anders als etwa in Deutschland», sagt Hügli. «Macron hat es geschafft, dass die Franzosen stolz auf die jungen Unternehmen sind.»

Hügli zählt auf, was Frankreich alles bietet: eine stabile Rechtslage, eine gute Infrastruktur, einen einfachen Zugang zu Talenten. Das Label «French Tech», unter dem entsprechende staatliche Förderprogramme laufen, sei sehr präsent und unterstütze die Unternehmen. «Über French Tech kommt man rasch an ein gutes Netzwerk. Das Förderprogramm hilft den Startups auch dabei, in andere Länder zu expandieren.»

Das Geld fliesst

Es sind auch finanzielle Anreize, die Frankreich für Tech-Unternehmen attraktiv machen. Die staatliche Investitionsbank Bpifrance pumpte im Jahr 2022 1,6 Milliarden Euro in französische Tech-Startups. 2023 investierte Frankreich 107 Euro pro Kopf in Startups, in Deutschland waren es im selben Jahr nur 85 Euro. Bis im Jahr 2030 sollen darüber hinaus 54 Milliarden Euro in Universitäten und Forschungseinrichtungen fliessen, für Forschung im Bereich der Dekarbonisierung und im Tech-Sektor.

Aber nicht nur der französische Staat ist als Förderer aktiv. Auch private Investoren treiben die technologische Entwicklung Frankreichs voran. Der bekannteste unter ihnen ist der Tech-Unternehmer Xavier Niel, dem unter anderem der Schweizer Telekomkonzern Salt gehört. Niel gilt als Musterbeispiel eines privaten Startup-Förderers. Er gründete 2017 in Paris Station F, den inzwischen grössten Startup-Campus der Welt.

Aber auch Investoren aus anderen Branchen sind in der Tech-Förderung aktiv, wie der Luxus-Magnat Bernard Arnault. Arnault ist Geschäftsführer von LVMH, dem Konzern hinter Marken wie Moët Hennessy und Louis Vuitton. «Die Stärke des französischen Ökosystems beruht auch darauf, dass private Unternehmer begriffen haben, wie wichtig es ist, Geld zurück in das System zu stecken», sagt Florian Douetteau. Er ist CEO des Startups Dataiku, eines von Frankreichs grossen Aushängeschildern im KI-Bereich. «Unternehmer wie Arnault wissen, dass auch sie vom technologischen Fortschritt im Land profitieren.»

Spezielle Visa für Tech-Mitarbeiter

Auch Florian Douetteau schwärmt von der «unternehmensfreundlichen» Umgebung in Frankreich. Zudem sei es einfach, an Talente zu kommen: «Vor allem im KI-Bereich gibt es in Frankreich sehr gut ausgebildetes Personal. Der Grossteil der europäischen KI-Forschung findet in London und Paris statt.»

Und wenn sich kein heimisches Personal finden lässt, ist es leicht möglich, welches aus dem Ausland zu rekrutieren. Mit French Tech Visa hat die Regierung eine eigene Visum-Kategorie geschaffen, die Arbeitskräften im Tech-Bereich ein vereinfachtes Verfahren ermöglicht, um sich in Frankreich niederzulassen.

Längst nicht alle zieht es in die Hauptstadt Paris, überall im Land entstehen neue Tech-Zentren. Der Grund dafür ist die gute Infrastruktur: Durch die schnellen Zugverbindungen und Home-Office-Möglichkeiten sind Städte wie Marseille, Lyon und Bordeaux schon fast zur Pariser Agglo geworden.

Bürokratie und Arbeitsrecht können Hürden sein

Doch auch in Frankreich machen sich die Herausforderungen, mit denen europäische Gründer sich konfrontiert sehen, bemerkbar. Der Back-Market-Manager Martin Hügli beklagt die umfangreiche Bürokratie und Vorschriften zu Themen wie Datenschutz und Compliance, die gerade für kleine Firmen eine Herausforderung sein könnten. Auch das strenge französische Arbeitsrecht kann eine Hürde darstellen. «Für Startups ist eine Leistungskultur wichtig», sagt Hügli. «Die Unternehmenskultur ist oft sehr amerikanisch geprägt.»

Hinzu kommt, dass der Zugang zu Geldern trotz allen Bemühungen Macrons in den USA nach wie vor einfacher sei: «Sobald man grosse Mengen Kapital will, muss man raus aus Europa», sagt Hügli. «Die europäischen Fonds sind ab einer gewissen Unternehmensgrösse zu klein.»

Auch Frankreich droht also die Gefahr, dass junge Unternehmen in die USA abwandern. Mistral, das erfolgreichste französische KI-Startup, sorgte vor einigen Monaten mit einer neuen Kooperation mit Microsoft für Aufregung. Auch Dataiku, die KI-Firma von Florian Douetteau, hat ihren Hauptsitz inzwischen in New York – aus dem einfachen Grund, dass dort ein Grossteil des Geldes herkommt.

Bleibt die politische Agenda erhalten?

Dennoch: Der Hauptteil der Produktentwicklung findet nach wie vor in Frankreich statt, in Paris hat Dataiku am meisten Mitarbeiter. Geht es nach Florian Douetteau, soll das auch so bleiben. «Es ist vor allem die Kombination aus drei Faktoren, die Frankreich attraktiv macht: ein guter Forschungs- und Ausbildungsstand, engagierte und finanzstarke Unternehmer und eine klare politische Agenda.»

Letztere steht allerdings durch die Parlamentswahlen in diesem Sommer auf der Kippe. Wird eine neue, womöglich stärker links gerichtete Regierung das ehrgeizige Programm von Macron fortsetzen?

«Wie es jetzt weitergeht, hängt zu grossen Teilen von Macron ab – und seinen Möglichkeiten, die Regierung zu beeinflussen», sagt Martin Hügli. Die Personalie Macron und die französische Innovationsfähigkeit sind für ihn eng miteinander verbunden. Hoffnung gibt ihm , dass der Tech-Sektor bereits recht weit entwickelt und etabliert ist – und damit weniger anfällig für politische Einflüsse wie noch vor einigen Jahren.

Das sieht auch Florian Douetteau so: «Für neuere Startups könnte es etwas schwieriger werden, aber für etablierte Unternehmen sehe ich keine Gefahr. Wenn man ein Unternehmen gründet, sollte man sich ohnehin nicht zu sehr von der Politik abhängig machen.» Das Wichtigste für Unternehmer wie Douetteau ist, dass Frankreich für gut ausgebildete Talente attraktiv bleibt. In dieser Hinsicht ist er zuversichtlich. Nur eines, findet er, könnten die Franzosen noch besser machen: «Sie müssen besser Englisch lernen.»

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